Mitglied inaktiv
Ich bin so verzweifelt und möchte so gerne einen Rat. Mein Mann und ich sind beide beta Thalassaemiaträger (sehr leichte Form).Ich habe erst heute erfahren und bereite mich gerade für eine Insemination vor. Bitte sagen sie mir ob ich überhaupt ein Kind haben darf und falls ich schwanger werde,kann man durch die bekannte Untersuchungen (Tests) herausfinden ob das Kind auch eine Thalassaemie trägt (schwerere Form). Was soll ich machen?Was raten Sie mir? Danke, Ruxi
Dr. Wetzel
Ich rate Ihnen einen Genetiker aufzusuchen und eine ausführliche genetische Beratung über das Risiko für das Kind und die entsprechenden Folgen durchführen zu lassen. Ihr Frauenarzt kann Ihnen sicher eine entsprechende Adresse nennen. Ansonsten unter GOOGLE zu finden: Leitlinien zur Diagnostik und Therapie in der Pädiatrischen Onkologie und Hämatologie -------------------------------------------------------------------------------- Die in dieser Leitlinie vorgeschlagenen diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen entsprechen dem allgemein anerkannten Stand der Wissenschaft. -------------------------------------------------------------------------------- Thalassämie E. Kohne und K. Stahnke 1. Krankheitsbezeichnung ß-Thalassämie (ICD-10 D 56.1) - 2. Vorbemerkungen Thalassämien sind genetisch bedingte Störungen der Hämoglobinbildung auf der Grundlage einer verminderten Globinkettensynthese. Die klinisch bedeutsamste Erkrankung ist die ß-Thalassämia major, die als die schwerste, in der Regel homozygote Erscheinungsform definiert ist. 3. Leitsymptome, Klassifikation und Schweregrade Die Thalassämia major manifestiert sich meist innerhalb des 1. Lebensjahres mit Blässe, Ikterus, Gedeihstörung und Hepatosplenomegalie; bei unzureichender Therapie kommt es zur Wachstumsretardierung, gehäuften Infektionen und Knochendeformierungen mit charakteristischer Fazies. Unter den hämatologischen Symptomen dominiert die schwere, hypochrome Anämie mit hochgradig ineffektiver Erythropoese. Im Laufe der Erkrankung kommt es zu einer ausgeprägten Hämosiderose. Die Patienten sind lebenslang transfusionsbedürftig, unbehandelt sterben sie vor dem 6. Lebensjahr. 4. Diagnostik 4.1. Ausschlußdiagnostik Eine Thalassämia major ist ausgeschlossen bei einem Patienten mit altersentsprechendem Hämoglobinmuster bzw. wenn bei einem Patienten ohne Dauertransfusionstherapie der Blutfarbstoff nicht überwiegend aus HbF besteht. 4.2. Nachweisdiagnosik Eine Thalassämia major ist wahrscheinlich bei einem 4-12 Monate alten (selten älteren) Kind aus einem Hauptverbreitungsgebiet, mit mikrozytärer hypochromer Anämie, Hepatosplenomegalie und mangelhafter körperlicher Entwicklung. Die Diagnostik umfaßt obligat die hämatologischen Basisparameter, den klinisch-chemischen Nachweis der Eisenverwertungsstörung sowie eine Hämoglobinanalyse. Gesichert wird die Diagnose durch den erhöhten HbF-Anteil, bzw. durch den Nachweis eines anomalen Hämoglobins (z.B. Hb Lepore). 4.3. Entbehrliche Diagnostik Bei Kindern mit typischer klinisch-hämatologischer Symptomatik und ethnischer Abstammung sind weitere Maßnahmen auf dem Gebiet der Anämie-Diagnostik entbehrlich. 4.4. Zielsetzung einzelner diagnostischer Verfahren HbF-Zellen-Färbung und quantitative HbF-Bestimmung dienen dem Nachweis der HbF-Vermehrung, die Hb-Elektrophorese der vollständigen Analyse des Hämoglobinmusters. Familienuntersuchungen (Blutbild, Hb-Elektrophorese) und die molekulargenetische Identifikation der Thalassämiemutationen sind für die genetische Beratung, vielfach auch für prognostische Fragen unerläßlich. 4.5. Erforderliche Labor- und apparative Untersuchungen Sämtliche bei Diagnosestellung und bei Verlaufskontrollen zur Beurteilung von Organschäden empfohlene Maßnahmen sind wie folgt zusammengefaßt (N=notwendige Verfahren, E=im Einzelfall nützliche Verfahren). Diagnose Hämatologische Basisdiagnostik Hb Analyse DNA Analyse Familienuntersuchung N N E N Transfusion Blutgruppe mit Untergruppen Antikörpersuchtest Serologie Hep B/C, HIV, CMV N N N Eisenstoffwechsel Ferritin, ggf. CT, MRT, oder Squid N Leberfunktion GOT, GPT, gammaGT, Bilirubin, ges., dir., Albumin, Cholinesterase, Quick N Kardiologie EKG, Echokardiographie Langzeit-EKG, Doppler-Echo Thoraxübersicht N E E Endokrinologie Percentilenkurve Knochenalter/-mineralisation T3, T4, TSH Calcium, alkalische Phosphatase Parathormon, Cortisol oraler Glukosetoleranztest LH RH-Test und Wachstumshor- montest nach 10. LJ N E N N N N N DFO Toxizität Fundusskopie Spaltlampenuntersuchung Visusprüfung/Farbsehprüfung Audiometrie Kreatinin i.S. Kreatinin-Clearance N N N N N N Sonstiges Ultraschall des Abdomens Knochendichtemessung N E 5. Therapie Zur Festlegung des therapeutischen Vorgehens sollte der Patient in einem pädiatrisch-hämatologischen Zentrum vorgestellt werden. 5.1. Kausale Behandlung Eine kausale Behandlung der Thalassämia major ist derzeit noch nicht möglich. Als kurativer Ansatz kommt für einen Teil der Patienten die Knochenmarktransplantation zum Einsatz, die bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen (HLA-identischer Familienspender, Fehlen schwerer Hämosideroseschäden) die Therapie der Wahl darstellen kann. 5.2. Symptomatische Behandlung Die symptomatische Therapie der Thalassämia major beinhaltet ein regelmäßiges Transfusionsprogramm in Kombination mit einer Chelattherapie zur Verhinderung oder Verlangsamung der Eisenüberladung des Organismus. Für die Standardtherapie wird ein Protokoll verwendet, das sich zusammensetzt aus einer in vorgegebenen Abständen festgelegten Erythrozytensubstitution und einer täglichen Gabe des Eisenchelatbildners Deferoxamin (DFO, Desferalâ). Im Verlauf der Erkrankung auftretende Organschäden an Herz und Endokrinium erfordern eine Behandlung mit herzwirksamen Medikamenten beziehungsweise eine Hormonersatzbehandlung. Als Indikation für den Beginn der Transfusionsbehandlung gilt ein Absinken der Hämoglobinkonzentration auf unter 8 g/dl. Der empfohlene Basis-Hb Wert zur permanenten, wirksamen Suppression der endogenen Erythropoese beträgt trotz nicht eindeutiger Daten 10,5 g/dl. Als Transfusionsintervall wird ein 3-wöchiger Abstand empfohlen, als Zielgröße nach jeder Transfusion ist eine Hb-Konzentration von 13-14g/dl anzustreben. Optimale Erythrozytenpräparationen (EK) sind möglichst frische, untergruppenkompatible, leukozytenarme Konzentrate, die auf Virussicherheit (Hepatitis B,C; HIV) geprüft wurden. 5.3. Medikamentöse Therapie: Eisenelimination mit Deferoxamin (DFO, Desferal®) Die Indikation zum Beginn der DFO-Gaben wird gestellt bei einem Serum-Ferritinwert von 1000 ng/ml, der etwa nach 15 Transfusionen im Alter von 3 Jahren erreicht wird. Als Applikationsmodus des DFO hat sich die tägliche subkutane Infusion in einer Dosis von 40 mg/kgKG mit einer tragbaren Pumpe über 8-10 Stunden während der Nacht bewährt. In besonderen Fällen kann auch eine i.v. Therapie indiziert sein. Vitamin C 100 mg pro Tag verbessert die Eisenelimination mit DFO. Die Nebenwirkungen des Deferoxamin und Empfehlungen zu deren Vorbeugung müssen strikt beachtet werden. 5.4. Interventionelle Therapiemaßnahmen 5.4.1. Schwere Komplikationen der Hämosiderose: Bei akuter Herzinsuffizienz infolge einer Kardiomyopathie, schweren Herzrhythmusstörungen, diabetische Stoffwechselentgleisung, u.a. Komplikationen ist eine entsprechende Notfallversorgung durchzuführen. Die Herzinsuffizienz kann durch eine kontinuierliche intravenöse DFO-Therapie gebessert werden; aufgrund der Gefahr einer DFO-Toxizität sollte diese Therapie in enger Absprache mit einem in der Thalassämiebehandlung erfahrenen Hämatologen erfolgen. 5.4.2. DFO-Therapie: Bei fieberhaften Infekten muß die DFO-Gabe abgesetzt werden und ein Yersinien-wirksames Antibiotikum, z.B. Co-trimoxazol gegeben werden. 5.5. Chirurgische Therapiemaßnahmen Die meisten Patienten entwickeln eine Milzvergrößerung, früher oder später mit Hypersplenie-Syndrom. Die Splenektomie ist indiziert bei großem tumorösem Milzorgan mit Zunahme des Transfusionsbedarfs auf 240-260 ml Erythrozytenkonzentrat/kgKG/Jahr und Granulozytopenie und/oder Thrombozytopenie. 6. Habilitation und Rehabilitation Die sozialpädiatrischen Probleme in der Langzeitbetreuung der chronisch kranken Patienten müssen angemessen berücksichtigt werden. 7. Prophylaxe (primäre Prävention) Eine sorgfältige genetische Familienberatung muß sichergestellt werden. Eine Pränataldiagnostik mit der Möglichkeit einer Interruptio durch eine DNA-Analyse von Chorionzottengewebe oder kultivierten Amniozyten ist möglich. Für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene (im Reproduktionsalter) aus Risikoländern sollte auch in Deutschland ein Thalassämie-Screening eingeführt werden. Literatur Kohne, E., K. Stahnke, A.E. Kulozik, E. Kleihauer: Multizentrische deutsche Thalassämie-Studie. Klin. Pädiat. 204 (1992) 258-263 Kulozik, A.E.: b-Thalassämie - Grundlagen, derzeitige Therapieempfehlungen und Perspektiven. Beih. Klin. Pädiat. 100, Hrsg. E. Kleihauer und A.E. Kulozik (1994) Enke Verlag Stuttgart Luccarelli, G. und Mitarb.: Marrow transplantation in patients with thalassemia responsive to iron chelation therapy. New Engl. J. Med. (1993) 840-844 Porter, J.B., E.R. Huehns: The toxic effects of desferioxamine. Baillieres clin. Haematol. 2 (1989) 459-474 Propper, R.D. und Mitarb.: Continuous subcutaneous administration of deferoxamine in patients with iron overload. New Engl. J. Med. 297 (1977) 418-422 Rebulla, P., B. Modell: Transfusion requirements and effects in patients with thalassaemia major. Lancet 337 (1991) 277-280 Weatherall, D.J., J.B. Clegg: The Thalassaemia Syndromes. Oxford, Blackwells 1981 Viele Grüße, I.V.Dr.Wetzel, Graeber