Was wird aus den Schreibaby

Dr. rer. nat. Meike Bentz Frage an Dr. rer. nat. Meike Bentz Diplom-Psychologin

Frage: Was wird aus den Schreibaby

Hallo, Ich freue mich sehr das es das Forum gibt. Mein Sohn ist nun drei. Er war über ein Jahr ein Schreibaby. Wobei Schreibaby echt harmlos klingt, er hat viel geschien. Meine Tochter war bei seiner Geburt 20 Monate und ich konnte ihn nicht immer die Ruhe geben, die er vieleicht gebraucht hätte. Seine Entwicklung war langsam, was oft auf das schreien zurück geführt wurde. Er geht jetzt in einen Heilpädagogischen Kindergarten und es wird eine sensomotorische Integrationsstörung vermutet. Entwickeln sich solche extremen Schreibabys öfter so? Wie sind ihre Erfahrungen mit Schreibabys im Kindergarten alter. Und sehr schade das man das vorher nicht so weiß. Klar schreit kein Baby ohne Grund. Aber irgendwann resigniert man und ist mit seinen Ideen und Nerven am Ende.

von dana2228 am 07.07.2015, 11:13


Antwort auf: Was wird aus den Schreibaby

Liebe Dana2228! zunächst einmal tut es mir sehr leid für Sie und Ihre Familie, dass Sie so einen schwierigen Start mit Ihrem zweiten Kind hatten. Exzessives Schreien ist eine enorme Belastung und es ist ganz normal, dass man, wie Sie sagen, irgendwann einfach resigniert und mit den Ideen und Nerven am Ende ist. Umso wichtiger ist es, offen über diese Dinge zu sprechen, weshalb ich mich freue, dass Sie hier Ihr Erleben schildern. Zu Ihrer Frage: Es ist tatsächlich so, dass in verschiedenen Studien nachgewiesen werden konnte, dass für Schreikinder ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung weiterer Verhaltens/ Regulationsstörungen im Kleinkindalter besteht. Das Ausmaß des Schreiens spielt bei der Prognose eine Rolle. Dieses Wissen macht betroffenen Eltern jedoch oft Angst und sorgt für Schuldgefühle. Von daher ist es mir wichtig, Folgendes dazu zu ergänzen: Im Allgemeinen sind die Chancen für ein Schreibaby sehr gut, dass es sich zu einem gesunden, fröhlichen Kind entwickelt. Das deckt sich auch mit meinen Erfahrungen. Die Aufsichten sind natürlich um so besser, je eher und je umfassender die Familie Hilfe und Entlastung erfährt. Die Mehrheit der Kinder kommt also unbeschadet heraus, einige bedürfen noch weiterer Unterstützung (sowie auch in Ihrem Fall) und einige wenige Kinder zeigen bis ins Schulalter Auffälligkeiten. Allerdings gibt es bei Daten wie diesen immer ein Problem: Es lässt sich nämlich im Einzelfall kaum sagen, was denn nun Ursache oder Folge war. So wird unter Experten beispielweise diskutiert, ob ADHS wirklich die Folge exzessiven Schreiens ist oder nicht vielmehr umgekehrt, das Schreien ein früher Ausdruck dieses Krankheitsbildes darstellt. Auch bei ihrem Sohn könnte man diese Überlegungen anstellen. Ihnen als Eltern hilft das jedoch vermutlich wenig, denn es ändert ja nichts an der momentanen Situation. Und damit komme ich zu einem Punkt, den ich bei Ihnen ebenfalls heraushöre, nämlich die quälende Frage, ob man als Eltern alles verhindern hätten können, wenn man nur vorher alles so gewusst hätte. Es ist mir überaus wichtig, hierzu ein paar Dinge anzumerken, da ich es immer wieder erlebe, dass auch noch Jahre nach der Krise Eltern sich an diesen Punkten zermartern, so dass keine Ruhe eintreten kann. Zunächst sagt die Forschung folgendes. Es gibt sehr aufwendige und umfangreiche Studien, die zeigen, dass Eltern von Schreikindern ebenso liebevoll und einfühlsam sind wie andere Eltern. In meiner Praxis zeigt sich zudem, dass Eltern von Schreibabys eine enorme Aufopferungsbereitschaft an den Tag legen, sehr hohe Ansprüche an sich selbst stellen und weit über eigene Grenzen gehen. Schlechte Eltern würde das Schreien erst gar nicht stören - sie würden es einfach ignorieren und ihr Kind unbesorgt stundenlang allein schreien lassen. Falls Sie sich auch fragen, ob Sie Fehler gemacht haben: Ganz bestimmt. Wie alle anderen Eltern eben auch! Nur dass Sie eben ein Kind bekommen haben, was sehr sensibel auf diese Dinge reagiert hat und zudem auch noch Umstände wie ein ebenfalls noch kleines, bedürftiges Geschwisterkind die Situation zusätzlich belastet haben. Hätten Sie durch mehr Ruhe den Verlauf begünstigen können? Wahrscheinlich wäre es leichter gewesen. Doch weder Sie noch ihr Kind noch der Rest der Familie haben sich die Situation ausgesucht. Ich bin sicher, dass sie alles getan haben, um beiden Kindern gerecht zu werden. Sie hätten sicher nicht Nein gesagt, wenn mehr Ruhe und Schlaf möglich gewesen wären, oder? Natürlich ist es im Nachhinein immer leicht, Dinge zu erkennen, die man anders gemacht hätte und vermutlich hätte es Sie auch entlastet, wenn Sie frühzeitig gewusst hätten, dass eine Integrationsstörung möglichweise dem Ganzen zugrunde liegt. Nur bin ich davon überzeugt, dass Sie alles nach bestem Wissen und Gewissen getan haben und weiter tun werden Ich hoffe, Ihnen mit dieser Antwort etwas geholfen haben und wünsche Ihnen für sich und Ihre Familie weiterhin viel Kraft und alles Gute! Herzliche Grüße, Ihre Meike Bentz

von Dr. Meike Bentz am 07.07.2015


Antwort auf: Was wird aus den Schreibaby

Vielen Dank für Ihre ausführliche Antwort. Ich habe letzes Jahr (ungeplant ) unserer drittes Kind bekommen. Und er war wie die Tochter ganz anders. Klar hat er auch geweint und geschrien. Aber ganz normal. Aber ich habe mir für ihn bewusst zwei genommen. Habe meinen Mann gebeten Elternzeit zu nehmen, Großeltern und Tanten eingespannt, und versucht so viel Ruhe wie möglich für den Neugeborene rein zu bringen und den "Großen " ihre Struktur zu erhalten. Der zweite kam nach langer liege Schwangerschaft (auch viel im KH.) und nach seiner Geburt lag er auf der Intensiv mri Gedanke war damals nur: Raus aus den KH und zurück in den Altag koste es was es wolle!". Ich wollte mich alleine wieder um beide Kinder kümmern, wollte wieder in den Mini Club, mich mit Freunden treffen, auf den Spielplatz und und. Da mache ich mir schon Vorwürfe und denke es hätte besser laufen können. Ich gebe ich zu, habe mit einem genau so ruhigen Baby wie beim ersten Baby gerechnet. Habe nicht verstanden warum alle "Tricks " bei ihn nicht halfen. Hab vieleicht nicht sehen wollen, das ein Mini Club, kein Ort für ein Baby ist was schnell Reitzüberflutet ist. Mache mir Vorwürfe mir keine Hilfe gesucht zu haben. Nicht in einer Schreiampulaz gewesen zu sein. Ärgere mich über die 4 Ärzte die mich belächelt haben, Geld für Ostopatie und Homöopathie. Nun jetzt ist das Kind in den Brunnen gefallen. Er ein Sonnenschein, aber jetzt merkt man deutlich das sich das Schreien nur umgewandelt hat. Also er heute noch genau so anstrengend ist. Es ist halt nur anders geworden. Gerne ich damals mehr erfahren.

von dana2228 am 08.07.2015, 10:40


Antwort auf: Was wird aus den Schreibaby

Liebe dana2228! zunächst: wie schön, dass Sie nun zu Dritt sind und wie mutig und wohlorganisiert Sie Ihren sicher sehr anstregenden Alltag meistern! Sie leisten wirklich enorm viel - vielleicht ist Ihnen das nicht so bewusst? Ich habe mir noch mal ein paar Gedanken gemacht, die ich Ihnen gerne mittteilen würde: 1. wie Sie mit Ihrem dritten Kind umgegangen sind, zeigt, wie wichtig es ist, sich unterstützen zu lassen. Manchmal müssen gerade wir Frauen lernen, ein wenig "abzugeben". Sie haben die Situation mit Ihrem zweiten Sohn sehr genau für sich analysiert, haben nicht den Kopf in den Sand gesteck, sondern leich für Entlastung gesorgt. Vorbildlich! 2. wer will Ihnen verübeln, dass Sie bei Ihrem zweiten Kind und der nervenaufreibenden Schwangerschaft und Zeit in der Klinik schnell wieder in den Alltag wollten? So eine Frühgeburt ist ein Schock und das lange Liegen (vielleicht auch noch Wehenhemmer?) sind für die Psyche der Mutter einfach sehr belastend. Damit sind Sie nicht allein. Schade nur, dass Sie damals keine psychologische Unterstützung hatten. Da Sie sich so viele Vorwürfe machen und immer noch sehr mit sich hadern, würde ich vielleicht überlegen, ob sie das Vergangene psychotherapeutisch aufarbeiten wollen. Vielleicht wäre auch eine Mutter-Kind-Kur etwas für Sie? 3. Das Kind ist sicher nicht in den Brunnen gefallen! Sie sagen selbst, Ihr Sohn ist ein Sonnenschein. Studien zeigen zudem, dass die Verhaltensauffälligkeiten und andere Schwierigkeiten bei Frühgeborenen sich bis zum Grundschulalter meist aufheben! D.H. wahrscheinlich braucht es einfach noch ein wenig Zeit! Grundsätzlich gilt: Erziehung hat Grenzen! Selbst die besten Eltern mit den perfektesten Erziehungsmethoden (sofern es sie denn gibt), haben keine Garantie. dass alles reibungslos läuft. Kinder wachsen nicht im luftleeren Raum auf: sie haben ihr genetisches Päckchen zu tragen, es gibt nicht immer ideale Umstände (wie z.B. eine zu frühe Geburt, Krankheiten), später gibt es die Einwirkung von Freunden, Internet und Co und unser elterlicher Einfluss ist - wenngeich wichtig - auch begrenzt. Manchmal hilft es, sich das einfach bewusst zu machen, wenn es mal wieder eine harte Zeit ist und man denkt, man mache alles falsch! Ich wünsche Ihnen alles Gute mit Ihren Dreien! Herzlichst, Ihre Meike Bentz

von Dr. Meike Bentz am 14.07.2015