Wie kann eine extreme Bezogenheit auf die Mutter erweitert werden?

Dr. rer. nat. Meike Bentz Frage an Dr. rer. nat. Meike Bentz Diplom-Psychologin

Frage: Wie kann eine extreme Bezogenheit auf die Mutter erweitert werden?

Meine Enkeltochter ist sehr stark auf ihre Mutter (meine Tochter) bezogen. Sobald sie sich auch nur ein Stückchen von ihr entfernt, beginnt sie zu weinen. Nur die Mama kann sie beruhigen. Am liebsten würde die Kleine Tag und Nacht auf meiner Tochter liegen, dort einschlafen, an ihr lecken und in körperlichem Kontakt sein. Da meine Tochter nach einem Jahr Elternzeit gern wieder arbeiten möchte, hat vor 2 Wochen die Eingewöhnung in die Kita begonnen. Bisher mit bescheidenem Erfolg. Sobald meine Tochter nicht da ist, weint sie und ist untröstlich. Wichtig ist die Vorgeschichte. Meine Enkeltochter wurde in der 35. Schwangerschaftswocht unter dramatischen Umständen auf die Welt gebracht. Sie war schwer krank und wir haben wochenlang um ihr Leben gefürchtet. Sie hat die ersten 3 Monate ihres Lebens auf der Intensivstation verbracht. Auch hier kam es immer wieder zu lebensbedrohlichen Situationen. Es gäbe noch viel zu erzählen..... Mitterweile hat sie sich prächtig entwickelt. Sie ist jetzt ein gesundes Kind mit einem ausgeprägten Willen. Was ist zu tun?

von Mira Marie am 16.11.2015, 22:25


Antwort auf: Wie kann eine extreme Bezogenheit auf die Mutter erweitert werden?

Liebe Mira Marie! zunächst einmal finde ich es sehr rührend, wie viel sorgen Sie sich um ihre Tochter und Enkelin machen. Sie schildern wirklich einen dramatischen Start für die beiden und sicher sind die Probleme der beiden auch ihren verankert. Mich wundert es nicht, dass jetzt die Nähe-Distanz-Regulation der beiden vielleicht noch nicht so klappt wie bei Eltern ohne diese Vorgeschichte. Das Verhalten ihrer Tochter und ihre Enkelin hat ja gute Gründe. Selbst wenn daher die körperliche Krise überwunden ist, heißt es noch nicht, dass auch die Seele mit hinterher kommt. So kann es nach derartigen Erfahrungen noch lange Zeit sein, dass alles im Alarmmodus ist und entsprechend reagiert. Wichtig für Außenstehende es daher vor allem Geduld und viel Verständnis, selbst wenn man vielleicht Fehler und Handlungsbedarf leichter erkennt als die Betroffenen selbst. Es ist daher wichtig äußerst sensibel mit Ratschlägen und Tipps umzugehen.Auch sollte man sich davor hüten, die Probleme stellvertretend lösen zu wollen. Selbst wenn Sie verständlicherweise Ihrer Tochter und Enkelin helfen wollen, die Initiative muss von Ihrer Tochter ausgehen. Von daher halte ich es auch für wenig hilfreich, wenn Sie sie mit Tipps und Ratschlägen von mir konfrontieren. Besser wäre, wenn Ihre Tochter selbst eine entsprechende Frage stellen würde sofern sie es überhaupt möchte. Sie jedoch nicht ganz im luftleeren Raum stehen zu lassen hier noch ein paar Gedanken: Die Nähe-Distanz-Regulation ist keine Einbahnstraße. D.h. sie betrifft Mutter / Vater und Kind. Auch wenn ihre Enkelin das auffällige Verhalten zeigt, ist nicht nur das Kind zu betrachten sondern die gesamte Interaktion. Zum Loslassen-Können gehört eben auch das Loslasssen-Dürfen. Wenn hier alte Ängste dazu führen dass dem Kind signalisiert wird du bleibst besser in meiner Nähe, die Welt ist gefährlich, dann wird sich das Kind entsprechend verhalten. Entschwindend sind daher folgende Dinge: die alten Ängste müssen bearbeitet werden, und es müssen neue (korrigierende) Erfahrungen möglich gemacht werden. Sowohl Eltern als auch das Kind brauchen mehr Vertrauen. Vertrauen in sich und die Anderen. Eltern müssen zudem häufig erst begreifen, dass die bedrohliche Situation zu Ende ist und sie ihrem Kind nun mehr zutrauen und zumuten können. Umstellung vom reinen Pflege-Sorge-Modus auf einen Erziehungs-Modus ist nach solchen Erlebnis man halt besonders schwierig. Von daher kann eine Beratung durch entsprechende Fachleute (Psychologen, Erziehungsberater) helfen. Doch auch hier muss die Initiative von ihrer Tochter selbst ausgehen. Natürlich können Sie entsprechende Vorschläge sensibel und verständnisvoll anbringen. Sie sollten aber nicht verärgert sein, wenn Ihre Tochter diese ablehnt oder einen anderen Weg beschreitet. Das war jetzt wahrscheinlich nicht die Antwort die Sie erhofft haben. Ich weiß wie unbefriedigend es ist, das Offensichtliche zu sehen und helfen zu wollen, sich aber zurückhalten. Doch das Beste was sie für Ihre Tochter und Enkelin tun können ist eben einfach weiter für sie da zu sein und ein offenes Ohr zu haben. Zudem können Sie selbst einfach durch Ihre wahrscheinlich etwas unbeschwertere Art dazu beitragen, korrigierende Erfahrungen zu machen. Ihre Tochter wird sich nach dieser schweren Zeit nach Alltag sehnen- geben Sie ihr also genau das. Seien Sie aus voller Herzenslust Mutter und Großmutter und nicht Psychotherapeut. Dafür wünsche ich Ihnen viel Glück und viel Freude! Herzlichst, Ihre Meike Bentz

von Dr. Meike Bentz am 17.11.2015


Antwort auf: Wie kann eine extreme Bezogenheit auf die Mutter erweitert werden?

Herzlichen Dank für Ihre schnelle Antwort. Meine Tochter und ich stehen in intensivem Austausch über die Entwicklung meiner kleinen Enkeltochter. Ich werde ihr von der Möglichkeit berichten, in diesem Forum Fragen stellen zu können. Eine Möglichkeit, die ich auch erst jetzt entdeckt habe. Ich bin sicher, meine Tochter wird diese Möglichkeit nutzen. Mit freundlichen Grüßen Mira Marie

von Mira Marie am 17.11.2015, 14:36


Antwort auf: Wie kann eine extreme Bezogenheit auf die Mutter erweitert werden?

Liebe Frau Dr. Bentz, vielen Dank für Ihre ausführliche Antwort. Meine Mutter hat mir von diesem Forum und von ihrer Anfrage berichtet. Wie meine Mutter bereits erzählt hat, hatten wir einen sehr schweren Start und meine Tochter ist stark auf mich fixiert (was bei ihrer Vorgeschichte auch sehr verständlich ist). Ich glaube aber, wir würden beide sehr davon profitieren, wenn sie auch andere Bezugspersonen noch besser akzeptieren könnte (z.B. die Omas, die Tagesmutter). Meistens bleibt sie auch gerne bei ihrem Papa, manchmal will sie aber auch nur zu mir und fängt bereits an zu schreien, wenn ich nur aufstehe. Sie tut dies bereits seit dem 4. Monat. Am Anfang hat sie sehr viel geschrieben (manchmal drei Stunden am Stück). Das ist mittlerweile viel besser geworden. Ich glaube, sie brauchte einfach Raum für ihre Geschichte und wollte uns erzählen, wie schlecht es ihr am Anfang ging. Eine andere Möglichkeit der Kommunikation als Schreien hatte sie damals einfach nicht. Ich wollte ihr am Anfang alle Art von Stress ersparen und habe sie, wenn sie bei anderen auf dem Arm geschrieen hat, immer sofort zurückgenommen. Ich denke, mit einem Jahr wäre es nun an der Zeit, sie auch an andere Bezugspersonen heranzuführen, was wir in einer Großtagspflegestelle (2 Tagesmütter, ins. 8 Kinder) nun tun, da ich im Januar wieder arbeiten muss. An sich gefällt es ihr bei den Kindern sehr gut, sie versteht mehr, bewegt sich mehr und profitiert von der Eingewöhnung (4. Woche von 8). Aber wenn ich nicht in der Nähe bin, tut sie sich noch sehr schwer. Ich lobe sie und die Tagesmutter für jede Minute, die ohne Schreien vergeht. Wie kann ich meine Tochter noch weiter darin bestärken, andere Beziehungen einzugehen? Ich lache sie immer an und zeige ihr, dass ich die Tagesmutter mag und versuche sie spüren zu lassen, dass sie in guten Händen ist (bei den Omas ist es sowieso so). Sie muss einfach nach den ersten schrecklichen drei Monaten mit vielen Traumata und Nahtoderfahrungen lernen, dass die Welt auch ohne mich sicher ist. Haben Sie noch Tipps für mich? Ich würde mich sehr freuen! Herzliche Grüße von Lisa

von Lisa2222 am 25.11.2015, 14:22