Frage: Stress am Familientisch

Sehr geehrte Frau Neumann, ich hadere zur Zeit ziemlich mit dem Thema "Übergang zum Familientisch". Unser fast 10-Monate alter Sohn ist ein sehr aufmerksames und lebhaftes Kind, wodurch er einerseits sehr gerne Neues ausprobiert und dazulernt, sich andererseits aber auch schnell langweilt und dazu noch "ganz genau weiß was er will" :) Ich habe bereits ein paar Dinge ausprobiert, wie er Schritt für Schritt mehr normal am Familientisch mitessen könnte, stoße aber leider überall auf Schwierigkeiten bzw. komme nicht so recht weiter. Ich hoffe Sie können mir helfen, da das gemeinsame Essen mittlerweile schon richtiger Stress für mich ist und ich ihm dadurch nicht seine (große!) Freude am Essen verderben will. Folgende Schwierigkeiten haben wir: 1. Brei: Wenn wir zeitlgleich auch essen verweigert er den Brei mittlerweile oft und beginnt nach spätestens 3-4 Löffeln im Hochstuhl aufzustehen, den Löffel wegzuschlagen und zu versuchen nach unseren Tellern / Essen zu greifen. Alles, was man ihm vom Teller der Eltern in den Mund gibt isst er dann recht motiviert. Da er aber noch kein Salz essen soll und auch erst ein bisschen Kauen kann schaffe ich es einfach nicht, unsere Gerichte immer so zu kochen, dass man ihm bedenkenlos davon abgeben kann. 2. Fingerfood: Er nimmt Fingerfood wie zb Gemüsesticks oder weiche Nudeln zwar sehr gut an, aber er isst davon selbst bei sehr großem Hunger meist nur wenige Bissen und hat danach fast immer noch Hunger (den stille ich dann meistens mit Milch, was bei ihm aber mittlerweile nicht mehr sehr lange vor- bzw satt hält). Er beißt meistens ein Gemüse nach dem anderen an, schmeißt den Rest dann zu Boden und schnappt sich das nächste. Nach besagten 3-4 Bissen wird dann eigentlich nur noch gegriffen, zerdrückt und fallengelassen. Völlig unabhängig vom Lebensmittel / Konsistenz / Geschmack (also auch bei Dingen, von denen wir wissen, dass er sie gerne isst. Gibt man ihm dann kleine Stücke Fingerfood direkt in den Mund isst er meist noch etwas mehr. Ich hätte an sich kein Problem damit, wenn er bei einer Mahlzeit nicht viel isst, aber er ist gleichzeitig sehr schnell sehr "unleidig" wenn er Hunger hat und ich kann ihn nicht stündlich füttern bzw. will ihm auch nicht angewöhnen, den ganzen Tag über ständig zu essen. 3. Selbst Essen: Leider ist er noch kaum in der Lage selbst Dinge zu essen, die nicht "Stick" Form haben, da er kleingeschnittenes Essen (z.B. ein Kartoffelwürfel) zwar gut greift, aber fast nie versucht in den Mund zu stecken. Mit dem Löffel selbst essen klappt ein bisschen, wenn man den Löffel befüllt, aber nur mit Dingen, die nicht vom Löffel fallen können wie z.b. sehr zäher Haferbrei o.ä. Haben Sie Ideen, wie ich am besten vorgehen sollte, damit wir bald alle mit Spaß gemeinsam am Familientisch essen können? Ist das einfach eine Phase, durch die man durch muss, oder machen wir es verkehrt? Gibt es noch andere Methoden, wie er sich schon jetzt mehr selbst füttern könnte? Und müsste ich bei seinem Verhalten am Tisch eigentlich auch schon "erzieherisch" Dinge unterbinden? Momentan tue ich das nämlich praktisch nicht, da er meiner Meinung nach ja nur aus Neugier / Ungeduld so handelt und noch nicht verstehen würde, dass das für andere am Tisch anstrengend oder stressend ist. Entschuldigung für den Roman und besten Dank vorab! Herzliche Grüße, Andrea

von AndreaZ am 04.05.2021, 13:15



Antwort auf: Stress am Familientisch

Hallo AndreaZ der Übergang von Brei über festere Kost und breifreien Speisen hin zum Familientisch kann Eltern stark herausfordern. Es gibt auch leider kein Patentrezept, auch wenn die üblichen Beikostpläne dies suggerieren. Die Beikostpläne geben eine grobe Orientierung vor. Im Idealfall verläuft der Übergang zum Familientisch unkompliziert, nebenbei und für alle Beteiligten vollkommen stressfrei. Dieser Idealfall stimmt mit der Realität doch selten überein. Jedes Baby entwickelt sich in seiner ganz individuellen Weise und Zeit, so dass man als Eltern den Übergang am besten meistert, wenn man auf das eigene Baby schaut und so fordert und fördert, wie es am besten passt. Beginnt bspw morgens mit einem Angebot aus Brotstückchen und weichen Obststücken. Dein Baby solllte sich das Frühstück alleine mit den Händen in den Mund befördern. Auch wenn dies am ersten Tag noch nicht gut klappt, so wird die Kontinuität im Angebot langfristig den gewünschten Effekt herbeiführen. Bis das alles gut klappt, vergeht bestimmt eine Weile. Doch diese sanften und zwanglosen Übergänge schulen alle Sinne, einschließlich die motorischen Fähigkeiten. Brot zu kauen stärkt zudem die Kaumuskulatur. Wenn dein Baby gezielt zugreift und die Brotstückchen in den Mund nimmt, dann weißt du dass dein Kind definitiv bereit ist für die Familienkost. Die Beikostempfehlungen geben eine Orientierung vor. Der Zeitpunkt ab dem 10. Lm ist als eine grobe Zeitphase zu sehen, ab welcher viele Babys in der Lage sind, aufgrund ihrer Entwicklung, dass sie Familienkost (mit)essen könnten. Die Entwicklungsphase um den 10. Lm herum ist gekennzeichnet dadurch, dass Babys einen großen Entwicklungs-und Wachstumsschub machen. Auch im motorischen und kognitiven Bereich sind große Fortschritte bemerkbar. Es ist also nicht so, dass die Familienkost ab dem 10. Lm eingeführt werden muss, sondern vielmehr eingeführt werden kann, wenn das Baby so weit ist. Das zu wissen ist für Eltern sehr hilfreich. Babys zeigen dies, weil sie ihre Essgewohnheiten ändern. Manche Babys möchten plötzlich gar keinen Brei mehr essen. Manche wollen nicht mehr gefüttert werden, manche essen plötzlich sehr viel weniger als gewohnt. Manche Babys möchten viel seltener gestillt werden und manche werden sehr aktiv und neugierig. Manche Babys darf oder muss man ggf etwas mehr fordern und ermutigen - bedürfnisorientiert und individuell. Als Eltern hat man oft die Vorstellung, dass die Beikost und der Übergang zur Familienkost planbar sei und Schritt für Schritt abläuft. Doch in den meisten Famliien passiert das doch in eher einer scheinbar chaotischeren Weise ohne logischen Aufbau. Und das ist völlig in Ordnung. Weiterhin gibt es jetzt Milch (Säuglingsmilch oder stillen, Muttermilch) und Brei soweit es klappt. Dazu gibt es breifreie Angebote und on top die Familienkost. Familienkost darf gewürzt sein, sie darf Salz enthalten - denn sie ist ein Zusatzangebot - zum kennenlernen. Wenn ein Baby wirklich nur noch ausschließlich Familienkost isst, sollte diese natürlich ebenfalls eher weniger Salz, Zucker und Co enthalten, aber dazu später mehr. Zunächst würde ich dir raten darauf zu achten, dass dein Baby während den Mahlzeiten wirklich gut und sicher sitzt. Schau, dass seine Füße auf einer Unterlage Halt finden und er dadurch sicher und schaukelfrei sitzt, er dadurch seine beiden Hände frei bewegen kann, ohne hin und her zu wippen. Lege vor ihn, gut sicht- und greifbar, verschiedene weiche Stückchen hin. Vermeide es, deinem Baby die Stückchen in den Mund zu geben und lass ihn alle Speisen selbständig greifen und befühlen. So kann er die Stückchen selbständig an und in den Mund führen, um diese vielleicht zu essen. Mit der festen Kost erlebt dein Baby nicht nur Geschmack, sondern auch Konsistenz. Und auch an diese muss er sich erst gewöhnen. Das Essen lernen kannst du ein bisschen mit dem Besuch eines Spielplatzes vergleichen. Auch am Esstisch kannst du dein Baby begleiten und altersentsprechend, dem Entwicklungsstand entsprechend, den motorischen Fähigkeiten entsprechend fordern, fördern ohne zu überfordern. Beobachte dein Baby und reagiere angemessen auf den Ist-Zustand. Was kann dein Baby und was kann es noch nicht? Wo kannst du vielleicht etwas mehr fördern und wann ist es besser zu stoppen? Fließende Übergänge kannst du durch zwanglose und gemeinsame Familienmahlzeiten erreichen. Etabliere neue Gewohnheiten. Lass dein Baby einfach von geeigneten Speisen probieren. Gib deinem Baby viele Gelegenheiten, um neue Eindrücke durch selbständiges Entdecken der Speisen zu erleben und biete immer eine Basis mit Speisen, Zutaten und Gerichten, die dein Baby gut und verlässlich isst. Das was dein Baby in großen Mengen isst, das was du explizit für dein Baby zubereitest, das solltest du weiterhin salzfrei machen. Auch Breie sollten wie bisher möglichst einfach aufgebaut sein. Familienkost ist das, was alle essen. Daran soll sich dein Kind gewöhnen. Es soll den authentischen Geschmack, das Aroma kennenlernen. Nur wenn es partout als nicht geeignet gilt, solltest du das modifizieren. Unter Familienkost versteht man nicht nur die Speise an sich. Familienkost bedeutet auch das gesamte Arrangement bei Tisch. Es ist der gemeinschaftliche Aspekt der Mahlzeit. Das gemeinsame Sitzen und Essen. Das Sehen der gedeckten Speisen bei Tisch, Das Sehen der anderen Esser bei Tisch. Das gemeinschaftliche Erlebnis, wenn alle das gleiche essen. Dein Baby möchte imitieren. Es möchte das gleiche haben wie ihr Eltern. Es zählt nicht die Quantität sondern eher Qualität und es zählt eher der Gesamteindruck. Dein Kind erlebt nicht nur den Geschmack, sondern ebenfalls die Struktur und Konsistenz, die Temperatur, Gesichtsausdrücke von euch Eltern, die Haltung von euch Eltern und vieles andere mehr. Deinem Kind macht es momentan Spaß, querbeet alles durcheinander zu befingern und auf diese Weise kennenzulernen. Probiere es doch vielleicht mal aus, dass du deinem Baby zu Beginn der gemeinsamen Mahlzeit einen Probierteller mit geeigneten Speisen gibst, ihn damit machen lässt was er will. Und anschließend kannst du den gewohnten Brei füttern. Lass ihn ggf auch selbst löffeln und gib ihm eine kleine Hilfestellung. Also dann Grüße Birgit Neumann P.S. schau auch einmal hier: https://www.rund-ums-baby.de/experten/kochen-fuer-kinder/Mahlzeiten-fuer-9-Monate-altes-Baby_48898.htm https://www.rund-ums-baby.de/experten/kochen-fuer-kinder/Einfuehrung-Familienkost_49347.htm

von Birgit Neumann am 05.05.2021



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