Schlafen und Schreien

Dr. rer. nat. Meike Bentz Frage an Dr. rer. nat. Meike Bentz Diplom-Psychologin

Frage: Schlafen und Schreien

Hallo :) ich weiss nicht mehr weiter - ich bin an den Grenzen meiner Kraft. Vielleicht fang ich mal ganz von vorn an. Am 5.12.2014 kam mein Sohn zur Welt. Es war eine Sectio, weil sich der Muttermund nicht öffnete, wegen einer Narbe bei einer Krebsop in jungen Jahren. Er wurde mit Saugglocke und Zange aus dem Bauch gezogen, weil er zum einen so tief lag, zum anderen weil auch seine Schwester ein Jahr vorher mit dem gleichen Problem geholt werden musste. Er wurde mit einem sechsten Fingerglied geboren, welches direkt nach der Geburt abgebunden wurde um dann irgendwann abzusterben und abzufallen. Er war von Beginn an sehr unruhig, mehr als einmal kamen die Schwester in unser Zimmer, weil er laut und panisch schrie und sich einfach nicht beruhigte. Ich habe gestillt und getragen, wir waren beim Osteopathen und bis vor 4 Wochen schlief er immer nur an meiner Seite. Die Osteopathin haben wir etwa alle 6-8 Wochen besucht, da Blockaden vorlagen und er trotz sehr schneller motorischer Entwicklung immer wieder Probleme zeigte. So krabbelte er beispielsweise zunächst nur rückwärts und konnte sich nicht vom Bauch auf den Rücken rollen - als er nur 2 Tage nach dem Lösen der Blockade dann den "normalen" Bewegungsablauf zeigte, wurde deutlich, dass er ein Bein seitlich wegzog beim Krabbeln, was an einer Hüftblockade lag. Zusätzlich behandelte sie und auch wir ihn regelmäßig mit einer Klopfmassage, die ihm half Erregung abzubauen. Das war im letzten Jahr das Hauptproblem - er ist außerstande Erregung zu verarbeiten und sich irgendwie selbst zu beruhigen. So schnell auch alles andere ging, entspannen konnte er nur beim Stillen oder zumindest ansatzweise bei dieser Massage. Im Tragetuch wurde das Schreien auch immer weniger und bis er etwa 6 Monate alt wurde, konnte ich ihn vormittags so zu einem Schläfchen "zwingen". Er schrie immer viel, schlief nur sehr, sehr wenig, aber irgendwie haben wir das hinbekommen. Über die Schreibaby-Definition kann ich nur lachen - er hat von Beginn an mehr als 3h am Tag, 3 Tage die Woche geschrieen und geweint. Und wenn er nicht im Tragetuch und an der Brust gewohnt hätte, möchte ich nicht wissen, wieviel es insgesamt geworden wäre. Für mich war es so, als ob ich ihn nochmals ausgetragen kätte - etwa 10 Monate lang, nur nicht im Bauch, sondern im Tuch und nicht an der Nabelschnur, sondern an der Brust. Einen Schnuller nahm er nie, auch die Flasche nicht. Seit 6 Wochen gehe ich wieder arbeiten - das war einer der Gründe, warum er aus unserem Bett ausziehen musste. Er wurde bei jeder Bewegung von mir wach und wollte dann trinken, zeitweise alle halbe Stunde, was dazu führte, dass weder er noch ich irgendwie ausreichend Tiefschlaf bekamen. Der Auszug klaptte zunächst recht gut - er schimpfte zwar - so 5-10 Minuten, schlief dann aber ohne Probleme ein und auch weitgehend durch. Und wenn er nachts kam, hab ich gestillt und ihn wieder ins Bett gelegt, wo er friedlich weiter schlief. Letztes Wochenende waren wir auf einer Feier in der Verwandschaft und haben außer Haus übernachtet, der Kleine im Reisebett in einer Wohnung im Nachbarzimmer - und nun ist alles anders. Er schlief todmüde ein und wurde mitten in der Nacht wach, nach dem Stillen hab ich ihn wieder abgelegt und dann begann das Schreien, das wir vorher ja nun im Griff hatten. Ich hab zunächst gedacht, er beruhigt sich, aber das tat er nicht. So holte ich ihn dann zu uns, wo er friedlich weiterschlief und am nächsten Tag fuhren wir wieder heim. Seit dieser Zeit ist das abendliche Hinlegen ein Krampf mit Stillen, weglegen, rausheben, rumtragen, wieder hinlegen, sich dazulegen, den Rücken kraulen, leise erzählen und wieder von vorn. Nachts wird er immer wach, schreit untröstlich, selbst die Möglichkeit ihn zu uns zu holen funktioniert nicht mehr.... in den letzten Nächten waren es jeweils um die 3-4h Kampf bis wir irgendwie Schlaf gefunden haben. Ich wollte den Kleinen nie schreien lassen - letzte Nacht war ich dann so am Ende, dass ich nur noch selbst weinend im Wohnzimmer vor dem Babyphon gesessen habe. Ich hatte einfach keine Kraft mehr ihn zu halten und zu begleiten. Es waren kanpp 2h bis er endlich Ruhe fand. Ich habe etwa 1 Jahr alles zurückgestellt, viel Bindung und Bezug zu meiner kleinen Tochter verloren, die mit 2,5 Jahren eigentlich ja auch noch ganz viel Mama braucht. Das Problem ist auch, dass sich jeder gern um Mia (meine Tochter) kümmert - den kleinen Brüllaffen will und wollte aber niemand und so war ich immer weitgehend allein für ihn zuständig. Ich habe solche Schuldgefühle, weil es nicht schaffe, den Kleinen glücklicher zu machen, es nicht mehr schaffe, mich so um ihn zu kümmern, wie ich es gerne würde, meine Tochter vernachlässige. Der Kleine frisst mich auf, es bleibt so wenig Kraft übrig, dass für meine Kleine so wenig bleibt. Und vor allem, hab ich keinen blassen Schimmer, wie ich diesen Schreikreislauf in der Nacht wieder unterbrechen soll.... Das Schreien ist panisch und es beginnt, wenn ich ihn in sein Bett setze. Er findet dann keine Ruhe mehr und steigert sich in seine Panik rein. In unserem Bett beruhigt er sich, findet aber keinen Schlaf, sondern turnt umher. Ich habe schon gedacht, ob ich die Situation komplett ändere und eine Matratze in sein Zimmer lege, wo ich dann den Rest der Nacht bleibe. Mit ihm im Bett oder an meiner Seite, keine Ahnung, denn initial beim Stillen nachts beruhigt er sich und würde wahrscheinlich auch schlafen. Wie beurteilen sie unsere Situation? Was kann ich machen - was sollte ich auf jeden Fall lassen? Vielen dank fürs Lesen dieses Romans und viele Grüße, Vico

von Vicoline am 09.12.2015, 10:19


Antwort auf: Schlafen und Schreien

Liebe Vicoline, es fällt mir schwer, passende Worte zur Einleitung zu finden. Sie haben wirklich eine sehr harte Zeit hinter sich und jeder der das Phänomen "Schreibabys" belächelt, möge Ihren Bericht lesen. Man merkt Ihnen Ihre Erschöpfung, Verzweiflung und Resignation an, gleichzeitig bin ich beeindruckt von Ihrer Stärke und Ruhe, die ebenfalls deutlich wird. Zu Ihren Fragen: Mir ist nicht ganz klar geworden, ob Sie - außer beim Osteopathen - schon irgendeine professionelle Betreuung hinsichtlich der Regulationsschwierigkeiten Ihres Kindes in Anspruch genommen haben. Es gäbe eine Menge Dinge, Ihrem Sohn zu helfen, sich selbst besser zu beruhigen und in den Schlaf zu finden, doch erfordert dies ein systematisches Vorgehen und keine Einzelmaßnahmen. Vorausgehend sollte eine gründliche Anamnese, die unbedingt auch das Führen von 24-h-Protokollen beinhalten sollte. Gleichzeitig sollten alle organischen Ursachen vom Kinderarzt abgeklärt sein. Eine umfassende Betreuung erhalten Sie in sogenannten Schreiambulanzen an Kliniken, in Sozialpädiatrischen Zentren, Früherkennungszentren oder auch in Schlaflaboren. Ich möchte Ihnen keine Angst machen oder gar wagen, hier eine Ferndiagnose zu stellen, doch neben "einfachen" Regulationsschwierigkeiten" könnte hier auch ein komplexeres Problem vorliegen. Die Beurteilung gehört jedoch in versierte Hände von daher wäre mein dringendster Rat, nicht mehr im Dunkeln zu fischen, sondern sich kompetente Hilfe zu holen. Je eher desto besser, denn leider haben Regulationsstörungen oder andere frühkindliche Störung die Tendenz sich bei Nichtbehandlung auf weitere Kontexte auszuweiten. Ihr Kleiner ist ja zudem wirklich aus dem Alter raus, indem man allein auf die Zeit als Lösung bauen sollten. Seine Schwierigkeiten scheinen ja schon erheblich zu sein und sind zudem ja eben auch mit viel Leid für Sie alle verbunden. Jetzt den xten Tipp zum Thema Beruhigen und Einschlafen auszuprobieren wird vermutlich nicht bringen und vielleicht ihr eh auf alle Veränderungen sensibel reagierendes Kind noch weiter durcheinanderbringen. Darüber hinaus gilt für alle Kinder mit chronischer Unruhe, dass ein geregelter Tagesablauf mehr als die halbe Miete ist. Ich wiederhole es in diesem Forum immer wieder: die Hauptarbeit für Ruhe in der Nacht passiert am Tag. Den Fokus nur auf das Einschlafen zu legen, ist das Pferd von hinten aufzäumen. Ein Kind, was besonders feinfühlig auf alle möglichen Reize und Veränderungen reagiert braucht vor allem eins: Struktur und klare Abläufe. Das ist kein Hexenwerk, doch im Alltag sehr schwer umsetzten, wenn man durch Schlafmangel und ständigen Stress mürbe geworden ist. Ob dann in Ihrem Fall ein Einschlafprogramm Sinn macht, kann ich hier nicht entscheiden. Wichtig wäre hier wieder eine genaue Diagnose und etwa der Ausschluss einer frühkindlichen autistischen Störung bzw. Wahrnehmungsstörung. Was mir ansonsten noch Sorgen macht, sind Sie! Sie sagen ja selbst, Sie werden von der Situation zerfressen. Das "Rauskommen" durch Ihren Job kann zwar Entlastung bringen, ist aber gleichzeitig auch sicher eine enorme Herausforderung. Machen Sie sich bewusst, dass es wichtig ist, mit Ihren Ressourcen zu haushalten. Auch Sie sind Teil des Gefüges von daher ist es unerlässlich, den Weg nicht nur über das Kind zu gehen und alle Energie nur in Maßnahmen das Kind betreffen zu stecken. Sie müssen nicht perfekt sein und dürfen auch mal solche Erschöpfungszustände wie den beschriebenen "Notfall" erleben, doch sollten Sie sie nicht zum Dauerzustand werden lassen. Ich meine das nicht als Vorwurf! Ich bin mir fast sicher, dass Sie das Schreienlassen vorm Babyphone nachträglicher verstört haben wird, als vielleicht Ihren Kleinen, der durch Ihre Begleitung ja immer viel Nähe und prompte Zuwendung erfahren hat. Sehen Sie es als Zeichen, dass es einfach zu viel ist und nehmen Sie sich so viele Auszeiten wie möglich. Wenn Sie Ihr Kind fremdbetreuen lassen, versuchen Sie mal pro Woche 2-3 Stunden zu erhöhen. Sollte Ihr Mann in Elternzeit sein, hilft vielleicht ein stundenweise Einsatz von Babysittern oder evtl. auch eine Tagesmutter und oder Haushaltshilfe.,Jede Minute Zeit in Ihre Ruhe ist bestens investiert und manchmal auch schon ein Mittel zum Erfolg. Seien Sie kreativ, denken Sie um die Ecke und lasen Sie ungewöhnliche Lösungen zu. Die Art, eine Familie zu haben und Kinder groß zu ziehen, gibt es nicht! Bei alldem Stress ist es nur schwer allein ein Konzept zu entwickeln, was einen gut tun würde und damit schließt sich der Kreis wieder beim Thema professionelle Hilfe. Auch wenn dies sicher nicht die "Zauberantwort" ist, die Sie sicher so verzweifelt suchen, hoffe ich zumindest, dass Sie sich verstanden fühlen und hier im Forum sehen, dass Sie nicht allein sind! Sie brauchen sich wegen Ihrer Probleme nicht zu schämen und schon gar nicht, wenn Sie nach über einem Jahr auch an Ihre Grenzen kommen und es einmal nicht aushalten, Ihren Sohn im Schreien zu begleiten. Ich wünsche Ihnen alles Gute und hoffentlich bald Hilfe vor Ort! Trotz allem natürlich auch für Sie eine schöne Weihnachtszeit! Herzlichst, Ihre Meike Bentz

von Dr. Meike Bentz am 14.12.2015


Antwort auf: Schlafen und Schreien

Wenn auch viel zeit später, wollte ich doch noch mal eine Rückmeldung zu unserer Situation geben..... Wir haben Kontakt zu einer Schreiambulanz aufgenommen - allerdings war ich doch echt entsetzt über die Reaktion dort und die Wartezeit - der Termin wäre letzte Woche gewesen. Da ich im Dezember aber wirklich am Ende mit meinen Nerven war - wir hatten eine echt harte Zeit und so vieles an Verbesserung erkämpft, so dass dieser Rückschritt mich wirklich beängistigt hat, den ganzen Weg wieder von vorne gehen zu müssen, haben wir nach anderen Lösungen gesucht. ich habe dann unsere Osteopathin angerufen und dort binnen 2 tagen, die Mini bei mir im bett verbrachte einen termin. Festgestellt hatte sie mehrere dicke Blockaden durch die lange Autofahrt und löste diese..... Nach der Behandlung schlief er dann einfach im Auto ein :-) Auch für mich hatte sie viel Ruhe und Gelassenheit übrig und ermutigte mich, nicht alzu viel zu verändern, immer wieder zu gucken und vor allem nicht davon auszugehen, dass dieser Horro von Dauer sein würde. Und was soll ich sagen, abends schlief Mini wieder in seinem Bett ein und wir haben wieder die Situation wie sie vor dem obigen Datum war - nein falsch: wir sind dort regelmäßig weiter zu Kontrollen und kleinen Übungen und seit 2 Wochen läuft Mini nun und wird ruhiger und ruhiger :-) Die Schreiambulanz haben wir abgesagt, da die probleme deutlich verbessert sind und ich nur wenig vertrauen zu unsere Kinderklinik hab. Viele Grüße, Vico

von Vicoline am 09.02.2016, 19:09