Nimmt die Schreidauer zwangsweise zu?

Dr. rer. nat. Meike Bentz Frage an Dr. rer. nat. Meike Bentz Diplom-Psychologin

Frage: Nimmt die Schreidauer zwangsweise zu?

Liebe Frau Bentz, ich habe eine kurze Frage, die mich aber sehr beschäftigt. Da unser Kleiner, gerade drei Wochen alt, schon jetzt sehr viel schreit, würde ich gerne wissen, ob die Schreidauer immer zunimmt. Man liest ja überall, dass das Schreien, egal ob noch im Rahmen oder das Schreien eines Schreibabys, in der zweiten bzw. dritten Woche beginnt und bis zur sechsten bzw. zehnten Woche zunimmt. Lässt das jetzige Schreiverhalten außerdem irgendwelche Rückschlüsse zu, ob sich unser Baby zu einem Schreibaby entwickelt? Herzlich eingeladen Grüße und vielen Dank

von umiomi am 24.05.2016, 16:08


Antwort auf: Nimmt die Schreidauer zwangsweise zu?

Liebe umiomi, ich kann mir gut vorstellen, dass dieser Punkt Ihnen sehr am Herzen liegt, schließlich werden Sie sich fragen, wie schlimm es noch werden wird. Zunächst einmal: Ja, das was Sie gelesen haben, ist der typische Verlauf. D.h. im Schnitt schreien Kinder nach den ersten relativ ruhigen 1-2 Wochen zunehmend mehr, um dann mit etwa 12- 16 Monaten wieder deutlich weniger zu schreien. D.h. rein statistisch ist es wahrscheinlich, dass Ihr Kind in den nächsten Wochen (noch) mehr schreit. Dennoch: a) Tabellen mit typischen Verläufen oder Normtabellen bedeuten keine Gesetze! Im Individualfall kann es alles ganz anders aussehen. Eltern sollten sich daher auch nicht voreilig ängstigen lassen und über „ungelegte Eier“ Gedanken machen. Das kann zu einer sich-selbst erfüllenden Prophezeiung werden, denn die Erwartungsangst verführt Eltern gern dazu, alles Mögliche zu tun, um das Schreien zu verhindern. Genau das kann aber ein Teil des Teufelskreises sein. b) Die Streuung ist sehr breit! Es könnte sein, dass Ihr Sohn nun täglich im Schnitt 15 Minuten mehr schreit, damit zwar dem Verlauf entspricht, jedoch eine geringe Steigerung aufweist. Ebenso könnte es sein, dass Ohr Sohn schneller oder später den Schreigipfel erreicht, langsamer oder schnell weniger schreit etc. Was ich Ihnen raten würde: Versuchen Sie, im Hier und Jetzt zu bleiben und auf Überinformation durch zahlreiche Ratgeberliteratur und intensive Onlinerecherche zu verzichten. Auch in diesem Forum werden ja nur problematische Dinge thematisiert, was zu der verzerrten Wahrnehmung führen kann, dass überall Probleme lauern. Suchen Sie sich anstatt dessen (wenige!) vertrauensvolle und kompetente Ansprechpartner, wie z.B. Ihre Hebamme oder Ihren Kinderarzt. Beide kennen Sie und Ihr Kind besser und haben entsprechendes Fachwissen und gleichzeitig Vergleiche. Außerdem wäre es aus meiner Sicht sinnvoll, sich zu überlegen, wie Sie die anstrengenden und nervenaufreibenden Schreizeiten bestmöglich überbrücken können. Dabei sollten Sie sich von dem Gedanken frei machen, das Schreien immer stoppen zu können. Nicht immer gibt es einen offensichtlichen Grund wie Hunger, Windel voll, müde etc. Wie Sie an den Verläufen sehen, ist Schreien und eine Zunahme des Schreiens typisch und damit normal! Vielen Eltern hilft es daher einen „Schlachtplan“ zu entwickeln. Dies kann die Benutzung von Gehörschutz / Ohrenstöpseln bedeuten, die die schrillen Obertöne abpuffern und dadurch ermöglichen, selbst ruhiger und gelassener zu bleiben, um den Kind genau diese Ruhe zu vermitteln. Wichtig ist zudem, sich Entlastungsmöglichkeiten zu suchen und zwar regelmäßig, nicht nur in Krisenzeiten. 1 Stunde ungestörten Schlaf täglich kann hier schon Wunder wirken und ist viel leichter zu realisieren, als hin und wieder mal eine große Aus-Zeit. Es ist also nicht egoistisch, auch auf sich gut zu achten. Tagsüber kann es helfen, schwierige Zeiten mit dem Tragetuch / der Tragehilfe oder dem Kinderwagen draußen zu überbrücken, denn Licht und frische Luft wirkt für Eltern stimmungsaufhellend und sorgt bei den Kleinen für eine raschere Stabilisierung und Angleichung des Tag-/ Nachtrhythmus. Ebenso sorgen eine regelmäßiger Tagesablauf und feste Rituale für zusätzliche Stabilisierung und Ruhe. Sie müssen sich dabei nicht sklavisch an Uhrzeiten halten, doch können Sie durch Struktur Ihrem Kind helfen, sich in dieser Welt zu orientieren. Sollten tatsächlich Probleme auftreten, sollten Sie nicht versuchen, sie möglichst lange allein durchzustehen, sondern sich rasch Hilfe kompetente vor Ort zu holen. Allein das Wissen, hier könnte ich mir Unterstützung holen, hilft vielen Eltern ungemein. Ansonsten reichen bei raschem Reagieren für gewöhnlich schon 1-3 Termine aus, während Abwarten meist unnötiges Leiden und eine komplexere und länger dauernde Behandlung bedeutet. Ich drücke Ihnen auf jeden Fall die Daumen, dass Ihr Kleiner schnell in dieser Welt ankommt und Sie bald entspannter Zeiten haben! Herzlichst, Ihre Meike Bentz

von Dr. Meike Bentz am 29.05.2016