Regulationsstörung?

Dr. rer. nat. Meike Bentz Frage an Dr. rer. nat. Meike Bentz Diplom-Psychologin

Frage: Regulationsstörung?

Sehr geehrte Frau Benz, meine Tochte wurde im Juli 2. Sie hat in den ersten drei Monate zwar viel geschrien, per definitionem war sie aber kein Schreibaby. Natürlich hat sich auch mir diese Zeit eingeprägt und auch wenn sie jetztmal quengelt, so schreit sie doch fast gar nicht mehr. Ich würde sie als aktiv, interessiert und neugierig und fröhlich beschreiben. Wenn ich dabei bin, ohne einzugreifen, kann sie bis zu 45 Minuten auf eine Sache konzentriert bleiben. Alleine spielt sie nur selten. Andere Kinder liebt sie als Spielpartner heiß und innig, da bin ich als Mutter auch mal 2-3 h abgeschrieben (finde ich natürlich gut... ;) ) Nun ist es so, dass sie noch gestillt wird, manchmal zum Einschlafen und bis zu 3x in der Nacht, wobei es auch Zeiten gab, in denen sie nur einmal stillte oder durchschlief. Sie dreht sich nach dem Stillen gleich um und schläft weiter. Der heiße Sommer und dadurch veränderte Schlafgewohnheiten sowie die Backenzähne haben dazu geführt, dass sie wieder häufiger aufwacht. In der Krippe oder mit Papa (es ist in beiden Fällen jmd bei ihr dabei) schläft sie gut ein. Wenn sie aber nachts aufwacht und sie kann nicht stillen, kann sie bis zu einer Stunde schreien und quengeln. Untertags stillt sie zwei bis drei Mal (ist quasi ihr Kuhmilchersatz, da sie allergisch ist). Jetzt meine Frage: Bin ich hier schuld an einer Regulationsstörung indem ich die Kleine noch stille? Welche Folgen kann das haben? Wenn ein Kind nur mit Schnuller oder Stofftier schläft, hat es dann nicht auch eine Regulationsstörung? Ich würde ihr das nächtliche Stillen ja gerne abgewöhnen, aber durch die erste Zeit kann ich ihr Schreien in der Nacht nur sehr schwer ertragen... und ich habe auch das Gefühl, dass meiner Tochter die Nähe gut tut und frage mich, ob es wirklich sinnvoll ist, das durch etwas Materielles zu ersetzen. Natürlich will ich aber nicht an einer Regulationsstörung schuld sein... Ich hoffe Sie verstehen mein Dilemma und können mir weiterhelfen und mir sagen, ob ich unbedingt vom nächtlichen Stillen wegkommen muss.

von kirschbaum123 am 17.08.2015, 15:38


Antwort auf: Regulationsstörung?

Liebe Kirschbaum123! also mal vorweg: das was Sie beschreiben, klingt alles andere als nach einem regulationsgestörtem Kind!! Dennoch nehme ich Ihre Frage ernst, denn ich verstehe die Sorge, die sich dahinter verbirgt. Zunächst allgemein: Um eine Regulationsstörung zu diagnostizieren, braucht es mehr als phasenweise nächtliche Unruhe. Hier muss man sehr genau befragen und beobachten, Protokolle führen etc. Auch nächtliche Stillunterbrechungen sind nicht gleichzusetzen mit Regulationsstörung und noch viel weniger ist Stillen ein Grund für Regulationsstörungen! Hier muss sehr genau differenziert werden, um Ursache und Folge nicht zu verwechseln. Was in vielen etablierten verhaltenstherapeutisch orientierten Schreiambulanzen und schulmedizinisch empfohlen wird und wissenschaftlich gut dokumentiert ist, ist die Förderung des selbsständigen Einsschlafens durch allmählichen Abbau elterlicher Einschlafhilfen (d.h. aber NICHT unbedingt allein schlafen, Schreien lassen oder Schlaftraining - hier gibt es viele Varianten, abhängig von Alter; Kind uvm.!!) . ZU elterlichen Einschlafhilfen kann das Stillen natürlich auch zu gezählt werden, wenn a) das Kind ein Alter erreicht hat, in dem nächtliche Stillmalzeiten sich allmählich reduziert haben sollten, es aber bei häufigen nächtlichen Unterbrechungen bleibt oder diese sich sogar im Laufe der Zeit gesteigert haben, d.h. die Tendenz stimmt nicht b) wenn ein Einschlafen und Beruhigen ausschließlich nur über die Brust funktioniert und bei Wegfallen des Reizes (Brustwarze aus dem Mund) sofort erneute Unruhe eintritt c) wenn die Häufigkeit der nächtlichen Stillunterbrechungen dauerhaft ein Maß erreicht haben (phasenweises sogen. Clusterstillen ist völlig normal), dass eine altergemäße Schlafentwicklung mit ausreichend Tiefschlafphasen verhindert wird und sich Unregelmäßigkeiten wie REM Schlafverkürzungen, chrononische Unruhe oder andere Entwicklungsdefizite zeigen. (Es gibt Extremfälle, wo Kinder im Alter Ihrer Tochter immer alle 1- 1,5 Stunden aufwachen und gestillt werden möchten) Wenn Sie hierzu mein Forum anschauen oder mal auf Seiten von attachment parenting Vertretern gucken, ist diese Sicht nicht unumstritten. Häufigster Kritikpunkt ist, dass unsere westliche Kultur den Kindern Bedingungen aufzwingt, die nicht ihren Bedürfnissen entsprechen. Einige fordern daher, Kindern so lange Zeit zu lassen, wie sie eben brauchen, um sich selbst abzustillen und nächtliches Stillen eben so lange hinzunehmen. Gucken Sie sich dazu mal die Literaturempfehlungen von Franziska24 oder Eulenkind hier in meinen Forum an. Ich selbst sehe aus meiner fachlichen Ausbildung her anders, da es eben für die köperliche und seelische Gesundheit wichtig ist, dass wir schlafen (nicht gleich von anfang an und keinesweg nur allein, aber die Enwicklungsrichting sollte da sein). Wenn ein Kind aber dauerhaft nicht in den Schlaf findet, chronisch übermüdet und überreizt ist und sich die Spirale immer weiter aufschaukelt, sehe ich Handlungsbedarf. Hier kann dann das nächtliche Abstillen ab einem gewissen Alter EIN Baustein sein. Auch bin ich nicht der Ansicht, dass Mütter sich bis zur völligen Erschöpfung aufopfern müssen, damit Ihr Kind eine sichere Bindung erlangt und zu einem fröhlichen Menschen wird. Eine psychische Störung der Mutter ist nämlich nachweisbar ein erhebliches Risiko für die kindliche Entwicklung: Für das Abstillen im Kleinkindalter kenne ich dagegen keinen solchen Beleg. Hier empfehle ich Ihnen natürlich auch gern Literatur, wenn Sie das wollen. Also, sofern Sie sich so wohlfühlen und Ihre Tochter so ausgeglichen und fröhlich ist, besteht aus meiner Sicht kein zwingender Handlungsbedarf, zumal ja auch gute Gründe für die in der letzten Zeit häufigeren Unterbrechungen vorlagen (Hitze, Zähne, Kuhmilchallergie). Die Tendenz sollte allerdings natürlich schon sein, dass sich die nächtlichen Unterbrechungen abbauen und nicht erhöhen. Und dass der Vater dann beim Abstillen eine große Hilfe sein kann, haben Sie ja selbst erlebt. Im Gegensatz zu meiner Kritikerinnen bin ich der festen Überzeugung, dass ein Abstillen durch die nächtliche Betreuung des Vaters keine Bindungstörung hervorruft. Somit haben Sie aus meiner Sicht ja Ihre Option schon, sollten Sie Handlungsbedarf verspüren und / oder ihre Tochter Ihnen dies durch vermehrte Tagesmüdigkeit und Unausgeglichenheit signalisieren. Die Frage nach dem Kuscheltier / Schmusetuch würde ich davon unabhängig betrachten. Solche "Übergangobjekte" helfen Kindern in Phasen des Übergangs von der Nähe zur Bindungsperson zur Trennung, also etwa in der Kita, im Bettchen, Bei Oma aber auch sonst bei allem, wo Mama mal akut nicht greifbar ist. Sie sind kein Ersatz, aber ein wichtiges Hilfsinstrument und einige Psychologen postulieren gar, dass ihr Fehlen die geistig-seelische Gesundheit beeinträchtigen kann. So weit würde ich nicht gehen, aber in dem Angebot eines solchen Hilfsmittels eine Unterstützung und keine Konkurrenz für Nähe sehen. Regulationsgestört sind Kinder, wenn sie Hilfsmittel wie diese (oder eben den Schnuller) benutzen deshalb nicht, weil dies ja geeignete Strategien zur Selbstberuhigung darstellen. Kinder mit Regulationsstörungen können ja genau das nicht. Doch auch hier gibt es radikale Meinungen, die für einen völligen Verzicht plädieren. Sie sehen, um eine Entscheidung, was für Sie am besten passt, kommen Sie trotz aller Expertenmeinungen nicht herum. Doch bei dem, wie Sie Ihre Tochter beschreiben, habe ich keine Zweifel, dass Sie da den richtigen Weg für Sie beide finden! Alles Gute dafür! Herzlichst, Ihre Meike Bentz

von Dr. Meike Bentz am 17.08.2015