Frage: Was ist vom Konzept der good enough mother zu halten?

Hallo Herr Dr. Posth, ich habe in einem Buch über das Konzept der good enough mother gelesen und frage mich, ob es noch zeitgemäß ist? Wie ist die Grenze zwischen guter Fürsorge und Überbehütung? http://www.medizin-im-text.de/blog/3091/too-good-mothering/ Ich meine, man könnte ja alles darunter verstehen, auch dass wir unser Kind bis heute (er ist 3) die halbe Nacht in unserem Bett schlafen lassen, oder z.B. ihn füttern, wenn er zu müde ist. Gilt der Begriff nur für Säuglinge oder auch für Kleinkinder? Viele Grüße, Anna

von Nelsonspit am 20.06.2011, 09:43



Antwort auf: Was ist vom Konzept der good enough mother zu halten?

Stichwort: Säuglingsschreien / Schreibaby Hallo, danke, dass Sie mich auf diesen kurzen Artikel aufmerksam gemacht haben. Wie das mit solchen von Joruinalisten geschriebenen Artikeln oft so ist, enthält er neben Wahren und Richtigen auch große Irrtümer. Das sei ihnen gar nicht übel genommen, denn sie sind ja nicht die Fachleute, sondern diejenigen, die sie zitieren. Aber sie sollten sich fachkundiger ausdrücken oder die Zusammenhänge besser erklären. Zur Sache: Was D.W.Winnicott mit "good enough mother" gemeint hat, ist die Bereitschaft der Mutter, mit ihrem Säugling zu verschmelzen ohne die eigene Identität aufzugeben. Gedacht war, dass die Mutter, die immer und ohne erkennbaren Widerspruch alle Bedürfnisse ihres Kindes als Säugling befriedigt, vom Säugling noch nicht als "andere" Person wahrgenommen werden kann. Das führt beim Säugling zu dem, was man Omnipotenz (also Allmacht) nennt. Aber, und das wusste Winnicott nur allzu gut, diese Allmacht wird beim Säuglng n i c h t zu einem willkürlich gesteuerten Instrument, die Mutter für sich einzuspannen, wie es im Artikel dargestellt wird. Es führt vielmehr zu einer erhöhten Abhängigkeit des Säuglings und damit zu einer Behinderung der frühen Selbstentwicklung. Der Focus liegt bei Winnicott also hautpsächlich auf der Entwicklung des Kindes und nicht so sehr auf der Belastbarkeit der Mutter. So ergab sich der Begriff " too good mother" für eine Frau, die ihrem Säugling aufgrund eigener Bindungsbedürfnisse bei emotionalen Unsicherheiten in ihrer Persönlichkeit dem Säugling förmlich die Luft zum Atmen wegnimmt. Das rührt ein bisschen an die von mir immer wieder herausgestellte Beziehungsstörung zwischen Mutter und Kind bei etwas älteren Kindern, die den Terminus "Rückbindung" hat. Wer jetzt aber daraus ableitet, dass man einen Säugling, wenn er schreit, besser in Ruhe lässt, weil er durch die Mutter angeblich emotional überfordert ist, der erliegt einem schwerwiegenden Irrtum. Ich hoffe, dass die zitierte Autorin Dunja Voss selbst nicht diesem Irrtum erlegen ist. Ein Säugling, der abwehrende Mimik und Gestik zeigt, gehört selbstverständlich in seinem Wunsch und Bedürfnis respektiert. Aber die Schreiproblematik ist höchst selten einmal die Folge einer diesbezüglichen Überforderung des Säuglings. Das Schreien drückt in erster Linie immer ein wichtiges Bedürfnis aus, physisch oder emotional. Viele Grüße

von Dr. med. Rüdiger Posth am 22.06.2011