Frage: Nervosität /ferbern Gegenargumente

Lieber H.P. Ich habe Jean Liedloff gelesen und fand spannend, dass dort Babys welche nur getragen werden als sehr ruhig beschrieben werden. Unser Sohn, 9 M., wurde und wird sehr viel getragen. Er ist ein sonniges und zufriedenes Baby, aber meist sehr lebhaft. Sogar im Tuch strampelt er manchmal oder wedelt häufig mit den Armen. Er hat schon immer oft den Kopf nach hinten geworfen, auch beim vorwärtsgerichteten tragen auf dem Arm, auf dem Schoss, oder auch im Wagen, usw. Er hat auch ruhige Phasen, aber oft ist er nervös,was auch anderen Personen auffällt. Unser KIA meinte, es sei alles normal, manche Babys machen das zur Selbstberuhigung. Er verweigerte den Schnuller, viel gestillt, Familienbett. Ist das sein Charakter oder hat das andere Gründe? Können Sie mir unmittelbare und Spätfolgen nennen vom ferbern? Unser KIA ist „fan“ davon – wir sind sehr dagegen. Er meinte beim Sport sei der Cortisol Spiegel auch hoch, das sei nicht ungesund. Vielen D

von Cahuita am 04.03.2013, 08:20



Antwort auf: Nervosität /ferbern Gegenargumente

Hallo, man muss ein bisschen vorsichtig sein, was die Ethnopsychologie über die Verhaltensweisen von verschiedenen Völkern sagt. Denn Völker unterschieden sich nun mal allein schon dadurch, dass sie an unterschiedlichen Orten in der Welt beheimatet sind und dort über Jahrhunderte hinweg ganz anderen Entwicklungen genommen haben. Diese Entwicklung schlagen dann mit der Zeit durch epignetische Einflüsse auf die Verhaltensweisen zurück und machen schließlich Unterschiede aus, so dass ein einfaches Vergleichen viele Irrtümer verbergen kann. Auch müsste man über viele Jahre mit den untersuchten Völkern zusammengelebt haben, um ihr wahres Verhalten genau kennen zu lernen. So halte ich mich lieber an die Entwicklungen mitteleuropäischer Völker, die einen vergleichbaren kulturellen Status besitzen und die in etwa gleiche Lebensbedingungen aufweisen. Das Verhalten, das Sie von Ihrem Sohn beschreiben, passt in vielem zu temperamentsbedingten Anlagefaktoren und ist weniger das Ergebnis dessen, was Sie ihm bisher an Zuwendung geboten haben. Aus den Temperamentsanlagen wird dann im Zusammenspiel mit der Umwelteinfüssen das, was wir Charakter nennen. Nervosität, Impulsivität und Lebhaftigkeit gehören genauso zu den Temperamentsanlagen wie Nähebedürfnis und (sensorische) Empfindsamkeit. Über das Ferbern habe ich gerade 2 Antworten vorher noch einmal ausgiebig geschrieben. Das Argument, im Sport würde auch viel Cortisol ausgeschüttet, ist fadenscheinig. Erstens ist Sport eine besondere Tätigkeit, die mit Befriedigung durch Erfolg oder hohe Leistungsfähgikeit belohnt wird, und zweitens wird niemand zum Sport gezwungen. Beim Ferbern erleben der Säugling und das Kleinkind Erfolglosigkeit, Frustration und erheblich negativen Stress (Disstress) durch Angst und Verzweiflung und sie können dem aufgezwungenen Geschehen nicht ausweichen. Und genau das ist das, was den Stress so richtig gefährlich macht (das weiß man aus der Erwachsenen-Stressforschung) und beim Kind jede Form von Vertrauen und Bindungsfähigkeit beschädigt. Viele Grüße

von Dr. med. Rüdiger Posth am 07.03.2013