Frage: Gewissenskonflikt (Vorsicht:lang)

Sehr geehrter Herr Dr. Posth, meine kleine Tochter ist jetzt 10 Wochen alt. Seit 2 Wochen muss ich leider wieder halbtags arbeiten, da ich noch in der Berufsausbildung bin, die Ende Juni 04 zuende ist. Morgens bringe ich die Kleine immer zu meinem Schwiegerpapa (wohnt 3 Häuser weiter), dort bleibt sie bis Mittags. Die beiden verstehen sich sehr gut und haben sich auch schon sehr gut aneinander gewöhnt. Sie ist dort auch den ganzen Morgen zufrieden. Spielt lieb, schläft gut, futtert gut, lacht viel, eigentlich also sehr ausgeglichen. Trotzdem könnte ich, wenn ich mich morgens dann ins Auto setze und zur Arbeit fahre, jedesmal heulen. Ich habe immer das GEfühl, ihr könnte es nicht gut gehen, sie könnte sich abgeschoben fühlen. Außerdem verpasse ich unheimlich viel. Ihre gute Spielphase hat sie nunmal morgens und ich kann nicht dabei sein!!! Sie lernt jeden Tag was neues und ich verpasse es. Am Freitag mittag habe ich sie abgeholt und mein Schwiepa hat mir freudestrahlend erzählt, dass sie jetzt wohl gemerkt hat, dass sie einen Daumen hat und das der super schmeckt :) Ich freue mich natürlich darüber, aber ich habe es verpasst. Und ich denke die nächsten Monate wird es mir noch oft so ergehen!!! Andererseits denke ich mir, es ist ja meine Ausbildung und es ist wichtig die zuende zu bringen. Es sind ja (nur) noch 5 Monate, dann ist es vorbei. Irgendwie halten mich diese Gedanken aber nicht lange hoch. Ich habe ständig Angst, sie könnte mir das mal übel nehmen, dass ich sie so früh abgeben musste, oder sie könnte ihren Opa und ihre Oma mal mehr lieb haben als mich. DAzu muss ich sagen, dass ich auch meine halbe Kindheit bei meinen Großeltern verbracht habe, weil meine Mutter arbeiten musste. Und noch bis heute sehe ich meine Oma mehr als Bezugsperson als meine eigene Mutter. Das ist doch grausam. Ich versuche nachmittags mich so intensiv wie möglcih mit ihr zu beschäftigen. Wir spielen, kuscheln, baden, gehen spazieren. Alles was man sich mit einem kleinen Kind so vorstellen kann. Dafür bleibt zwar alles andere liegen, aber das ist mir egal. Trotzdem bin ich kurz davor, alles hinzuschmeißen und einfach daheim bei meiner Tochter zu bleiben, wo ich meiner Meinung nach einfach im Moment hingehöre. Aber mich würde auch jeder für total "bekloppt" abstempeln, wenn ich 5 Monate vor der Prüfung alles hinschmeiße. Können Sie mir vielleicht mir IHrer Meinung ein wenig weiterhelfen. Mit bestem Dank Mareike

Mitglied inaktiv - 16.02.2004, 22:42



Antwort auf: Gewissenskonflikt (Vorsicht:lang)

Liebe Mareike, die Fähigkeit eines kleinen Säuglings, eine Ersatzbezugsperson zu akzeptieren, wenn diese sympathisch und liebevoll ist, und sich nicht konkurrierend in die primäre Bindung hineinschiebt, entlastet Sie. Wenn Sie dann mit einem halben Jahr die Bindung komplett ausfüllen, wird es auch keine Konflikte geben. Erinnern an Sachverhalte aus dem ersten Lebensjahr kann sich später niemand, und wenn die Emotionen gestimmt haben, also überwiegend positiv waren, dann wird auch die Seele nicht so belastet sein. Für Ihre weitere Lebensplanung ist es wahrscheinlich sehr wichtig, einen Abschluß zu haben und das wird auch Ihrer Tochter später indirekt zugute kommen. Viele Grüße

von Dr. med. Rüdiger Posth am 18.02.2004