Frage: Andere an allem schuld. Ist das normal so?

Hallo Dr. Posth, wir haben zwei Mädchen 3+5 Jahre. Wir versuchen alles schön für sie zu machen. Sie wurden sehr viel getragen, Familienbett, nie nachts schreien lassen etc. Am Wochenende machen wir Ausflüge, unter der Woche machen wir fast jeden Nachtmittag irgend etwas (also Freundinnen kommen, Turnen, Spielplatz etc.) Die Große geht in den Kindergarten, die Kleine kommt jetzt rein, alles ganz normal eben. Wenn wir abends Gäste haben und grillen o.ä. dürfen die Kinder mal länger aufbleiben, sollte eine nachts wach werden, kann sie auch noch mal runter kommen, oder bei uns schlafen. Also wir geben uns Mühe, sie haben Grenzen und Freiheiten. Nun endlich die Frage. Gerade von der Großen werden wir schon oft angemault. Sie ist eigentlich sehr lieb, spielt schön mit anderen, auch mit ihrer Schwester, kann sich alleine beschäftigen.. alles ok. Aber geht was schief, sind wir die Schuldigen und werden angemotzt. Ist das normal? Oder sind wir am verwöhnen? Danke und Gruss Sam

Mitglied inaktiv - 13.06.2005, 19:34



Antwort auf: Andere an allem schuld. Ist das normal so?

Stichwort Gewissensentwicklung 2 Hallo, offenbar dürfen Ihre Kinder eine schöne Kindheit erleben und das zahlt sich später lebenslang für die ganze Familie aus. Das heißt aber nicht, daß sowohl die Kinder als auch die Eltern einmal "maulig" sein dürfen. Das gehört dazu wie das sporadische und einfache Kranksein zur Gesundheit. Erst die 5jährigen Kinder fangen an, den Schuldkonflikt auch bei sich selbst zu suchen. Noch zwischen 3 und 4 werden alle mißlungenen Handlungen und Fehltritte gerne an Andere abgeschoben. Das Kind will keine Negativattribute für sich selbst einheimsen müssen und da es noch keine ausgereifte Moral besitzt, findet es auch nichts dabei, einem Anderen die Schuld aufzubürden (sogar seinen Eltern). Ja die Kinder finden es sogar besonders klever, wenn sie das tun und wundern sich, warum wir Eltern dann so entrüstet sind. Bei 5jährigen sieht die Situation schon anders aus. Mit 5 Jahren müssen die Grundzüge des Gewissens im Selbst verankert sein, was bedeutet, daß Schuld und Reue klar empfunden und auf sich selbst bezogen werden können. Aus dem Produkt von Schuld und Reue muß sich das Bedürfnis nach Nichtwiederholung des Fehlers und nach Wiedergutmachung ergeben. Setzt dieser seelisch-geistige Prozeß ein, wobei man dem Kind mit Vorschlägen Hilfestellung leisten kann, entwickelt es Stolz auf sein soziales Handeln und vermindert die innere Scham. Dieser Stolz muß elterliche Beachtung finden im verbalen Lob. So wird das Gewissen im Selbst gefestigt. D.h. im Klartext, daß Sie bei der 5jährigen durchaus Widerstand gegen die Schuldzuweisung zu leisten haben und Ihrer Tochter auch ein schlechtes Gewissen machen sollten, wenn sie das wiederholt. Denn sie kann schon verstehen, daß ihre eigene, persönliche Wirklichkeit nicht dieselbe ist, wie die Ihre, und das sie schwindelt. Viele Grüße

von Dr. med. Rüdiger Posth am 15.06.2005