Rattenpack
Für den 3. Januar hatten wir uns eigentlich vorgenommen, noch mal ins Kino zu gehen – vor allem, damit ich beim Babywarten nicht den Koller bekomme und durchaus mit dem Hintergedanken, dass Kinder es so an sich haben, gerne Elternpläne zunichte zu machen. So war es dann auch, gegen 19Uhr entschied ich, doch keine Lust auf Kino zu haben. Es zuppelte auch ein wenig unregelmäßig im Unterleib, aber nicht, das ich nach den 5 Fehlstarts in irgendeiner Weise ernst genommen hätte. Mein Mann fuhr dann zu seinem Bruder, um uns eine DVD für den Abend auszuleihen.
Als er gegen 20:30 Uhr zurück kam, hatte ich immer noch Wehen, inzwischen so halbwegs regelmäßig alle 5-10 Minuten und die eine oder andere fühlte sich dann auch etwas kräftiger an. Ich habe meinen Muttermund abgetastet – volle Enttäuschung: Immer noch so 2-3cm. Auf dem Stand waren wir seit 10 Tagen. Allerdings war inzwischen ein gewisser Druck der Fruchtblase auf den Muttermund zu vermelden – das war neu und für mich entscheidend. Um 20:45Uhr hat mein Mann dann die Hebamme angefunkt: Sieht nicht so aus, als würde es schnell gehen, aber diese Nacht wird es vielleicht was. Sie wollte dann auch mal reinkommen, war aber noch unterwegs. Zwischenzeitlich musste ich unter den Wehen dann doch mal schnaufen und hab mich gemütlich daran gemacht, das Schlafzimmer für die Geburt etwas aufzuräumen, rötliches Dämmerlicht einzuschalten und schon mal die Taschen mit den Unterlagen und Co bereitzustellen. Auch Kaffee hab ich gekocht; wirklich ernstnehmen konnte ich das alles aber noch nicht, vor allem nicht, weil ich nochmal Hunger bekam und etwas essen musste. Normalerweise wird mir vor der Geburt immer etwas schlecht.
Die Wehen wurden dann aber nach und nach heftiger, ich habe ein bisschen herumprobiert, in welcher Stellung sie sich am besten anfühlten, was zu einigen Lachern zwischen mir und meinem Mann führte:
„Oh, so auf dem Sessel knieend ist’s echt gut … oh ne … warte mal … war ne scheiß Idee.“ – „Willst du aufstehen? Komm ich helf dir!“ – „Ich hab grad ne Wehe, ich steh doch jetzt nicht auf, ich helf dir gleich!“
Oder auch:
„Kommt wieder ne Wehe?“ – „Nein, ich krieg’n Orgasmus – was denkst du denn, wenn ich hier rumröchel wie ne Kuh?“
Es klingt zankig, war aber sehr lustig. Um 21:15 Uhr hab ich meinen Mann dann gefragt, ob das eigentlich immer wehgetan hat, was ihn dazu bewegte, nochmal bei der Hebamme nachzuhorchen, ob sie vielleicht doch etwas eher kommen wollte. Ja, sie war schon beinah da. Fünf Minuten später klingelte sie dann auch, die Kinder machten auf und verkrümelten sich dann zur Großen ins Zimmer. Hebamme Annette kam hoch, erwischte mich zwischen den Wehen und meinte, ich würde aber nicht so aussehen, als gäbe das heute noch was. Sie untersuchte kurz die Baby-Herztöne – dem ging es gut. Ich stand unterdessen vor einer schweren Entscheidung: ich hatte das blöde Gefühl, dass ich nochmal … naja, auf Klo musste. Andererseits hatte ich schon gemerkt, dass die Wehen auf dem Klo weh taten. Annette meinte, das wäre bestimmt nur der Kopf, der auf den Darm drückt. Ich: „Kann sein, aber ich kack nicht in mein Schlafzimmer!“
Also Treppen runter zum Klo. Ich musste tatsächlich, viel Zeit blieb allerdings nicht, denn dummerweise machte es einmal Peng, die Fruchtblase platzte und im gleichen Moment hatte ich den Kopf zwischen den Beinen. Also „aufs Schnellste“ den Hintern abgewischt, Hose hoch und im Schweinsgalopp die Treppen hoch – vor der nächsten Wehe musste ich oben sein. Zum Mann noch schnell ein: „Sorry, wenn jetzt noch was kommt, aber ich hab’s versucht, also keine dummen Sprüche!“, zusammen ins Schlafzimmer und zur Hebamme: „So, der kommt jetzt!“
Dann sitze ich auch schon auf dem Gebärhocker … irgendwas stimmt allerdings nicht. Scheiße, ich hab ja noch meine Jogginghose an. Also schnellschnell runter damit, Wehe kommt. Annette bewegt sich wie auf Fastforward und verteilt in Windeseile die Unterlagen um den Hocker herum. Ich brauche Klopapier, mein Mann reicht Zewa und Mülltüte und ich fühle mich grandios dabei, alles im Griff zu haben. (Anmerk.: Bei meiner zweiten Geburt war mein größtes Problem die Tatsache, dass da … naja, eben Stuhlgang kam und die Hebamme mir den Hintern abgewischt hat – das fand ich entwürdigend und peinlich.) Der Kopf kommt, es brennt wie Hölle – irgendetwas ist schon wieder falsch. Mir kommt die Erkenntnis, ich rufe nach Kaffee, bekomme eine in Kaffee getränkte Binde in die Hand gedrückt, wundere mich: „Ist das jetzt ne Binde? – Wir haben doch Waschlappen!“ Annette muss lachen bejaht, ich mache meinen Dammschutz halt mit der Binde, sie fragt mich, ob das gut tut, ich bekomme die zweite Wehe und sag: „Oh ja, es geht nichts über Kaffee (Anm.: sie nimmt normalerweise keinen Kaffee sondern irgendwas mit Lavendel), siehste!“ Dann japse ich. Und dann ist der Kopf bereits geboren.
Jetzt wird es eigenartig, denn nach dem Kopf kamen alle meine Kinder gleich komplett heraus. Dieses bleibt so, ich tupfe Kaffee auf’n Damm und mir fällt siedendheiß aber zu spät ein, dass da das Gesicht vom Baby ist - und Kaffee vielleicht keine gute erste Mahlzeit. Ich bin der Meinung, die Kaffeebinde fallen zu lassen, aus irgendeinem Grund fliegt sie allerdings durchs halbe Schlafzimmer … Die dritte Presswehe kommt und geht, das Kind bleibt, wo es ist. Ich frage Annette, ob das Baby groß ist. Sie meint: „Ja, sieht so aus, ich helf ihm jetzt beim Drehen“. Gute Idee, ehe sie mich anfasst, mach ich das irgendwie selber, schieb etwas an der Babyschulter und mache in der Wehe eine einseitige Hüftbewegung, als wolle ich ein Pferd angaloppieren. (Wie kommt man unter der Geburt auf sowas?) Daraufhin flutscht er raus, fällt mir fast runter, ich muss ihn rasch auf den Unterlagen ablegen, um die Nabelschnur abzuwickeln, die lag wie ein X zweimal um die Brust.
Ich stelle fest: „Doch nicht groß – ach guckt nur, wie klein er ist!“
Annette sagt: „21 Uhr 29.“ Mein Mann reicht das warme Handtuch, um das Kleine einzuwickeln und hilft mir aus meinem T-Shirt raus, ich bemühe mich nach Kräften, ein sehr knatschiges Baby von seinem ersten Weltschmerz zu trösten und Annette macht, was Hebammen so Wichtiges machen, wenn man gerade keinen Blick für sie hat.
Mein Gedächtnis ist ab hier ein wenig lückenhaft – Hormone – in jedem Fall geht es mir saugut, ich bin nur ein bisschen erschüttert über die großen Blutmengen (die, wie ich später erfahre, keine sind, es war nur Fruchtwasser, aber im Rotlicht …) Und ich muss dann mal nachgucken, ob es wirklich ein Junge ist.
Die Plazenta wird geboren (die war riesig und schwer rauszupressen) und dann kommen die Kinder, gucken groß und stellen tausend Fragen, der kleine fängt an zu suchen, bekommt die erste Milch, mein Mann wuselt herum, räumt auf, bringt mir ein Brötchen und einen Schluck Wein zum Anstoßen. Während er weg ist, macht Annette mir ein Stück von der Plazenta ab, das ich zur Unterstützung der Rückbildung und zum Mindern der Nachwehen essen wollte – „Willst du wirklich?“ – „Klar, gib her!“ - schmeckt wie ne Weintraube.
Anschließend vermessen wir den Kleinen noch – 4200g auf 56cm und 37cm Kopfumfang. Für meine Verhältnisse doch ganz schön groß. Außerdem sieht er aus wie sein Bruder mit dem Mund seiner Schwestern, hat petrolblaue Augen und dunkle Haare.
Wir sind gerade mit allem soweit durch, da klingelt Annettes Funk: Das nächste Baby kommt (und wird ebenfalls noch an diesem Tag geboren werden). Wie abgesprochen &514;
Wir entlassen Annette, sie fragt, ob sie noch eine Kollegin zur Nachkontrolle schicken soll, aber wir sind alle ganz glücklich und würden lieber allein sein: Mein Mann will schlafen, mein kleiner Sohn will dauerstillen und ich bin sowieso nur happy.
Wie in der Schwangerschaft angekündigt, zeigt der kleine Bobby* sich fordernd, wenig schlafend und am liebsten in Bewegung. Er stillt in 45-Minuten-Abständen oder gleich ohne Pause, liebt das Tragetuch und ist zwischen 2 und 5 Uhr nachts am aktivsten. Aber daran hat er mich in den letzten Wochen ja schon gewöhnt. In jedem Fall ist er sehr, sehr süß; seine Geschwister streiten permanent, wer ihn halten darf.
*Nein, er heißt nicht Bobby, so nennt ihn unsere Kleine. Inzwischen hat er aber zumindest einen Rufnamen (den möchte ich hier aber nicht öffentlich machen), was in seiner Geburtsurkunde stehen wird, steht noch nicht ganz fest.
Herzlichen Glückwunsch nochmal. Wow, was für ein Bericht. Habe großen Respekt vor deiner entscheidung deinen Sohn zu hause zu bekommen. Liebe Grüße Didi
Hast du schon mal daran gedacht, ein Buch zu schreiben? Du hast echt ein Talent dafür. So ein langer Text ist normalerweise fast anstrengend :) Ich hab auch den größten Respekt vor einer Hausgeburt. Ich hätte zu viel Angst. Und unsere Nachbarn hätten dank sehr dünner Wände wahrscheinlich ihre größte Freude daran :D Alles Gute für dich und deine Familie!
Nicht nur daran gedacht, ich bin Schriftstellerin
Was schreibst du denn? Der Schreibstil macht Lust auf mehr!
Ha, da hast du den perfekten Beruf gefunden.
Nochmal herzlichen Glückwunsch! Danke für den herrlichen Geburtsbericht! Ich musste wirklich herzlich lachen bei euren Zitaten. So ähnlich ging es bei unserer letzten Geburt auch zu. War lustig :) Wir planen eine Krankenhausgeburt und ich befürchte, dass wir uns dann auch sputen möchten. Das erste Mal haben wir von der ersten zur letzten Wehe 5 Stunden gebraucht. Jetzt gehts womöglich schneller und wir müssen auch noch unsere 1,5 jährige Tochter unterbringen. Mal sehen, wie das so klappt. Liebe Grüße
Wahnsinn und sehr lustig! Ich wünschte, ich könnte so gelassen da ran gehen! :D Alles Gute nochmal für euch!
Rattenpack, dein bericht ist grandios. Mehr fällt mir fast nicht ein, du schreibst wunderbar! Wenn meine Geburt nur halb so entspannt und lustig verläuft, bin ich glücklich :-) Man bekommt richtig Lust auf eine Hausgeburt! Nochmal herzlichen Glückwunsch zu deinem Bobby
Alles Liebe zur Geburt und meisterhaft geschrieben! Danke das du uns dran teil haben lässt!
Ich LIEBE deinen Bericht! Danke, dass du dir die Mühe gemacht hast!
Best Geburtsbericht ever
Wunderschön gemacht, liebes Rattenpack. Ich finde es toll, wie souverän du während der Geburt gewesen bist. Ach, ich möchte mir zu gern ein Scheibchen davon abschneiden.
Ich hoffe sehr, dass du uns nach der Geburt weiterhin treu bleiben wirst. Ich wünsche dir alles erdenklich Gute!
Liebe Grüße
Hedonistin
Einschleich von den April 2014-Mamis... Toller Geburtsbericht, und herzlichen Glückwunsch zur Geburt Eures Sohnes. Herrlich!
... ich schleich mich mal ein. Was für ein toller Bericht!!!! Vielen lieben Dank dafür! Dir und deiner Familie alles alles Gute!!! :)
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