emre
Liebe Frau Bentz, Ich mache mir momentan Sorgen, da meine 10 Wochen alte Tochter seit ca zwei Wochen plötzlich sehr viel mehr weint als vorher und ich nicht weiß, ob es sich um einen Schub bzw. eine Phase handelt, oder um ein Problem. Kurz zu unserer Geschichte. Sie kam reif und gesund per Kaiserschnitt zur Welt. Aufgrund schwerer Komplikationen bei mir konnten wir uns jedoch erst an ihrem 4.Lebenstag sehen. Seither stille ich sie auch, anfangs noch selten mit viel Zufüttern, seit sie 5 wochen alt ist voll. Sie nimmt gut zu und scheint weiterhin kerngesund. Probleme mit Blähungen haben und hatten wir so gut wie gar nicht. Seit wir aus dem Krankenhaus zurück sind (Beginn 4. Lebenswoche) hat sich für uns ein Alltag eingespielt, bei dem sie zu keinem Zeitpunkt alleine ist (mein Mann ist auch noch zu Hause). Wir genießen intensive Nähe, auch nachts im Familienbett, was auch mir nach unserem Start sehr gut tut. Da ich selbst anfangs noch sehr schwach war gehen meine Tochter und ich schon immer sehr früh ins Bett, ich lege mich mit ihr zwischen 18 und 19 uhr hin und stille sie in den Schlaf. Tagsüber schläft sie gut im Tragetuch bei 1-2 Spaziergängen von 1-2 Stunden pro Tag. So war sie ein recht zufriedenes und ausgeglichenes Baby, bis eben vor 2 Wochen. Zunächst begann es mit einigen Tagen, an denen sie abends vermehrt und früher als sonst (ca. 17 uhr) schrie und sehr viel schwerer zu beruhigen war. Wir reagierten, indem ich einfach noch früher mit ihr ins Bett ging. Sie brauchte dann länger zum Einschlafen, aber es funktionierte ganz gut. Ich legte mich einfach ganz ruhig mit ihr ins dunkle Zimmer und wartete bis sie einschlief. Das Schreien steigerte sich dann aber und wurde immer früher, plötzlicher und intensiver. Manchmal beruhigte sie sich dann auch beim Hinlegen nicht sondern schrie noch 30-60min an der Brust weiter, mit kleinen Päuschen. Wir interpretierten es zunächst als Wachstumsschub und dadurch stärkere Müdigkeit und Reizüberflutung abends, und achteten auf ganz regelmäßige schlafenszeiten tagsüber, gingen nach 2 h wachphase gleich mit ihr spazieren, sodass sie schlafen konnte. Das funkrionierte zunächst ganz gut, es gab sogar einen Tag, an dem sie so ganz ohne Schreien abends einschlief. Aber letztendlich blieb das starke Schreien trotzdem auch oft noch und wir beginnen nun an unserer Wachstumsschub-Hypothese zu zweifeln. (Sie ist unser 1.Kind und wir haben noch nicht das Vertrauen, dass es tatsächlich solche Phasen geben kann, die dann aber auch wieder vorbei gehen...). Außerdem kamen vorgestern und heute noch zwei Schreiphasen tagsüber dazu, bei denen sie mit mir interagierte und aus dem Spiel heraus ganz plötzlich wie am Spieß anfing zu schreien ohne dass ein Grund ersichtlich wäre. Hier war sie beide Male innerhalb weniger Minuten beruhigbar, zum Glück. Nun ist meine Frage an Sie vor allem: ist das normal, das abendliche plötzliche Losschreien und das plötzliche Losschreien aus der Interaktion heraus? Kann das tatsächlich von einem Wachstumsschub kommen und über zwei Wochen anhalten? Was sollen wir/ich beachten? Ist es ok, abends einfach mit ihr ins Bett zu gehen, wenn die Schreizeit kommt, oder sollten wir zuerst versuchen, sie anders zu beruhigen? Kann unser schwieriger Start dies alles beinflussen und sich jetzt erst äußern (oft habe ich Schuldgefühle, wenn sie weint, da ich am Anfang nicht für sie da war und sie so in der Welt ankommen musste...)? Haben Sie sonst irgendwelche Ideen und Gedanken? Ich danke Ihnen sehr für Ihre Hilfe!
Dr. Meike Bentz
Liebe Emre, zunächst einmal tut es mir leid, dass Sie so eine unschöne Geburt hatten und hoffe, dass Sie bald wieder bei alten Kräften sind! Es ist natürlich klasse, dass Sie Ihr Mann so tatkräftig unterstützt und Sie alle sehr Ihre neue Dreisamkeit genießen können. Ihr Tageablauf scheint ja schon sehr gut strukturiert zu sein, genug Ruhepausen und körperliche Nähe zu bieten, und auch bei den abendlichen Schreiphasen reagieren Sie so, wie ich es auch immer empfehle. Besser kann es ja gar nicht sein, auch nicht für ein Baby! Von daher bin ich mir sicher, dass Sie Ihrem Kind alles bieten, was es braucht - geradezu lehrbuchmäßig. Doch warum weint Ihr Kind? Zunächst bin ich fest davon überzeugt, dass es nicht an den vier Tagen Trennung nach der Geburt lag. Nach alldem was wir heute wissen, haben Neugeborene zwar eine gewisse Präferenz für die Stimme und Geruch der Eltern sowie den Geschmack der Muttermilch der eigenen Mama, aber entwickeln noch keine personenbezogene Bindung. So hart es sich anhört, nach der Geburt scheint es so zu sein, dass erstmal wichtig ist, DASS sich jemand kümmert, nicht unbedingt WER. Das ganze Thema Bonding wird meiner Meinung nach etwas überstrapaziert, so dass man häufig den Eindruck gewinnt, das Kind wäre nach so einer Erfahrung unweigerlich traumatisiert und bindungsgestört. Natürlich ist es von der Natur nicht vorgesehen, dass Mutter und Kind nach der Geburt getrennt werden und man kann sich selbstverständlich vorstellen, dass dies kein idealer Start ist. Die weitaus größeren Probleme sind aber meiner Erfahrung nach bei den Eltern zu erwarten, nicht bei den Kindern. Sie und Ihr Mann haben bewusst die bedrohliche Situation erlebt, Sie hatten nicht die Gelegenheit zum Bonding, Sie machen sich jetzt Schuldgefühle. An dieser Stelle kann man natürlich ganz anderer Meinung sein und es gibt ja auch viele (alternative) Ansätze, die genau das Gegenteil von dem postulieren, was ich sage. Fakt ist jedoch, dass man im Einzelfall nicht wird belegen können, wer nun Recht hat. Hier geht es dann eben nicht um empirische Beweise, sondern um Glauben. Diese Glaubensfrage müssen Sie sich also selbst beantworten. Aus meiner Sicht wäre es nur fatal, wenn Sie Ihre Schuldgefühle durch die nächsten Jahre tragen. Es wird nämlich immer mal wieder Situationen geben, an denen Sie an Ihre Grenzen kommen, Sie Ihr Kind nicht verstehen oder es Verhaltensweisen zeigt, bei denen Sie sich fragen werden, ob das noch normal ist. Hier können dann die Schuldgefühle immer wieder als Erklärung herangezogen werden und den Blick auf die Gegenwart trüben. Also weg damit! Sie haben sich nichts, aber auch gar nichts vorzuwerfen! Aus meiner Sicht zeigt Ihr Kind daher nur ein völlig normales Verhalten. Selbst wenn Sie mal abends auf eine (sehr anstrengende und nervenaufreibende) Schreistunde kommen und ihr Kind vielleicht 1,5 bis 2 Stunden am Tag schreit, ist dies völlig normal und kein Zeichnen für ein Problem. Das das Schreien mit 8 Wochen begonnen hat, ist ebenfalls nicht ungewöhnlich, denn um diese Zeit herum sind Kinder typischerweise unruhiger als in den Wochen vorher (Schreigipfel), um dann mit 12-16 Wochen in den meisten Fällen auch wieder deutlich ruhiger zu werden. Im Zweifel heißt es natürlich immer ab zum Kinderarzt! Doch wenn dieser nicht auszusetzen hat, hab ich es auch nicht. Machen Sie weiter so wie bisher und begleiten Sie Ihre Kleine bei den Schreiphasen, sorgen Sie für Struktur und Ruhe und eben die Nähe, die Sie ihr jetzt auch geben - dann wird es vielleicht eine harte Phase, aber eben nur tatsächlich eine Phase! Die Erfahrung, dass solche Unruhezustände im Baby- und Kleinkindalter wie von Geisterhand kommen und gehen, kann man tatsächlich nicht vorwegnehmen, am muss es erleben, um Vertrauen zu fassen. Doch das werden Sie gemeinsam lernen! Ich wünsche Ihnen alles Gute und ein schönes Weihnachtsfest zu Dritt! Herzlichst, Ihre Meike Bentz
Die letzten 10 Beiträge
- schreien vor jedem schlafen Tagsüber und Nachts
- Stündliches Aufwachen
- Schreibaby
- Schlafen und Schreien
- Schreikind und keine Ende in Sicht
- Schlafverhalten mehrere Fragen
- 4 Monate und schon in die Krippe
- Unsicherheit bei Einschlafhilfen für Schreibaby
- Einschlafstillen - bis wann?
- Kann ich die große Schwester zum leise sein erziehen?