Frage: Die buckelige Verwandtschaft;-)

Hallo, ich muss nochmal was fragen: Unser Sohn ist noch keine 10 Monate alt und ich stille noch zum Schlaf und nachts. Anfangs habe ich da aus dem sozialen Umfeld auch viel Zuspruch erhalten ("Toll dass das so klappt" etc.) Seit einigen Wochen erhalte ich jedoch immer öfter Stirnrunzeln, wenn es auf das Thema zu sprechen kommt ("Wie, Du stillst immernooooch?"). Ja, und vielleicht tue ich das auch noch eine ganze Weile (Ich Freak;-)) An sich stören mich die andren nicht -sollen sie denken, was sie wollen. Aber ich dachte, vielleicht habt Ihr einen Tipp, wie ich gut auf diese abschätzigen Bemerkungen reagieren kann!? Liebe Grüße

Mitglied inaktiv - 31.05.2013, 22:12



Antwort auf: Die buckelige Verwandtschaft;-)

Liebe yvi_f , stell dir mal vor, es gäbe für dich kein Internet, Du bist in einer Gesellschaft groß geworden, in der überspitzt ausgedrückt der Herr Pfarrer, der Herr Lehrer und der Herr Doktor für die große Mehrheit der Menschen eine unangefochtene Autorität sind und Du erlebst, dass sich in der Technik fortwährend riesige Neuheiten auftun. Von frühester Kindheit an wirst Du geprägt durch das Verhalten deiner Eltern, die in bester Absicht und nicht selten gegen ihr Gefühl handeln, weil "man" Kinder so erziehen muss. Die Medien, die dir zur Information zur Verfügung stehen sind eher einseitig und Vorbilder, die von dem, was die Mehrheit tut, abweichen, gibt es ebenfalls so gut wie keine. Wie würde wohl dein Weltbild aussehen? In dieser Situation haben sich unsere Mütter und Großmütter befunden und sie haben das getan, was aus ihrer Sicht heraus, das Beste für ihre Kinder uns war. Ich kenne eine Frau, deren erster Sohn 1958 geboren wurde. Sie hat erzählt, wie sie weinend neben dem Bett ihres ebenfalls weinenden Kindes saß und die Minuten gezählt hat, bis sie ihn aus dem Bett herausnehmen und füttern durfte. Aber sie wollte ihrem Kind ja auf keinen Fall schaden, also hat sie sich strikt an die Anweisung des Arztes gehalten. Ihr Baby hatte wie sich wenige Wochen nach der Geburt herausstellte einen Herzfehler und musste ins Krankenhaus. Diese Mutter hat es 1958 (!) durchgesetzt, dass sie mit ins Krankenhaus konnte. Aber sie hat sich all die langen Wochen nicht getraut, ihr Kind aus dem Krankenhausbett zu nehmen, wenn es nicht gerade die offizielle Fütterzeit war oder das Kind gewickelt wurde. Sie hat mit aller Kraft ihre Tränen unterdrückt und neben ihrem Kind ausgeharrt, froh, dass sie zumindest in seiner Nähe bleiben durfte. Auf keinen Fall wollte sie riskieren, dass sie dieses in den Augen der Ärzte riesige Privileg am Tag auf einem Stuhl neben ihrem Kind zu sein und es selbst füttern und wickeln zu dürfen, verliert. Kannst Du dir vorstellen, wie diese Frau sich gefühlt haben muss und wie sie sich heute fühlt, wenn sie ihre Schwiegertochter mit den Enkeln erlebt? Diese Frau war mit Sicherheit eine Pionierin, eine Revoluzzerin, die immerhin den Mut hatte, sich gegen eine vollständige Trennung von ihrem kranken Kind aufzulehnen. Aus heutiger Sicht lässt sich leicht sagen "Warum hat sie nicht auf ihr Gefühl gehört und ihr Kind in den Arm genommen?" Wir heute haben die Möglichkeit, uns zu informieren, eine zweit oder dritte (ärztliche) Meinung einzuholen, die Klinik zu wechseln. Doch welche Möglichkeiten standen unseren Müttern offen? Unseren Müttern wurde einleuchtend erklärt, warum sie wie mit ihren Kindern umzugehen hatten und sie haben es geglaubt. Ich denke sogar, sie hatten oft gar keine andere Wahl als das zu glauben, was ihnen gesagt wurde und was sie in der ihnen zur Verfügung stehenden Literatur nachlesen konnten. Wie alle Mütter wollten sie nur das Beste für ihre Kinder und das Beste war laut damaligen Zeitgeist nicht die Muttermilch. Hochglanzbroschüren mit Bildern von glücklichen, wohlgenährten Babys und ihren strahlenden Müttern gab es auch damals und die Skepsis gegenüber dem gedruckten Wort war noch nicht so verbreitet wie heute. Der Geist der Zeit lautete "sei modern" und stemme dich nicht gegen den Fortschritt. Stillen war sicher nicht modern. Nun erleben unsere Mütter heute als Großmütter, dass wir es so ganz anders machen. Sie sehen, dass wir andere Entscheidungen treffen, Autoritäten anzweifeln und andere Prioritäten setzen. Ein Teil unserer Mütter wird voll Wehmut erkennen, dass wir das leben, was sie in ihrem Inneren gefühlt und nicht gewagt haben. Das sind Mütter wie die Frau, die ich oben erwähnt habe. Sie leidet heute nochmals, wenn sie erlebt, wie ihre Schwiegertochter stillt und ganz selbstverständlich das Kind jederzeit auf den Arm nimmt, im Tragetuch trägt und all die Dinge tut, die ihr vor über 40 Jahren verwehrt wurden. Doch ein Teil unserer Mütter sieht nur, dass es jetzt anders ist und fühlt sich dadurch angegriffen und vor den Kopf gestoßen. Unsere Art, mit den Kindern umzugehen und das Stillen, stellt in Frage, dass sie gute Mütter waren (und sind). Es ist für sie schwer zu akzeptieren, dass es heute "anders" ist, denn das gibt ihnen das Gefühl, dass sie "falsch" gehandelt haben ein schlechtes Gefühl. Sie können kein Vertrauen in die Muttermilch haben, weil ihnen dieses Vertrauen gründlich abtrainiert wurde und dazu kommt dann in vielen Fällen auch noch dieses unangenehme Gefühl, das einen Menschen beschleicht, der erlebt, dass sein eigenes Verhalten als falsch hingestellt wird. Je älter ich werde und vor allem je älter meine Kinder werden, um so mehr beschäftigt mich dieses Thema und damit auch der Gedanke, wie wird es sein, wenn meine Kinder Eltern werden, wie werde ich mich fühlen, wenn sie andere Wege gehen als ich sie gegangen bin? Es ist wirklich ein schwieriges Thema und es ist sicher wichtig, dass wir uns ab und zu bewusst machen, dass unsere Mütter uns nicht in besserwisserischer Form ärgern wollen, sondern damit zurecht kommen müssen, dass ihr Weltbild auf den Kopf gestellt wird. Versuche, ihr in aller Ruhe und mit Liebe zu erklären, dass es dich verletzt, wenn sie dir nicht vertraut und dir ihre Meinung aufdrängen will. Ich kann mich heute schmunzelnd daran erinnern, als ich meinem Sohn einen Kuchenkrümel aus dem Mund gefischt habe und meine Schwiegermutter zornentbrannt den ganzen Kuchen in die Tonne geschmissen hat, weil ihr Kuchen ja nicht gut genug ist. Es gab erst einmal Tränen auf beiden Seiten, dann ein gutes und ehrliches Gespräch (zugegeben, es hat etwas gedauert : ) ) heute vertraue ich ihr voll und ganz, sie kennt meine Grenzen und ich ihre. Ich weiß, dass sie meine Kinder liebt und mich nicht ärgern will, trotzdem ist es natürlich wichtig, dass sie in unserem Sinne handelt und das ist wurde nur möglich durch viel Reden und Verständnis von beiden Seiten. Ich hoffe, es klappt bei dir bald besser! LLLiebe Grüße Biggi

von Biggi Welter am 31.05.2013



Antwort auf: Die buckelige Verwandtschaft;-)

Hallo Yvi_f, schau doch mal bei www.stillkinder.de nach. Da gibts eine Rubrik in der Tipps gegeben werden, wie man die pucklige Verwandtschaft auf Abstand halten kann. Wir stillen seit 19 Monaten, und ich habe die Erfahrung gemacht, dass es gut ist, gar nicht viel dazu zu sagen. Ist aber eine Typfrage. Wer sich ernsthaft Gedanken macht, dem erzähle ich dann was von den WHO-Empfehlungen (stillen "2 Jahre oder darüber hinaus, so lange es Mutter und Kind wollen"). Das mit den 6 Monaten bezieht sich auf das VOLLE Stillen ohne Beikost. Gut hat sich gemacht, wenn andere Mütter so fragen, zu antworten: "Was, du gibst immer noch die Flasche??" ;-) Mit Humor trägt sich die Unkenntnis und das Unverständnis der Anderen besser. ;-) Ich wünsch Dir ein ganz dickes Fell und eine gute Stillgruppe in der Nähe zwecks Austausches! Liebe Grüße Sileick

Mitglied inaktiv - 31.05.2013, 22:25



Antwort auf: Die buckelige Verwandtschaft;-)

Biggi,das hast du sehr schön geschrieben,mit sehr viel Liebe,Respekt und Verständnis für unsere Mütter und Großeltern! Die Geschichte von der Frau damals hat mich richtig berührt,mußte ein paar Tränen lassen. Meine Schwester hatte es auch nicht leicht in den 80igern in der DDR damals,sie war eine der Wenigen die bis zum 9.Monat stillte (das war damals lange),alle anderen um sie herum stillten nur gaanz kurz und zeigten aber Unverständnis für ihr langes Stillen.Es war damals so. Meine Schwester ließ ihn ihren Sohn nie schreien,nahm ihn auf den Arm,andere Mütter spotteten und ließen ihre Babys ewig weinen und schreien im Bett,schoben das Kinderbett sogar in ein anderes Zimmer um das Schreien nicht ertragen zu müssen.Manche lobten sich selbst sogar dafür ganz stolz,das sie es durchhielten und nicht nachgaben.Das war so üblich in der DDR,aber auch heute gibt es Mütter,die es ähnlich machen und dann sagen ''früher hatte man das auch so gemacht''. Ich bin froh,das es heute eine andere Zeit ist und mein Kind in dieser neuen Zeit aufwächst...

von Greenamy am 01.06.2013, 10:28



Antwort auf: Die buckelige Verwandtschaft;-)

Ooohja, das kenne ich auch. Bei uns waren in letzter Zeit viele Familienfeiern und jedes Mal wurde ich gefragt, wie lange ich denn noch stillen möchte. Meine Kleine ist jetzt erst 5 monate und die 6 möchte ich voll machen und dann mit Beikost beginnen. Ich durfte mir immer anhören, dass ihre Kinder mit 6 Monaten ja schon Knödel mit Sosse gegessen haben... Ja, kla...

von Würmli01 am 03.06.2013, 12:34



Antwort auf: Die buckelige Verwandtschaft;-)

Das Erschreckende ist ja: die Generation hat ihre Kinder tatsächlich so früh mit Knödeln vollgestopft! Mit 6 Wochen Zwieback? Kein Ding. Mit 3 Monaten Brotrinde? Immer rein damit. Das Superargument ist ja "die Kinder sind auch alle groß geworden. Es hat ihnen nicht geschadet." Egal. Ich mache es anders. Ich stille solange Mausn und ich das möchten und können. Basta.

von Jendriks_Mama am 04.06.2013, 00:40



Antwort auf: Die buckelige Verwandtschaft;-)

Interessant ist, dass diese Ernährungsfragen noch vor dem 2. Weltkrieg ganz anders gesehen wurden. Da hatte nämlich niemand die Meinung, die Kinder äßen zu wenig. Da rieten die Ärzte, wenigstens 12 Monate ausschließlich zu stillen, weil die Nahrung zu sehr schaden könnte. Da führte man in den darauffolgenden JAHREN langsam bestimmte Nahrungsmittel ein, Fleisch mit als Letztes (keine Frage, ob das Kind wohl so genügend Eisen bekäme). So ändern sich die Vorstellungen, und wir werden mit ihnen groß und hängen in unserer Kultur fest. Wenn wir uns nun aufgrund "besseren" Wissens (oder neueren?) entscheiden, Dinge zu verändern, dann stoßen wir auf Widerstand. Schon immer galt: "Andersdenkende werden saktioniert." Und die Milchindustrie bzw. die Riesenlobby der Kindernahrungsproduzenten haben über ein Jahrhundert ganze Arbeit geleistet und eine gesamte Kultur durch ihre Werbung und Strategien verändert. So haben wir schon im Krankenhaus mit Menschen zu tun, die eben Teil dieser Kultur sind und uns so beraten, wie es uns eben nicht hilft, erfolgreich stillen zu lernen. Dann kommen die Kinderärzte und -ärztinnen, die ebenfalls noch in großer Zahl "alte" Vorstellungen haben, sie kommen ja wie wir aus dieser Zeit, und die uns abermals verunsichern und unangemessen beraten. Dann kommen all die Fachleute (Allgemeinärzte, Spezialärzte, nicht fortgeblidete Psychologen, ErzieherInnen, Lehrende), die uns kritisch beäugen und weismachen wollen, dass unsere Zusammenarbeit mit dem Kind, das seine Bedürfnisse anmelden und selbstständig erfüllen darf und kann, falsch sei und eine große Gefahr für das Kind oder uns bedeute: Das Kind würde nicht selbständig werden, es könnte sich nicht von der Mama loslösen, Mama würde "ausgelaugt", Mama würde das Kind für die eigenen Bedürfnisse ausnutzen, das Kind würde ein Tyrann werden, es würde NIE lernen, selbst einzuschlafen oder allein zu schlafen, es könnte auch später nie auf Klassenfahrten mitkommen, weil es dann allein Angst hätte. Angst ist der Haupthebel, den diese Menschen verwenden, meist ohne es zu merken, um uns zu verunsichern und von dem Weg abzubringen, von dem wir aber instinktiv merken, wie gut und richtig er für alle Beteiligten ist und der, ungeachtet all der "alten" Fachleute schon längst als der natürliche, artgerechte und für die Kinder stark machende erwiesen ist. Die Hirnforschung hat so vieles möglich gemacht! Am Anfang und Ende dieses Weges stehen schließlich noch alle die Besserwissenden, zu denen wir, wenn wir ehrlich sind, vielleicht auch mal gehört haben. Sie beäugen uns mit misstrauischen Blicken, kritisieren, mahnen, finden manches "abartig" (obwohl es eben nicht ab-Art-ig ist, sondern Art-gerecht), fühlen sich selbst provoziert (ohne sich zu fragen, warum sie eigentlich darauf so anspringen) und versuchen nicht selten, vor allem aus unserer Elterngeneration, mit heftiger Vehemenz einzugreifen und "Machtworte" zu sprechen, die uns das Leben schwer machen. Immer wieder kann man sich nur sagen: "Andersdenkende, und damit anders Handelnde, werden sanktioniert." Das hat aber nichts damit zu tun, dass sie einen falschen Weg gingen. Sie zeigen den anderen Menschen, wie diese es auch hätten machen können, möglicherweise signalisieren sie sogar, dass das ein sehr schöner, genießenswerter Weg ist. Und damit legen sie den Finger in die Wunde anderer, die da heißt, nicht getragen, gestillt, "verwöhnt" worden zu sein und damit zeitlebens eine unerfüllte Sehnsucht in sich zu tragen, die unerfüllt bleiben muss, da die Zeit dafür vorbei ist. Sie pieken bei anderen Müttern in die oft schon vernarbte Wunde, die da heißt, das eigene Kind wider dem eigenen Bauchgefühl eben nicht anders als die eigene Umwelt behandelt zu haben, es möglicherweise auf diese Weise im besten Wissen gequält oder mindestens emotional mehr oder weniger verwahrlost aufwachsen lassen zu haben. Ich denke, die heute nach Bedarf und lange stillenden Frauen sind eine Riege von Frauen, die ein ganz neues Gefühl des Frauseins leben, das sich die Emanzipationsfrauen nicht leisten konnten und wollten, weil sie damit zu tun hatten, Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau schaffen zu wollen, was häufig erst einmal mit Gleichheit in Leben und Beruf verwechselt wurde. Der nächste Schritt ist eine Gesellschaft von Frauen und Männern, die das Muttersein nach Kräften unterstützt, und zwar so, wie es die jeweilige Mutter eben braucht, um ihr/e Kind/er erfolgreich und gesund großzuziehen. Für manche bedeutet das Unterstützung, schnell wieder in den Beruf einsteigen zu können (Stillzeiten, Stillräume, private Möglichkeiten, abzupumpen, angemessene Kinderbetreuung vor Ort usw.), und für andere heißt das, Hilfe im Haushalt, fürs Einkaufen, mehr Orte, an denen sich ausgetauscht und weitere Bezugspersonen für das Kind gewonnen werden können, flexiblere und familienfreundlichere Arbeitszeiten für die Väter, kompetente (im Sinne des Stillens) Beratung durch Fachpersonen usw. Und schließlich wünscht frau sich eine Gesellschaft, die einfach akzeptiert und mitträgt, welchen Weg sie als Mutter geht, so lange sie es mit Liebe und Fürsorge tut. Das ist die Utopie. Wir sind hier, so denke ich immer wieder, wenn ich all die Fragen und Antworten in diesem Forum lese, eine Übergangsgeneration, die letztendlich entscheiden wird, wohin der Weg weiter geht: artgerecht oder artfremd mit unseren Kindern umzugehen und ihnen so gerecht zu werden oder auch nicht. Wir können die Verwandtschaft nicht ändern. Bei Biggi haben Gespräche geholfen, das ist schön! Manche sind zu verfestigt und misstrauisch, da sind Gespräche, erst Recht im Vertrauen, nicht möglich, und es bleibt nur die Möglichkeit, eine gewisse Distanz zu halten, wenn zu militant versucht wird, einzugreifen. Also ich wünsch Euch allen hier ganz viel Erfolg dabei, die richtige Mitte zwischen Selbstschutz und Kompromissfähigkeit zu finden und mit Euren Kindern viele glückliche, wunderschöne, unwiderbringlich schon vergangene Stunden erleben zu können! Alles Liebe! Sileick

Mitglied inaktiv - 09.06.2013, 15:09