Liebe Frau Henkes, ich habe Sie vor ein paar Monaten schon einmal kontaktiert, schreibe aber nun noch einmal, weil mir folgendes Thema nun wieder verstärkt Sorgen bereitet. Unser Sohn ist 12 Monate alt und wird im Alltag von meinem Mann, meiner Mutter und mir versorgt. Mein Mann kümmert sich v.a. abends, nachts und am Wochenende viel um ihn; da er im Homeoffice arbeitet, sehen sich die beiden aber auch tagsüber immer wieder. Meine Mutter unterstützt mich tagsüber für mehrere Stunden, da ich aufgrund einer Krankheit nicht die physische Kraft habe, alles alleine zu schaffen. Mein Mann und ich empfinden es so, dass wir seit jeher beide gleichermaßen Hauptbezugspersonen für unseren Sohn sind, allerdings ist es schon seit vielen Monaten so, dass dieser auf meinen Mann deutlich anders als auf mich reagiert. Kommt mein Mann ins Zimmer, quietscht unser Sohn vor Vergnügen, krabbelt sofort freudig zu ihm, streckt die Arme aus, schreit, sobald er das Zimmer verlässt und krabbelt nach. Auch bei meiner Mutter verhält er sich ähnlich enthusiastisch. Bei mir ist seine Reaktion gleichmütiger – komme ich ins Zimmer, sieht er kurz auf, lächelt oft gar nicht; gehe ich hinaus, reagiert er meist gar nicht darauf. Dabei ist es nicht so, dass ich so viel mehr verfügbar wäre als meine Mutter oder mein Mann, weil ich öfter zum Arzt muss und dann schnell mal zwei, drei Stunden weg bin. Wenn wir zu dritt jemanden besuchen, fremdelt unser Sohn stark, lässt sich zwar auch von mir beruhigen, sucht dann aber von sich aus die Nähe meines Mannes, krabbelt immer wieder zu ihm und selten zu mir. In den letzten Wochen hat sich diese Diskrepanz noch einmal deutlich verstärkt. Er interagiert von sich aus fast ausschließlich mit meinem Mann bzw. meiner Mutter und ignoriert mich – zumindest wirkt es so. Nehme ich ihn auf den Arm und mein Mann ist anwesend, beschwert er sich, strebt weg von mir und streckt die Arme nach ihm aus; sobald er bei meinem Mann auf dem Arm ist, lacht er und entspannt sich. Es gibt täglich eine Vielzahl dieser Situationen, was auch mein Mann und meine Mutter so bestätigen. Ich mache mir Gedanken, woran das liegen könnte. Da es meine körperliche Verfassung nicht anders hergibt, übernimmt mein Mann nachts die Fütterung mit dem Fläschchen, die unser Sohn noch einfordert. Tagsüber mache ich mit ihm ruhige Aktivitäten, z.B. Bücher ansehen, Lieder vorsingen etc., was er zwischendurch auch mag, aber oft sitzt er dann ernst da und scheint nur darauf zu warten, dass es mal wieder rund geht. Er ist bislang kein verschmustes Kind, sondern sehr bewegungsaffin und temperamentvoll und Papa und Oma können ihn da viel mehr auslasten. Ich frage mich, ob ihm langweilig bei mir ist und er so viel mehr auf Papa und Oma fliegt, weil sie spannendere, lustigere Dinge mit ihm machen können, bei denen er offensichtlich Spaß hat. Ich kann sowieso nichts an der Situation ändern, daher ist es eigentlich müßig, sich Gedanken zu machen, und doch mache ich mir Sorgen. Zum einen tut es mir weh, da ich alles gebe, was ich kann, um für unseren Sohn da zu sein und ich mich neuerdings regelrecht zurückgewiesen fühle. Zum zweiten frage ich mich, ob, falls ihm jetzt wirklich oft langweilig bei mir ist, sich eine Assoziation wie Mama = langweilig dauerhaft etablieren kann? Oder kann sich dies jederzeit wieder verändern, wenn er sich weiterentwickelt und vielleicht später Interessen hat, denen ich eher nachkommen kann? Die Umstände werden sich auch ändern – er kommt im Herbst in die Kita, wodurch ich hoffentlich auch wieder mehr Kraft tanken und dann vielleicht auch wieder etwas aktiver mit ihm sein kann, als es mir im Moment möglich ist. Sehen sie noch andere Gründe, weswegen unser Sohn Papa und Oma so bevorzugen könnte? Kann dies auch schon ein Loslösungsprozess sein? Allerdings besteht dieses Muster, wenn auch in etwas schwächerer Form, schon seit Monaten und mein Mann ist unserer Einschätzung nach nicht weniger Bezugsperson für ihn als ich. Ich danke Ihnen sehr für Ihre Einschätzung!
von Evermore am 14.08.2023, 19:09