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Viele Frauen und Männer trifft es vollkommen unerwartet, dass eine erwünschte Schwangerschaft auf sich warten lässt. Jahre lang haben sie möglicherweise peinlich auf Verhütung geachtet, vielleicht noch nach dem richtigen Partner Ausschau gehalten oder die Familiengründung aus beruflichen Gründen aufgeschoben. Wenn nach dem Absetzen der Verhütung die immer stärker werdende Sehnsucht nach einer Schwangerschaft Monat für Monat beim Einsetzen der Menstruation enttäuscht wird, geraten viele Paare – besonders Frauen – leicht in einen Teufelskreis. Mit jeder unerwünschten Monatsblutung wächst der tiefe Wunsch nach einem Baby und verstärkt sich die Verzweiflung über den Misserfolg. Zugleich erhalten Frauen mit Kinderwunsch von ihrer Umgebung den immer wiederkehrenden Rat, sich nicht auf den Kinderwunsch zu versteifen, da eine Fixierung auf den Wunsch, schwanger zu werden, die Chancen noch verschlechtere. Dieser sicher gut gemeinte Ratschlag stürzt jedoch die betroffenen Frauen in noch größere innere Not, da es ihnen nicht möglich ist, den Kinderwunsch einfach auf Kommando weniger werden zu lassen und da sie nun auch noch befürchten müssen, durch die Stärke ihres Wunsches seiner Erfüllung sogar entgegenzuwirken. Aber ist überhaupt etwas dran an der weit verbreiteten Vorstellung, dass psychische Faktoren wie zum Beispiel Stress das Ausbleiben einer Schwangerschaft mitverursachen können? Und wenn dem so wäre, gibt es für Frauen mit starkem Kinderwunsch Möglichkeiten, die Anspannung abzubauen und sich weniger auf den Kinderwunsch zu versteifen? Fast jeder hat von Frauen gehört, die just in dem Moment schwanger wurden, als sie von ihrem lang gehegten Kinderwunsch Abstand genommen und ihre Aufmerksamkeit vielleicht auf neue Lebensaufgaben gerichtet hatten. Dieses Phänomen – ein möglicher Zusammenhang von seelischen Faktoren und (Un-)Fruchtbarkeit – ist seit einiger Zeit auch Gegenstand wissenschaftlicher Forschungen. Psychoanalytisch orientierte Forscher vermuten hinter medizinisch nicht zu klärender Unfruchtbarkeit bisweilen eine unbewusste Ablehnung der Schwangerschaft durch die Frau – basierend auf einem zwiespältigen Verhältnis zur eigenen Mutter und damit zur Mutterschaft. Der Heidelberger Psychologe, Psychotherapeut und Psychoanalytiker Dr. Tewes Wischmann hält diesen Ansatz jedoch für "unzureichend und in dieser Pauschalität falsch". Und die Bonner Professorin für gynäkologische Psychosomatik, Dr. Anke Rohde, betont, dass Kinderwunschpatienten keineswegs neurotischer sind als andere, sondern nichts anderes als einen "Ausschnitt aus der Normalbevölkerung" darstellen – ohne irgendwelche Auffälligkeiten, was ihre Persönlichkeit, Partnerschaft oder ihre Einstellung zur Sexualität betrifft. Wenn Kinderwunschpatienten unter Stress und Anspannung leiden und vielleicht depressiver sind als ihre Mitmenschen, so kann dies weniger als Ursache, sondern eher als Folge des unerfüllten Kinderwunsches und der damit häufig verbundenen schweren Lebenskrise betrachtet werden, so Tewes Wischmann über die Ergebnisse der Studie "Heidelberger Kinderwunsch-Sprechstunde". 1.000 Paare mit Kinderwunsch nahmen zwischen den Jahren 1994 und 2000 an dieser Studie und ein Teil von ihnen an psychologischen Beratungen teil. Es zeigte sich, dass sich durch die Gespräche die im Zusammenhang mit dem unerfüllten Kinderwunsch entstandenen seelischen Belastungen bei diesen Paaren verringerten. Dies verbesserte jedoch bei dieser Gruppe nicht die Schwangerschaftsrate. Sowohl bei Paaren mit als auch Paaren ohne psychologische Hilfestellung betrug die Schwangerschaftsrate rund 25 Prozent.