Frage: Was halten Sie davon?

Guten Morgen Herr Dr. Posth, zuallerst herzlichen Dank für Ihre letzte ausführliche Antwort und ein großes Lob für Ihre unermüdliche Arbeit hier! Nun zu meiner Frage - ich habe letztens mit meiner Freundin diskutiert, ob es ok ist, dem Babypenis ein "Küsschen" zu geben oder einmalig spielerisch anzustupsen, beides natürlich ohne Hintergedanken. Wir waren uns sehr uneinig, und ich hätte jetzt gerne Ihre Meinung dazu - meinen Sie, dass es sich dabei um Übergriffe handelt? Vielen Dank! Viele Grüße, Tine

von tine811 am 30.04.2012, 08:59



Antwort auf: Was halten Sie davon?

Liebe Tine, Ihre Uneinigkeit beweist, wie kniffelig die Frage ist und wie schwierig es ist, sie zu beantworten. Denn es gibt keine klare Grenze dazwischen, wo Zärtlichkeit zwischen Erwachsenem und Säugling und Kind aufhört und wo der Übergriff anfängt. Und dass die Tatsache, Eltern eines Kinds zu sein, alleine ausreicht, um jede Berührung zuzulassen, ist hinlänglich widerlegt. So hängt es von dem Verantwortungsbewusstsein einer Mutter oder eines Vaters ab, was er als Körperkontakt noch für normal hält und was nicht mehr. Solche Fragen werden vermutlich in den meisten Gesellschaftskulturen kaum diskutiert, und so nehmen sich die Eltern meist eigenmächtig heraus, was sie für vertretbar halten und was nicht mehr zulässig ist. Und dann hängt es auch noch von der Einstellung zur Sexualität jedes Einzelenen ab, wo für ihn der Übergriff anfängt. Um allen Missverständnissen und falschen Verdächtigungen aus dem Weg zu gehen, sollte man bei der Berührung und Liebkosung seines Säuglings oder Kindes mit dessen Genitalien anders umgehen als mit seinen Händchen oder Füßchen, und das Kind sollte merken, dass seine Eltern in diesem Bereich bei ihm mit größerer Vorsicht und höherem Respekt umgehen. Denn es selbst spürt im Laufe schon der Kleinkindzeit, dass mit den Zonen um seine Körperöffnungen etwas besonderes verbunden ist, dass noch zu entdecken ist. Ich denke, das ist genetisch vorgegeben und hat eigentlich noch nichts mit Sexualität zu tun. Aber hier denkt die klassische Psychoanalyse anders. Konkret gesagt, jede Pflege und jede Form von Gesundhaltung der Genitalien sind wichtig für das Kind und werden auch so von ihm interpretiert. Zärtlichkeiten vermeiden es besser diese Bereiche mit einzubeziehen und lassen dem Kind den Spielraum, sich selbst zu entdecken und zu erforschen, denn hier kommt etwas zustande, dass ein Teil der lebenslangen, persönlichen Selbstverwirklichung ist. Viele Grüße

von Dr. med. Rüdiger Posth am 03.05.2012