Schreiattacken wegen Übermüdung

Dr. rer. nat. Meike Bentz Frage an Dr. rer. nat. Meike Bentz Diplom-Psychologin

Frage: Schreiattacken wegen Übermüdung

Liebe Frau Dr. Bentz, meine Tochter - 20 Wochen- hat vor etwa 3 Wochen begonnen, Schreiattacken zu entwickeln. Bis dahin war sie ein sehr ruhiges Baby, das kaum geschrien hat und wenn, hat sie sich auf dem Arm innerhalb kürzester Zeit beruhigt. Ich habe den Kinderarzt darauf angesprochen, er meinte, dass es sich wahrscheinlich um einen ENtwicklungsschub handelt und dies von alleine wieder weg geht. Aus meinen Beobachtungen heraus gehen diesen Attacken aus einer Übermüdung hervor; ich erkenne die Müdigkeitszeichen bevor das Geschrei losgeht, kann es aber trotzdem nicht unterbinden. DIe Kleine ist bis dahin meist von selbst eingeschlafen, entweder während des Spielens oder ich habe sie beim Auftreten von Ermüdungserscheinungen hingelegt, doch das funktioniert momentan gar nicht mehr. Sie beginnt wie am Spieß zu brüllen und ist unberuhigbar, manchmal dauert das bis zu einer Stunde. Sobald Ermüdungszeichen auftreten, bespaße ich sie nicht zusätzlich, sondern verhalte mich ruhig, dunkle den Raum ab, schirme sie von Reizen ab. Ablegen funktioniert wie gesagt mom. gar nicht mehr, anfangs hat der Pezziball noch geholfen, doch nun handelt es sich hierbei nicht mehr um Minuten, sondern eher um eine STunde hüpfen und/oder tragen und es wird trotzdem gebrüllt. Früher wollte sie zum Einschlafen auch oft den Schnuller, den verweigert sie seit 3 Wochen aber komplett. Ich weiß nicht mehr weiter und weiß auch nicht, wie ich mich verhalten soll. Diese Schreiausbrüche hat sie manchmal mehrmals täglich, dann wieder einige Tage gar nicht. Ansonsten ist sie ein ausgeglichenes und interessiertes Baby, das viel lacht und sich auch selbst beschäftigt, aber diese Attacken sind momentan wirklich übel. Noch kurz zu unserem "Rhythmus": Zwischen 22 und 23 Uhr bekommt sie die letzte Flasche und schläft seit einigen Wochen auch durch- manchmal bis 4, manchmal bis 7. Dann gibt es wieder trinken und sie schläft danach (hier immer ohne Probleme!) nochmal ein, sie steht dann zwischen ca. halb 8 und halb 9 auf. Tagsüber meldet sie sich selbst wenn sie Hunger hat (mom. etwa alle 3-4 Stunden) und es gibt auch keine festen Schlafenszeiten,bislang hat es prima funktioniert, dass sie einfach einschläft, wenn sie müde ist und an manchen Tagen hat sie viel geschlafen, an anderen kaum, war aber trotzdem nie quengelig, da sie sich vermutlich den Schlaf geholt hat, den sie braucht. Denken Sie auch, dass es sich hierbei um einen Schub handeln könnte? Und wie soll ich mich verhalten? Vielen Dank und viele Grüße, Manati

von Manati am 09.09.2015, 15:08


Antwort auf: Schreiattacken wegen Übermüdung

Liebe Manati! ich kann mir vorstellen, dass diese "Verwandlung" Ihrer Kleinen Ihnen große Sorgen bereitet! Zumal es ja so plötzlich, aus heiterem Himmel gekommen ist. Zunächst ist es schon mal gut, dass der Kinderarzt nichts gefunden hat, denn dann scheint sie keine Schmerzen zu haben. Die Sachen mit dem Entwicklungsschub ist naheliegend, doch man wird halt nicht immer genau sagen können, was es denn nun im Einzelnen ist. Von Daher finde ich Ihre Beobachtung, dass Ihre Tochter diese Schreiattacken in Folge von Übermüdung zeigt, sehr wichtig. Ich würde Ihrem Gefühl unbedingt trauen und da auch ansetzen! Ein Entwicklungsschub kann sich ja auch dahingehend äußern, dass ein Kind jetzt einfach andere Bedürfnisse hat. So führt Entwicklung ja nicht nur zur Erweiterung dessen, was das Baby kann, sondern auch zur Unsicherheit. "Zurück zur Mama / zum Papa" ist dann der Versuch, sich zu beruhigen und die vielen neuen Dinge zu verarbeiten - etwas was in solchen Phasen einfach schwerer allein klappt. Kurz: es ist normal, dass ein Kind während seiner Entwicklung immer mal wieder solche Unruhephasen und ein erhöhtes Bedürfnis nach Nähe und Sicherheit hat. Damit aus solch einer Phase jedoch nicht ein Dauerzustand wird, ist es allerdings wichtig, dass Eltern darauf achten, dass sie den Zustand nicht dadurch stabilisieren oder weiter fördern, indem sie Gewohnheiten einführen, die dauerhaft verhindern, dass Ihr Kind selbst zur Ruhe kommt. d.H. Nähe und Zuwendung sind selbstverständlich ok, auch das Tragen am Tag. Doch Pezziball und Co. sollten vermieden werden, ebenso Dinge wie Autofahren zum Einschalfen, nächtliches Tragen, Schlafen bei laufendem Fön, Staubsauer, nächtliches Spielen u.Ä. All dies sind Dinge, die kurzfristig zwar Erfolg haben (= das Kind ist erstmal abgelenkt), mittel- und langfristig aber dazu führen, dass das Kind immer weiter überreizt, die verzeifelten Eltern immer mehr und immer andere Dinge versuchen usw. bis irgendwann gar nicht mehr geht und alle Seiten völlig verwirrt sind. Natürlich möchten Sie Ihr Kind nicht schreien lassen und das sollen Sie auch nicht. Doch trauen Sie Ihrem Instinkt! Wenn sie müde ist, braucht sie Ruhe, also ist das Beste, wenn Sie Ihr diese Ruhe geben! Sie sind also genau auf dem richtigen Weg, wenn Sie sie von Reizen abschotten und sich ruhig verhalten. Bitte unbedingt weiter so - auch wenn diese Art der Beruhigung auf den ersten Blick nichts nützen mag. In solchen Phasen braucht Ihre Tochter natürlich auch länger um "runterzukommen" und abzuschalten. Geben Sie ihr diese Zeit! Lassen Sie sich nicht dazu verführen, immer wieder was Neues zu probieren. Denken Sie einmal daran, wie es Ihnen nach einem stressigen oder einfach sehr spannenden, lehrreichen Tag auf der Arbeit so erging. Da konnten Sie vermutlich auch nicht sofort ins Bett und schlafen, auch wenn sie hundemüde waren. Sie mussten erstmal ankommen, vielleicht ein Bad nehmen, einen Tee trinken, sich vor den Fernseher aufs Sofa kuscheln o.Ä. So ähnlich geht es vermutlich Ihrer Tocher, sie braucht einfach in Phasen größerer Aufregung (und zwar nicht aus Erwachsenenmaßstäben) länger um abzuschalten und das kann sie am besten, wenn Sie sie dabei begleiten, nicht jedoch ihr weitere Reize bieten (schaukeln, wippen etc. stellen eine enorme Reizkulisse für ein so kleines Kind da) Ich würde zudem es auch ernstnehmen, dass Sie den Eindruck haben, dass jetzt ein bloßes in den Tag hineinleben nicht mehr so gut funktioniert. Ein Großteil der Ruhe kann den Kindern nämlich durch feste Abläufe, Rituale und Zeiten gegeben werden. So muss sich Ihre Kleine nicht ständig neu orientieren, sondern weiß die Dinge einzuordnen. Der Sinn und Zweck von Struktur ist deshalb auch nicht, die Kinder in ein Korsett aus Disziplin zu zwängen, sondern einen Wegweiser zu bieten für eine Welt mit der sie eben noch nicht so vertraut sind wie wir. Sehen Sie es als ein Angebot, was Sie ihr bieten. Nicht immer wird sie darauf ansprechen, denn in diesem Alter ist eben noch alles ein bisschen unsortiert, doch sie wird mehr und mehr lernen, eine Rhythmus aus Aktivität und Entspannung, aus Wachsein und Schlafen zu entwickeln. Ich denke daher, dass Sie mit den beiden Dingen Ruhe und Strukur sehr gut diese schwierige Zeit überstehen und gute Weichen für die Zukunft stellen. Ich persönlich empfehle immer gern dem erhöhten Bedürfnis nach Nähe und Ruhe am Tage durch Tragen und einen gemeinsamen Mittagsschlaf nachkommen (denn Kinder die viel getragen werden, sind im Schnitt abends ruhiger) und abends sich ggf. mit Ohrenstöpseln neben dem Kind ins Bett legen / daneben setzen und nichts weiter machen als da zu sein, also im Schreien zu begleiten und wirklich nur im Notfall hochheben, dann aber wieder hinlegen. Ansonsten sollten Sie den Nachmittag früh ausklingen lassen und aufregende Dinge wie Einkaufen, Besuche, Arzttermine, Krabbelgruppe etc. vormittags erledigen. Vielleicht hilft es Ihrer Kleinen auch, wenn Sie abends massiert oder gebadet wird? Doch machen Sie wie gesagt nicht zu viel auf einmal, auch ein Zuviel des Guten ist ein Zuviel. Ich drücke Ihnen auf jeden Fall die Daumen, dass es schnell besser wird! Ich denke jedoch, bei den vielen guten Ansatzpunkten und Ihrem guten Gespür wird dies kein Problem sein, solange Ihnen bewusst wird, dass in dieser Situation weniger wirklich mehr ist! Herzlichst, Ihre Meike Bentz

von Dr. Meike Bentz am 10.09.2015


Antwort auf: Schreiattacken wegen Übermüdung

Liebe Frau Dr. Bentz, vielen Dank für Ihre Antwort. Ich habe nun noch einige Rückfragen: seit gestern hat sich die ganze Situation massiv verschlechtert. Die Kleine brüllt nun vor *jedem* Einschlafen (vorher war sie noch in der Lage, ab und zu von selbst einzuschlafen, nun gar nicht mehr) und seit heute wacht sie auch bei den Tagesschläfen nach ca 45 min auf, brüllt wie am Spieß und lässt sich nur durch Hochheben und Streicheln beruhigen. Das dann aber innerhalb von 2-3 Minuten, danach schläft sie dann nochmals ein und lässt sich sofort ablegen. Beim erneuten Wachwerden - also wenn sie dann auch ausgeschlafen ist- ist es das gleiche mit dem Geschrei. Sonst hat sie sich nach dem Aufwachen erstmal gereckt und mit sich selbst gespielt, nun wird geweint bis ich sie hochhebe und beruhige, aber dann kommt die gute Laune wieder. AUch war die heutige Nacht extrem unruhig, hier war sie auch ca. stdl wach, ist dann aber wieder von alleine eingeschlafen, hat allerdings entgegen der sonstigen Nächte schon wieder um 1 und um 4 und dann wieder um 7 getrunken. Sie schreiben, ich solle die Kleine beim Schreien begleiten. Nun ist es so, dass sie müde wird, was ich schon vor dem Schreien bemerke, aber es bringt weder etwas, wenn ich sie in dieser Situation ablege (dann geht sofort das Gebrüll los), noch wenn ich sie vor den Schreiattacken sozusagen in den Schlaf trage- da gehe ich dann eine Stunde, sie bleibt wach und ist trotzdem übermüdet. Der Versuch, ein Mulltuch über die AUgen zu legen ist eher noch kontraproduktiv (Geschrei!). Auch wenn ich sie in der Situtation belasse (meist spielen), in der Hoffnung dass sie so wie früher selbst dabei einschläft, funktioniert dies nicht. Es scheint mir, als ob das Weinen einfach unausweichlich ist und sie es braucht. Kann sowas sein? Allerdings klingt sie dabei so massiv verzweifelt und regelrecht panisch, dass ich max. 3 Minuten neben ihr zu sitze, sie streichel und beruhige, doch dies bringt gar nichts und letztendlich nehme ich sie dann doch wieder hoch und trage sie. Allerdings ist das ja dann für die Zukunft gesehen kontraproduktiv (Einschlafen nur noch beim Tragen!), wenn ich das richtig verstanden habe? Bemerkt denn die KLeine, dass ich bei ihr bin, auch wenn ich sie nicht trage? Sie brüllt dann wie gesagt wirklich am Spieß und beruhigende Tröstversuche fruchten nicht und ich habe Angst, dass sie sich dann total verlassen vorkommt?! Soll ich da trotzdem "durchhalten"? Und meine andere Frage: wie führe ich denn am besten einen Rhythmus ei? Ich habe das schonmal versucht, doch die Kleine kann ziemlich dickköpfig sein, sprich wenn sie keinen Hunger hat verweigert sie die Flasche und wenn sie essen will, lässt es sich max. 15 Minuten rauszögern. Selbiges mit dem Schlafen. Versuche ich, sie zu wecken, wacht sie entweder gar nicht auf oder ist dann total knatschig und quengelig. Deshalb habe ich sie auch den Rhythmus vorgeben lassen, mit dem es ja bislang immer recht gut geklappt hat. Wo oder wie setze ich hier denn am besten an? Nochmals vielen Dank für Ihre lieben Worte und Ihre Mühe, Manati

von Manati am 11.09.2015, 17:01


Antwort auf: Schreiattacken wegen Übermüdung

Liebe Manati, eigentlich geben Sie sich die Antwort schon selbst: Sie machen alles und das Schreien hört nicht auf. Daraus folgt, alles machen nützt nichts. Es ist hart, doch sie sagen es selbst: Manchmal ist das Schreien nicht abzustellen - mit keiner Maßnahme der Welt. Es geht um Lernen und Erfahrungen. Nicht um kurzfristiges Abstellen. Damit Sie und Ihr Kind jedoch aus dem Teufelskreis von Überreizung-Reizhunger-neuer Reiz-noch mehr Schreien etc. rauskommen ist es wichtig, dass Sie den Mut haben, Weichen für die Zukunft zu stellen, die Ihrem Kind helfen, auf das richtige Gleis zu kommen. Natürlich wird Ihr Kind nicht sofort aufhören zu schreien, wenn Sie von nun an neben ihm liegen bleiben und fast nichts machen, außer da zu sein. Es muss ja erst die Erfahrung machen, dass nichts Schlimmes passiert und dafür sind Widerholungen notwenig, immer und immer wieder. Auch wenn wir nicht in die Gedanken gucken können, ich bin mir sicher, dass Ihre Kleine sich eben nicht verlassen fühlt, wenn Sie bei Ihr bleiben. Daher empfehle ich auch zunächst die Variante, anstatt eine gezieltes Schreienlassen nach der Ferber-Methode, wo eben der Raum mit dem schreienden Kind in sich stetig steigernden Zeitabständen verlassen wird. (Wenngleich man fairerweise trotz berchtigter Kritik sagen muss, dass Studien selbst hier keine negativen Auswirkkungen auf das Bindungsverhalten zeigen konnten, eher im Gegenteil. Doch dieses Fass wäre jetzt zu groß, um es hier aufzumachen.) Die Methode des begleitenden Schreiens wird in vielen Schreiambulanzen erfolgreich praktiziert und bereitet vielen Eltern eben auch weniger Bauchschmerzen - Geduld, Kraft und Ausdauer müssen Sie allerdings trotzdem haben. Ich kann Ihnen leider keinen anderen Ausweg nennen. Wenn Sie ein System ändern wollen, können Sie das nur, indem Sie Ihr Verhalten ändern. Ihre Tochter kann es nicht! Veränderungen bedeuten zunächst einmal mehr Kraft und Energie, verunsichern und irritieren. Sie können darüber sprechen, Ihr Kind schreit. Das ist dann jedoch eben kein Ausdruck, dass Sie den falschen Weg gehen, sondern ein Ausdruck, das es schwer und ungewohnt ist! Natürlcih können Sie auch abwarten und darauf zählen, dass sich alles von allein findet. Auch diese Entscheidung ist legitim, sorfern Sie die Ressiurcen dafür haben und sich damit besser fühlen. Doch kann ich sie Ihnen nicht abnehmen. Was ich Ihnen zur Motivation wirklich empfehlen würde ist das Führen eines 24-h-Protokolls. Wenn Sie den Verlauf über 10-14 Tage einfach mal kontrollieren, sehen Sie schwarz auf weiß, ob sich etwas ändert oder nicht. Ein, zwei, drei Tage haben überhaupt keine Aussagekraft! Sehen Sie vielleicht die Zeit als einen Versuch bei dem Sie nicht verschlimmern, sondern nur weitere zwei Wochen Schreierei riskieren. Und gucken Sie vielleicht auch mal, was es Ihnen so schwer macht, ruhig bei Ihrem Kind zu bleiben und es zur Ruhe kommen zu lassen. Sicher das Schreien - das ist klar! Doch was steckt dahinter? Was löst es aus? Welche Sorgen und Befürchtungen und was bräuchten Sie, um zu einer Entscheidung zu kommen, welchen Weg Sie einschlagen wollen? Was fehlt Ihnen? Was kann Ihnen helfen? Sie kennen sich ja nun ungleich länger als ich Sie, von daher wissen Sie, wie sie ticken und was Ihnen in der Vergangengheit auch in der Zeit vor Ihrer Mutterschaft gut getan hat. Also, nochmals alle Gute! Herzlichst, Ihre Meike Bentz

von Dr. Meike Bentz am 11.09.2015