sanfte Entwöhnung von Einschlafhilfen

Dr. rer. nat. Meike Bentz Frage an Dr. rer. nat. Meike Bentz Diplom-Psychologin

Frage: sanfte Entwöhnung von Einschlafhilfen

Sehr geehrte Frau Benz, immer wieder gern lese ich Ihre Beiträge und habe mich auch schon mit einer Frage an Sie gewandt. Nun bräuchte ich erneut Rat. Mein Sohn, 10 Monate alt, war von Beginn an ein recht unruhiges Baby, jedoch kein Schreibaby nach den leitenden Kriterien. Er ist motorisch sehr lebhaft, sehr aufmerksam und interessiert und eigentlich ständig auf Reizsuche. In Schüben oder beim Zahnen steigert sich die Unruhe nochmal, oft ist er dann sehr jammrig, lässt sich aber durch Nähe beruhigen. Seit Geburt an leidet er unter starken Blähungen, Verstopfung und immer mal wieder Bauchweh. Wir sind in gastroenterologischer Behandlung, in der bisher keine organischen Ursachen gefunden werden konnten. Die Blähungen machen ihm insbesondere, wenn er zur Ruhe kommt, zu schaffen. Damit wären wir beim Thema. Wenn er runter kommt, beginnt er sich zu winden und versucht seine Winde rauszudrücken. Manchmal mit Erfolg, manchmal ohne. Dadurch ist sein Schlaf massiv gestört. Nachts wird er mehrfach wach, drückt und krümmt oder überstreckt sich, fängt erst an zu jammern und schließlich zu weinen und findet nicht mehr in den Schlaf. Ich nehme ihn dann in den Arm und wiege ihn auf dem Pezziball in den Schlaf. Am Tage bringe ich ihn bisher auch so in den Schlaf. Abends klappt es im Bett und ich muss nur neben ihm sein (vermutlich weil er dann so k.o. ist). Mir ist bewusst, dass solche Einschlafhilfen eigentlich ungünstig sind, jedoch habe ich bisher keinen anderen Weg gesehen, da ich mein Baby mit diesem Unwohlsein und manchmal sogar Bauchweh nicht allein lassen konnte bzw. mir möglichstes zur Linderung tun wollte. Nun naht jedoch die Kita und ich halte es für wichtig ihn gut darauf vorzubereiten. Dazu gehört auch, dass er Tagesschläfchen nicht nur mit Tragen assoziiert. Ich probiere es auch am Tage immer wieder, ihn ins Bett zu legen, mich daneben zu legen. Meist beginnt er sich dann bald steif zu machen, wild mit Armen und Beinen zu zappeln und zu weinen. Er lässt sich dann im Liegen auch nicht mehr beruhigen. Ein großes Problem ist auch, dass es mir kaum möglich ist, zu unterscheiden, ob es ein Protest von ihm ist oder ihn grad wieder die Winde quälen. Wenn ich ihn dann ihn den Arm nehme und er dort einschläft, ist es in den meisten Fällen so, dass er sich tatsächlich erst noch eine Zeit windet und drückt, manchmal schläft er aber auch zügig ein. Bisher dachte ich immer, dass wir das bestimmt noch gut hinkriegen, wenn die Blähungen vorüber sind- das es so lange andauert hätte ich nicht gedacht. Nun warte ich nicht mehr auf ein Ende. Entschuldigen Sie die langen Vorinformationen, doch ich dachte, dass die auch wichtig sind. Nun ist meine Frage, ob Sie Ideen haben, wie ich mit dem Einschlafproblemen umgehen kann, gerade in Vorbereitung auf die Kita? Mir ist ein bindungs- und bedürfnisorientierter Umgang mit meinem Kleinen sehr wichtig, weshalb ich ihn nur schwer weinen lassen kann, zumal ich nie weiß, ob er gerade Bauchweh hat oder protestiert. Alle anderen Regeln im Umgang mit unruhigen Babys halten wir ein (wiederkehrende Tagesstruktur, Reizdosierung, Rituale...). Ich freue mich auf Ihre Anregungen. Liebe Grüße!

von @Justitia@ am 30.05.2016, 14:27


Antwort auf: sanfte Entwöhnung von Einschlafhilfen

Liebe Justitia! es freut mich, dass Sie in meinem Forum schon ein paar Anregungen bekommen konnten! An Ihrem Beitrag sieht man zudem sehr schön, wie wichtig eine umfassende Anamnese ist. Daher auch immer mein Rat, sich zunächst an den Kinderarzt zu wenden, so wie Sie es ja auch getan haben. Vielleicht noch mal ein paar Infos zum Thema Blähungen & Schlaf Allgemein ist widerlegt, Koliken als Ursache für exzessives Schreien zu betrachten. Man spricht jedoch manchmal weiterhin von 3-Monats-Koliken, weil es damit der Zeitrahmen umrissen wird, in dem die Babys eben am meisten schreien. Der Rückgang der täglichen Schreidauer wird ursprünglich mit der Reifung des Darmes verbunden, doch diese Theorie gilt als überholt. Eine weitaus größere Rolle als der Darm scheint da schon eher die Hirnreifung zu spielen. Dennoch kann ein Kind selbstverständlich an gesundheitlichen Problemen im Magen-/ Darmtrakt leiden, die zu vermehrter Unruhe und vermehrten Unwohlsein, auch Schreien führen. Sind die Ursachen wie etwa schmerzhafte Blähungen oder ein Reflux beseitigt, so hört auch das Schreien auf. Bei „echten“ Schreibabys nicht, denn es geht dabei per Definition um plötzliches, unstillbares Schreien – ohne erkennbare Ursache. Doch (wie sagt es unser Kinderarzt immer so schön), ein Kind kann Läuse UND Flöhe haben. Natürlich kann es durch exzessives Schreien und durch das Verschlucken von Luft zu einem Blähbauch kommen, doch eben als „Begleiterscheinung“. Oder ein Kind hat eine Unverträglichkeit und zeigt gleichzeitig Regulationsschwierigkeiten. Es ist also nicht ganz einfach (und manchmal auch nicht möglich) Läuse und Flöhe zu trennen. Eine richtige Diagnose sollte immer die ärztliche und psychologische Seite beinhalten. Was nun bei Ihrem Kind wirklich vorliegt, kann auch ich Ihnen leider nicht sagen, und nicht selten bleibt es auch einfach bei der unbefriedigenden Aussage „man kann nichts finden“. Das bringt Eltern in keine einfache Situation, denn schließlich macht es einen Unterschied ob ein Kind, wenn ein Kind Schmerzen hat oder aus aufgrund von Schwierigkeiten mit der Selbstregulation nicht schlafen kann. Viele fragen sich dann, was ist, wenn hinterher doch raus kommt, dass er/sie was hatte, was tu ich meinem Kind an, hat es doch Schmerzen etc.? Wenn Sie das immer im Hinterkopf haben, dann werden Sie anders reagieren, als wenn Sie sicher sind, mein Kind ist einfach nur überdreht. Ich denke in der Zwickmühle stecken Sie jetzt! Und eine sichere Diagnose wie „es ist dies oder das“ würde sicher vieles leichter machen. Doch ich fürchte, wenn bislang nichts gefunden wurde, dass Ihnen auch von ärztlicher Seite die Unsicherheit nicht genommen werden kann. Doch eines ist sicher, wen es Ihrem Kind richtig schlecht ginge und / oder es ernsthaft erkrankt wäre, hätte man aller Wahrscheinlichkeit was gefunden – und Sie würden es merken. Ich vermute daher ganz vorsichtig, dass vielleicht das Thema Verdauung und Blähungen zu sehr in den Fokus gerückt ist und so vielleicht auch die Sorge, dass Schmerzen im Spiel sind. Grundsätzlichi ist es normal, dass Kinder abendszu Ruhe kommen, motorisch noch sehr unruhig sind, sich hin- und her wälzen, stöhnen, grummeln etc. Auch Blähungen können vermehrt auftreten. Dies liegt jedoch manchmal einfach nur daran, dass am Tage in Aktion und in der Bewegung die Pupser oft auch unbemerkt für Sie und Ihr Kind abgehen. Zu Schlafenszeiten, wenn alles ruhig ist und ein Kind nicht abgelenkt ist, merkt es natürlich eher, das was zwickt und zwackt. Und Sie merken es ebenfalls eher. Auch die Rückenlage kann dann unangenehm sein, doch ist sie nun einmal die einzig sichere Lage gegen den plötzlichen Kindstod. Man kann aber in Absprache mit dem Kinderarzt und unter Verwendung einer speziellen Warnunterlage für die Matratze, ein Kind mit Bauchweh in der Bauchlage (ggf. auf einem kleinen, nicht zu warmen Körnerkissen liegend) einschlafen lassen und es dann nachher drehen. Ob einem das Risiko wert ist, muss sich sehr genau überlegen und ich kann hier natürlich zu nicht raten. Dennoch - unabhängig davon gibt es Wege, Ihrem Kind Nähe zu geben ohne es übermäßig zu stimulieren und dann immer wieder in den Teufelskreis aus Unruhe-Reizhunger-Stimulation zu kommen. Bewegung ist einerseits natürlich ein gutes Mittel gegen Blähungen, von daher macht vielleicht ein warmes Bad, eine kleine Massage mit ein bisschen Babygymnastik (entsprechende Griffe kann Ihnen Ihre Hebamme zeigen) vor dem Schlafen Sinn. Doch Achtung: manche Babys werden dadurch erst recht munter! Ist dies der Fall, sollten Sie dies auf den vormittags verlegen und tagsüber für viel aktive (Krabbeln, Robben, Strampeln) und passive Bewegung (Turnen, Tragen, Massieren) sorgen. Auch können Sie Ihr Baby sanft auf dem Pezziball bauchwärts hin- und her rollen. Wenn es dann aber um das Einschlafen geht, können Sie versuchen, auf die Bewegungsreize zu verzichten. Das wird nicht einfach sein, denn natürlich ist das Wippen für ein so kleines Kind ein starker Reiz, der wunderbar von der Müdigkeit und vielleicht unangenehmen Bauchdrücken ablenken kann. Alternativ können Sie Ihr Kind auch tagsüber einfach halten, wenn es beim Einschlafen weint. Das ist für mache Eltern leichter als wenn das Kind weinend neben einem liegt und man nur eine Hand auf den Bauch legt. Dennoch – so oder so wird es Schreierei geben. Es wäre ja auch merkwürdig, wenn ein Kind, wenn man plötzlich etwas Gewohntes weglässt, Hurra schreit. Gerade wenn wir müde sind, wollen wir Gewohntes und keine Experimente. D.h. Sie müssen sich auf Stress einstellen – bei Ihnen und Ihrem Kind. Doch mit Bindung hat dieser Stress weniger zu tun. Ihr Kind hat Sie ja weiterhin dabei, nur muss es dann quasi durch Entzug lernen, auch ohne das gewohnte Programm einzuschlafen. Hier jedoch müssen Sie Geduld haben. Veränderungen brauchen Zeit (ca. 14 Tage). D.h. wenn es am ersten Tag nicht klappt, weiter am zweiten, dritten, usw. Ansonsten tun Sie ja schon sehr, sehr viel dafür! Die Hauptarbeit für gesunden Schlaf liegt am Tage und nicht erst beim Einschlafritual. Hat man - wie Sie - erstmal die richtige Basis geschaffen, ist es viel einfacher den Rest zu schaffen. Sind Sie erst einmal so weit dass Ihr Kleiner ohne den Ball einschlafen kann, können Sie wie abend dazu übergehen, Ihn liegend ins Bettchen zu legen und einschlafen zu lassen. Auch das ist wieder eine Änderung – sprich wieder etwas Stress. Den Kitastart sehe ich dabei eher als Hilfe und würde mir gar nicht so viele Gedanken machen. Kinder können sehr gut zwischen verschiedenen Personen und Situationen differenzieren. Von daher wird Ihr Kleiner dort mit einer völlig neuen Situation konfrontiert, in der es eben andere „Spielregel“ gibt. Ich finde es immer wieder erstaunlich, wie problemlos Kinder es schaffen, sich auf unterschiedliche Kontexte einzustellen und Dinge, an denen sich die Eltern die Zähne ausbeißen, dort total problemlos verlaufen – vor allem, was das Thema Mittagsschlaf betrifft! Doch reden Sie ruhig mit den Erziehern mal über Ihre Sorge. Sie sind ja nicht die ersten Eltern, die mit diesem Problem kommen, so dass man dort ganz gewiss über einen reichen Erfahrungsschatz verfügt. Ich wünsche weiterhin alles Gute und einen schönen Kitastart! Herzlichst, Ihre Meike Bentz

von Dr. Meike Bentz am 31.05.2016