Was kann ich tun ?

Dr. rer. nat. Meike Bentz Frage an Dr. rer. nat. Meike Bentz Diplom-Psychologin

Frage: Was kann ich tun ?

Liebe Ärztin. Ich bitte um Rat. Ich habe ein extrem anhängliches Baby von 10 Wochen. Ich weiß dass mein Würmchen viel Nähe brauch aber sein Verhalten zurzeit kann nicht so weitergehen. Er schreit sobald ich ihn hinlege. Er will nur getragen werden. Er brüllt im Kinderwagen, im Maxicosi beim Autofahren. Ja, sogar in der Tragetasche. Ich bin am Ende meiner Geduld. Ich krieg meinen Haushalt einfach nicht geregelt weil er sofort anfängt zu brüllen wenn ich ihn hinlege. Ich hab einen Erziehungsexperten gefragt, zwei Kinderärzte. Ich war auch in der schreiambulanz. Er hat keine Koliken. Ihm gehts Super und ist auch zufrieden solang man ihn rumträgt. Mit dem schlafen gehen ist es nichts anderes. Er schreit immer eine halbe stunde bevor er mal einschläft aber beide Kinderärtze haben mir deutlich klar gemacht dass ich ihn in seinem Bett schlafen lassen muss. Dass er lernen soll alleine in den schlaf zu finden und ich noch Glück hätte weil er Babys gibt die Stundenlang schreien bevor sie in den Schlaf finden. Ich Liebe mein Kind aber so wie es jetzt ist kanns auf keinen Fall weitergehen. Ich kann nichtmal zur Toilette geschweige denn was trinken ohne dass er brüllt. Bitte sagen sie mir etwas womit ich was anfangen kann. Vielen Dank.

von Nad1234 am 19.08.2015, 17:54


Antwort auf: Was kann ich tun ?

Liebe Nad1234, zunächst, es tut mir leid, dass Sie so einen schwierigen Start haben. Es wird nicht so bleiben, dass ist sicher. Doch nun heißt es für Sie beide, wie die Zeit überstehen. Sie klingen sehr verzweifelt, wütend und entnervt, was jeder, der schon mal ein Schreibaby hatte, gut nachvollziehen kann. Gefühle wie diese machen aus Ihnen noch keine schlechte Mutter, allerdings eine, die dringend Entlastung und Unterstützung braucht. Daher die wichtigsten SOS-Tipps vorab: Wenn Sie das Gefühl haben, die Nerven zu verlieren und sich nicht mehr unter Kontrolle zu haben, legen Sie Ihren Sohn auf dem Bett oder Fußboden ab und verlassen sofort den Raum. gehen Sie erst wieder hinaus, wenn Sie sich beruhigt haben, holen Sie eventuell Beistand von Ihrem Partner, einer Freundin etc. In diesen Notfällen ist Schreien lassen wirklich besser für Sie beide! Um das Schreien besser zu ertragen - und dies nicht nur in Notsituationen, sondern generell, empfehle ich den Gebrauch von guten Ohrenstöpseln und / oder Kopfhöreren, die Außengeräusche rausfiltern. Diese dämpfen die nervtötenden Obertöne, so dass es leichter fällt, die Nähe eines schreienden Babys auszuhalten, z.B. beim Tragen, Kinderwagenschieben etc. Hilfreich ist es zudem oft, sich von dem Druck zu befreien, das Schreien abstellen zu müssen. Sie sagen selbst, organisch fehlt Ihrem Sohn nichts, er ist gesund, hat keine Schmerzen. Sein Schreien ist natürlich ein Zeichen davon, dass er sich unwohl fühlt, überreizt oder übermüdet ist, aber keine Aufforderung an die Eltern, jetzt besonders viel zu tun - eher im Gegenteil. Wenn Ihr Kind sich eingeschreien hat, hilft so schnell nichts. Hier ist es wichtiger bei einer Sache zu bleiben (etwa Tragen, Pucken oder das Kind neben sich legen und beruhigend sprechen etc.) und es im Schreien zu begleiten. Sie müssen nichts tun, außer da zu sein. Allein im Zimmer Ihr Kind schreien zu lassen, so wie es Ihnen unverständlicherweise empfohlen wurde, davon ist dringend abzuraten. So etwas ist eine Notfalllösung, aber keine "Therapie" für ein Schreikind. In dem Alter agieren die Kleinen nicht strategisch, sie wollen uns nicht ärgern oder provozieren und können durch so eine Maßnahme auch noch nicht dazu erzogen werden, sich zu beruhigen. Wichtig sind regelmäßige Ruhepausen. Für so junge Baby schon nach ca. 1-1,5 Stunden. Ihr Sohn muss nicht schlafen, sollte aber von zu vielen Reizen abgeschirmt werden. Ansonsten helfen feste Rituale und eine feste Tagesstruktur. Vor allem ist es wichtig, bereits am späten Nachmittag den Abend mit viel Ruhe und ohne aufregende Aktivitäten wie etwa hektisches Einkaufen etc. einzuläuten. Insgesamt sollten Sie sehr aufregende Aktivitäten einschränken. Sie brauchen sich nicht zu isolieren, aber ein Spaziergang im ruhigen Park ist besser als die quirrlige Innenstadt etc. Das Tragen im Tragetuch ist gerade für unruhige, reizüberflutete Kinder eine schöne Sache und bietet Ihnen die Möglichkeit, Ihr Kind viel Nähe zu geben und gleichzeitig was zu erledigen. Zudem können Sie es so gut von Reizen abschirmen, wenn Sie unterwegs sind. Weines Ihres Sohnes darf dabei nicht als Ablehnung gesehen werden, sondern als Zeichen, dass es jetzt schon zuviel war und er jetzt ein bisschen braucht, um runterzukommen. Natürlich dürfen Sie ihn rausnehmen, wenn es sich nach ca. 5 - 10 Minuten richtig einschreit, dann aber nicht aufgeben, sondern beim nächsten Mal noch mal 5-10 ausprobieren. Kinder brauchen Zeit, um sich an Dinge zu gewöhnen, als Faustregel gilt es daher alle neuen Dinge ca. 10-14 Tage ausprobieren, um überhaupt sagen zu können, ob was funktioniert oder nicht. Zum Thema Einschlafen hab ich im Forum schon einiges geschrieben, nur soviel: ich finde nicht, dass Ihr Kleiner jetzt schon allein ein- und durchschlafen muss. So setzten Sie sich und Ihr Kind sehr unter Druck! Vielleicht klappt es besser, wenn Sie ihn mittags unnd abend neben sich legen (es gibt ja nicht nur die Variante Familienbett, sondern auch die Möglichkeit eines Beistellbettchens) - verwöhnen können Sie ihr Kind in dem Alter noch nicht! Wichtig ist nur, dass so dann so wenige elterliche Einschlafhilfen wie möglich geben, als nicht ständig hochnehmen, schuckeln, Pezziball etc. Uff, das war jetzt sicher viel! Daher abschließend nur noch eines: Sie haben wie viele ratsuchende Eltern schon eine wahre Odyssee hinter sich und schon viele Fachleute befragt. Das alles ist sehr verwirrend, vor allem, wenn jeder etwas anderes sagt. Das wichtigste wäre daher aus meiner Sicht, dass Sie sich jemanden suchen, der sich langfristig begleitet, entlastet und unterstützen kann. So jemanden können Sie bei den Frühen Hilfen finden, die genau für solche oder ähnliche Startschwierigkeiten zuständig sind. Mit deren Unterstützung kann man auch sehen, ob Sie zeitweise eine Haushaltshilfe gestellt bekommen. Vielleicht fragen Sie zudem auch mal beim ortsansässigen Kinderschutzbund nach, welche Hilfsangebote es für junge Mütter bei Ihnen gibt. Vieleicht haben Sie zudem die Möglichkeit, Ihren Kleinen auch mal für ein Stündchen abzugeben, so dass Sie sich etwas erholen können? Ich verstehe das Problem mit dem Haushalt, aber ein bisschen mehr Schlaf hilft einfach, die Situation zu entzerren und wieder Kräfte zu sammeln. Ansonsten ist es so, dass die meisten Babys Ihren Schreigipfel so mit ca. 12 -16 Wochen erreicht haben. Es bestehen gute Chancen, dass Sie in ein paar Wochen viiiellll weniger Geschrei haben. Ich drücke Ihnen beiden die Daumen! Herzliche Grüße, Meike Bentz

von Dr. Meike Bentz am 20.08.2015