Nachfrage zu Ihrer Antwort letzte Woche: Erziehungskonzepte

Dr. med. Rüdiger Posth Frage an Dr. med. Rüdiger Posth Facharzt für Kinderheilkunde, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut

Frage: Nachfrage zu Ihrer Antwort letzte Woche: Erziehungskonzepte

Guten Tag, Herr Dr. Posth, vielen Dank für Ihr Statement von letzter Woche! Es ging mir schon darum, wie Sie selbst darüber denken. Eine Nachfrage: "nämlich erstens die natürlichen Regressionen zuzulassen, zweitens die Ressourcen im Kind zu erkennen und zu reaktivieren und drittens die Resilienz, d.h. die psychische Widerstandskraft gezielt zu födern." Würden Sie bitte Ihren Ansatz noch ein wenig ausführlicher beschreiben? Regressionen zulassen ist mir weitgehend klar (dann geht das Kind gestärkt aus ihnen hervor in den nächsten Entwicklungsschritt, nicht wahr?), aber wie "erkenne ich die Ressourcen im Kind", und welche meinen Sie? Haben Sie noch ein Wort zur Resilienz? Geht es im Wesentlichen darum, das Selbstbewusstsein zu stärken? Oder wie fördere ich die psychische Widerstandskraft? Wie immer herzlichen Dank für Ihre Mühe, Ihre Arbeit hier im Forum ist für mich immer wieder sehr erhellend! Schöne Grüße Friederike

Mitglied inaktiv - 30.05.2005, 11:00



Antwort auf: Nachfrage zu Ihrer Antwort letzte Woche: Erziehungskonzepte

Liebe Friederike, "die Regression zulassend", das ist ja das Programm, das hier im Forum häufig zur Empfehlung kommt. Ressourcen erkennen und aktivieren bedeutet, sich darüber Klarheit zu verschaffen, wo die Stärken des Kindes liegen, denn jedes Kind hat solche Stärken, auch das mit Schwierigkeiten. Die Stärken sind der Schlüssel zum therapeutischen Ansatz, denn über die Stärken gewinnt das Kind positive Attributionen (Zuordnungen). Die aber braucht es, um ein positive Eigenbewertung herstellen zu können. Hierbei kann ich im Internetforum wenig beitragen, da ich die Kinder ja nicht persönlich kenne. Übrigens sind auch die Ressourcen der Eltern gemeint, insofern also von gemeinschaftlichen Ressourcen gesprochen werden könnte. Resilienz fördern ist sicherlich ein schwieriger Punkt. Es gibt wie bei der Gesamt-Immunität eines Menschen gegen Krankheiten angeborene Widerstandskräfte (Resistenz) und erworbene (Immunität). Die angeborene Resilienz läßt sich am besten übersetzen mit günstigen Charakteranlagen, welche die Interaktion mit den Mitmenschen, sprich mit der Familie am Anfang, erheblich erleichtern. Auch ein geringes aggressives Potential gehört dazu. Manche sagen sogar, das Geschlecht bewirke schon eine entscheidende Weichenstellung. Die erworbene Resilienz ist nun die Summe der positiven Integrationen, die ein Säugling und Kleinkind und später das Schulkind und der Adoleszente im Laufe seines Lebens vollziehen kann. Also alles das, was sinnvoll zu einer guten Selbstbewertung in der Interaktion mit den verschiedenen Gruppierungen der Gesellschaft führt, stärkt die Resilienz. Plumpe Hervorhebungen zählen nicht dazu. Eine gesunde Selbstkritik (beim Kind zunächst als Scham zu erkennen) aber wohl. D.h. das "Geheimnis" liegt in der optimalen Balance zwischen Stolz und Scham im Kind mit den dazugehörigen Voraussetzungen zur Ausbildung des Gewissens. Konkret heißt das, daß der Stolz auf sich die Scham immer ein wenig überwiegen muß. Dieser Stolz muß aber auch aus psychischen Effekten einer Selbstzurücknahme (Verzicht, Schuldanerkenntnis, Toleranz, Kompromißbereitschaft usw.) entnehmbar sein. Das in der Erziehung zu erreichen, ist ein hohes Ziel, aber genau das kennzeichnet die erworbene Resilienz. Tut mir leid, daß ich etwas komplizierter antworten mußte. Sie können gerne nachfragen. Viele Grüße

von Dr. med. Rüdiger Posth am 30.05.2005