Negative Konsequenzen des nächtlichen Aufwachens

Dr. rer. nat. Meike Bentz Frage an Dr. rer. nat. Meike Bentz Diplom-Psychologin

Frage: Negative Konsequenzen des nächtlichen Aufwachens

Liebe Frau Dr. Benz, ich habe schon viel hier im Forum gelesen und konnte schon einiges aus Ihren Antworten ziehen. Vielen Dank. Jedoch bin ich sehr verunsichert, was das Thema "Schlafen" angeht. Sie geben immer wieder den Rat, dass das Baby oder Kleinkind ja noch nicht die Negativen Folgen des nächtlichen Gestillt- oder Beruhigtwerdens kennt und man es daher als Eltern in die Hand nehmen muss dies zu ändern. Meinen Sie damit die Übermüdung der Eltern und alle damit einhergehende Folgen? Oder gibt es tatsächlich auch direkte Folgen für das Baby/Kleinkind, wenn es nicht direkt allein in den Schlaf zurück findet? (Außer eventuell die Zahngesundheit) Über eine Antwort würde ich mich sehr freuen. Reicht ganz kurz, ich sehe ja,wie viel Sie zu tun haben. Vielen herzlichen Dank für Ihre Hilfe Gruß Franziska

von Franziska27 am 02.11.2015, 14:20


Antwort auf: Negative Konsequenzen des nächtlichen Aufwachens

Liebe Franziska, jetzt mussten Sie ein Weilchen auf meine Antwort warten, dafür bitte ich um Entschuldigung! Ihre Frage ist wirklich gut, denn wie man in vielen Post lesen kann, bestehen hier große Unsicherheiten. Wie Sie sehen, gibt es zu diesem Thema sehr unterschiedliche und teilweise auch ideologisch gefärbte Antworten. Auch hier steht man als Eltern also wieder vor der Aufgabe, die veilen Infos zu sortieren und sich selbst eine Meinung bilden zu müssen. Kein Experte wird ohne Gegenexperten bleiben (-; Ich kenne mich z.B: nicht mit dem Schlaf von Primaten aus - doch finde ich - absehen davon ich die Infos interessant finde - solche Vergleich schwierig und manchmal auch ein wenig willkürlich. Ich möchte schließlich auch nicht für Promiskuität werden oder dafür plädieren, die Kinder meiner Nebenbuhlerin zu fressen , wenngleich das bei Primaten zu beobachten ist...(-; Was mich an solchen Vergleichen immer stört, ist sind häufig versteckte Botschaften wie " es ist alles natürlich - nur die Eltern wollen oder können sich nicht diesen Bedürfnissen anpassen". Dabei möchte ich diese Absicht meiner Vorrednerin überhaupt nicht unterstellen! Mit Ihrem Beitrag wollte sie Ihnen sicher Mut machen und völlig zu Recht zeigen, dass der Schlaf nicht immer ein Musterschüler sein muss und kann- ich nehme ihn aber jetzt einfach mal exemplarisch für eine ganze Reihe ähnlich gelagerter Beispiele. (und hoffe, sie nimmt es mir nicht übel..) Also kurz vorweg zu meiner Philosophie: Mal abgesehen davon, dass die Aussage "Schaden durch Schlafmangel beträfe nur die Eltern" meiner Meinung nach nicht haltbar ist - Familie funktioniert immer nur in Interaktion! Ich finde es daher nicht nur legitim, sondern auch verantwortungsbewusst, wenn Eltern sich ihrer Belastungsgrenzen rechtzeitig bewusst werden und nach Lösungen suchen, anstatt einen Zustand, unter dem alle leiden, ewig hinnehmen - meist, weil sie von Idealen von sich selbst völlig aufopfernden Eltern geleitet werden. Warum sollte ich als Mutter nicht das Recht haben, gegen dauerhaften Schlafmangel etwas machen, wenn dieser bereits so lange und in solchen Ausmaß existiert, dass ich es nicht mehr aushalte? Selbstverständlich müssen dabei die Bedürfnisse des Kindes berücksichtigt werden, selbstverständlich müssen Kompromisse eingegangen werden. Doch das ist den meisten Eltern meiner Erfahrung nach klar und ich bin überzeugt, dass die allermeisten Eltern das Beste für Ihre Kinder wollen und sich nicht auch rein egoitischen Motiven um den Schlaf sorgen. Ich möchte daher Eltern Mut machen, auch mit sich und ihren Ressourcen achtsam zu sein und damit eben auch ein gutes Vorbild für Ihre Kinder abzugeben. Doch nun endlich - bevor Sie einschlafen - zu Ihrer Frage: Die möglichen negativen chronischen Schlafmangels beziehen sich auf folgende drei Ebenen- a) Kind b) Eltern c) Interkation zwischen Eltern und Kind Im Grunde unterscheiden sich die Folgen für Eltern und Kind gar nicht so sehr, wenngleich bei Kindern der Schlafmangel auf ein eben noch unreifes Hirn trifft. Dieses Hirn ist zwar bis ins hohe Altern noch "formbar", jedoch passiert eben das meiste in der Kindheit. D.h. auch, wenn bestimmte Entwicklungsschritte durch chronischen Schlafmangel schlecht oder verzögert vollzogen werden, ist kein unanbwendbares Schicksal, jedoch ein Hemmschuh, denn man u.U. mit mehr Mühe überwinden muss. Zunächst: Was passiert im Schlaf? Schlaf ist ein hochkomplexes System und dient nicht nur geistigen Vorgängen wie Lernen, Konzentration, Aufmerksamkeit etc., sondern beeinflust auch unser Immunsystem, die Ausschüttung von Hormonen und damit auch durch komplizierte Stoffwechselvorgänge indirekt Dinge wie etwa das Gewicht. Schlaf beeinflusst somit sowohl unser körperliches Wohlbefinden als auch unsere psychische Gesundheit. Von Amnetsy International ist Schlafentzug als Methode der weißen Folter anerkannt, was deutlich macht, wie das es sich dabei nicht einfache um eine Lapalie handelt. Jeder Mensch braucht Schlaf und dabei sowohl Tief-- als auch sogen. REM Schlafphasen, die in der Nacht durch ein mehfaches Durchschlaufen von Schlafzyklen erreicht werden. Dieses "Durchschlafen" eines Zyklus dauert bei Babys und Kleinkinder weniger lang als bei Erwachsenen. D.H. nächtliches Aufwachen ist daher allein deshalb bei (kleinen) Kindern häufiger. Doch ein dauerhaftes stündliches Aufwachen ist eben auch für ein junges Kind zu kurz, um einen Schlafzyklus einmal komplett zu durchlaufen und eben nicht "normal" weil von der Biologie so nicht vorgesehen (sonst hätten Kinder ja eben nicht zunehmend längere Schlafzyklen!). Wichtig ist Schlaf besonders fürs Lernen. Lernen ist neurobiologisch stark vereinfacht nicht anderes als die Verknüpfung von Nervenbahnen, wobei die relevanten Vernüfpungen weiter ausgebaut werden und die irrelavanten eben nicht. Für diese Prozesse braucht das Hirn Schlaf, von daher gehört er zu optimalen Lernbedingungen dazu. Was passiert aber bei Schlafmangel? Es kommt zu einem sogen. Übertrag d.h. z.B. erhöhtem REM- Schlafdruck am Tage. Dieser zeigt sich durch erhöhte Reizbarkeit, geringere Aufmerksamkeit, Konzentration etc. Langfristig können Lern- und Verhaltensprobleme sowie psychische Beeinträchtigung die Folge sein. Sogar Übergewicht wird in Zusammenhang diskutiert. Was passiert mit der Interaktion: Chronischer Schlafmangel kann zu einer nicht zu unterschätzenden Belastung einer Familie auswachsen. Übermüdete Eltern sind nicht nur gereizter, sind sind natürlich auch nicht so feinfühlig wie ausgeschlafene Eltern. Wenig feinfühlige Eltern können schlechter eine gute Bindung zu ihrem Kind aufbauen und dessen Bedürfnissen gerecht werden. Schlaf wird zum Dauerthema und belastet nicht nur die Eltern-Kind-Bindung, sondern auch die Paarbeziehung, die Leistung im Beruf, das Sozialleben etc. Das alles kann zu einem Teufelskreis aus wechselseitiger Anspannung auswachen, in denen die Kindern immer unruhiger, zappeliger, und fordernder werden, was wiederum die übermüdeten Eltern weiter überfordert Ganz wichtig ist mir zum Schluss: Ich spreche hier NICHT über eine turbolente Woche, sondern Folgen chronischen Schlafmangels! . Wann dieser bei einem Kind oder Erwachsenen auftritt, ist ganz unterschiedlich und lässt sich ohne Kenntnisse des Verlaufs und der weiteren Umstände nicht sagen. Wenn jedoch ein Kind erheblich von einer altergemäßen Entwicklung abweicht und / oder überhaupt keine Entwicklung im Sinne von Verbesserungen festzustellen ist, empfehle ich zu handeln und das Kind entsprechend untersuchen zu lassen. Wenn ein Kind schlecht schläft wird es zwar nicht dumm oder zum Soziopathen, doch hat es eine Hürde zu nehmen, die man durch eine Maßnahmen sicher niedriger machen kann. In diesem Sinne: Uns allen eine gute Nacht! Herzlichst, Ihre Meike Bentz . .

von Dr. Meike Bentz am 05.11.2015


Antwort auf: Negative Konsequenzen des nächtlichen Aufwachens

Hallo Franziska, es freut mich, dass du diese Frage gestellt hast, die auch mir schon länger im Kopf herumgeistert und ich bin gespannt auf die Expertenmeinung. Ich würde gerne auch etwas dazu schreiben, wenn es dich nicht interessiert, ignorier es einfach ;-) Ich habe mich aus persönlichem Interesse und wahrscheinlich auch ein bisschen aus geistiger Unterforderung in der Elternzeit ;-) mit dem Still- und Schlafverhalten von großen Menschenaffen beschäftigt. Damit will ich nicht sagen, dass der Mensch das genau so machen sollte, um seiner Natur zu entsprechen, denn uns trennen natürlich doch "einige" Jahre der Evolution. Aber nichts desto trotz sind es die uns ähnlichsten Säugetiere auf dem Planeten und vielleicht kann man ja ein paar Dinge doch als Anregung nehmen oder zumindest als Hintergrundinfo betrachten, auch unter dem Gesichtspunkt dass es bei Affenbabys keine Schreibabys und Dreimonatskoliken gibt ;-) Also, kurz und knapp: Ein Primatenbaby wird die ersten 4 Monate lang 24 Stunden am Tag von der Mutter getragen, ja getragen - es kann sich in diesem jungen Alter eben entgegen der landläufigen Annahme noch NICHT selbstständig in Mamas Fell festklammern sondern wird ähnlich wie ein Menschenbaby getragen. Gestillt wird 3-6 mal stündlich. Geschlafen wird neben oder auf der Mutter. Durchgeschlafen wird erstmals mit 3-5 Jahren - vorher wird das nächtliche Stillen benötigt und das häufige Aufwachen ist so vorgesehen, da ihre Babys gesunderweise in leichteren Schlafphasen schlafen, in denen Atem und Herzschlag von dem der Mutter mitgesteuert werden und selten in echte Tiefschlafphasen fallen - das ist auch für SIDS eine bedeutende Erkenntnis. Mein Laien-Fazit ist daher dass es bis auf evtl. ausgelaugte und unglückliche Eltern keine "Negativen Konsequenzen" wie du so schön schreibst, hat wenn Babys nachts häufig wach werden und die Brust/ein Kuscheln brauchen um wieder einzuschlafen, ja um nicht gerade zu sagen: es gehört so, dass Babys mehrmals nachts aufwachen und "gegensteuern" ist nur für die Eltern sinnvoll. Liebe Grüße Nadine, Mama von 2 glücklichen Mädels die im ersten LJ jeweils 2-12 mal pro Nacht wach waren

von MayasMama am 04.11.2015, 00:59


Antwort auf: Negative Konsequenzen des nächtlichen Aufwachens

Liebe Frau Bentz, auch von meiner Seite vielen Dank für die ausführliche Antwort. Ich verstehe Ihre Einwände gegen meinen "Vergleich" - der allerdings nicht direkt ein solcher sein sollte, sondern nur als Hintergrundinfo dienen sollte - natürlich., wenngleich ich explizit darauf hingewiesen habe, dass ich damit nicht sagen möchte, dass diese Lebensweise auch für den heutigen Menschen natürlich und richtig ist. Jedoch war die Ausgangsfrage ja nicht von einer verzweifelten Mutter, die unter Schlafmangel leidet gestellt und der ich dann suggerieren wollte "Stell dich nicht so an, ist doch ganz natürlich.", sondern es war eine sehr allgemeine Frage. Wie gesagt, habe auch ich mir diese Frage ganz allgemein bereits gestellt, meine Töchter waren (und die Kleine ist es noch) lange Zeit nachts alle 1 - 2 Stunden wach, bei uns hat aber niemand darunter gelitten. Ich schlafe tief und bestens, auch während Dauerstillen und mein Mann bekommt das überhaupt nicht mit. Von Schlaffolter kann keine Rede sein, ich wache täglich sehr ausgeschlafen auf und merke auch tagsüber keine Müdigkeit oder gar aggresive Verstimmungen... ;-) Daher hat auch mich interessiert, ob hier trotzdem eine "schlechte" Schlafsituation vorliegt oder man gar mit negativen Folgen zu rechnen hat. Und mich persönlich stimmt da ein "Vergleich" mit Primaten, ideologisch gefärbten Einstellungen und Natürvölkern natürlich "glücklich", Dass dies nicht auf eine unter Schlafmangel leidende Familie anzuwenden ist, und Kinder immer leider wenn es den Eltern schlecht geht, ist mir klar. Herzliche Grüße Nadine

von MayasMama am 05.11.2015, 20:28


Antwort auf: Negative Konsequenzen des nächtlichen Aufwachens

Liebe MayasMama! wie ich sehe, haben Sie mir meine Kommentare nicht übel genommen und das freut mich sehr! Meine Kritik war ja auch nicht an Sie gerichtet, denn mir war klar, dass Sie hier nur einen Erfahrungsbericht als Mutter abgeben wollten. Sie sehen sicher an meiner Argumentation, worum es mir geht. Leider stelle ich immer wieder fest, dass es beim Thema Schlaf einen moralisch unterlegten Wettkampf unter Müttern gibt, wer sich am besten aufopfern kann. Die Botschaft lautet dann halt eben: Wenn du es nicht schaffst, nachts alle Stunde geweckt zu werden, so lange dein Kind es fordert, dann bist du eine schlechte Mutter, die selbstverständlich ein schwer bindungsgestörtes Kind bekommt" (natürlich überspitzt fomuliert) Ich bin Ihnen daher sehr dankbar, dass Sie nochmal explizit herausgestellt haben, dass Sie nicht unter Schlafmangel leiden und die Situation weder Sie noch den Rest Ihrer Familie belastet. Dieses dürfte wirklich eher die Ausnahme als die Regel sein und ich bin mir sicher, dass Sie viele beneiden! Ich nehme daher Ihren freundlichen Post nochmal zum Anlass, ein paar Gedanken los zu werden... und vertraue darauf, dass Sie das wieder als Dialog verstehen! In puncto Schlaf haben wir unsere Belastungsgrenze nur bedingt selbst im Griff: unser Schlafbedarf ist größtenteils biologisch determiniert, ebenso reagieren manche Frauen extrem gut auf die bei Schwangerschaft, Geburt und beim Stillen ausgeschütteten Hormone, während andere starke Probleme bekommen. Hier scheinen Sie ein Glückskind zu sein! Tatsächlich kenne ich ebensolche Eltern, die mit 4 Stunden Schlaf super zurecht kommen und die Verzeiflung vieler Eltern nicht durchleben müssen. Meist haben da auch die Kinder kein Problem, da sie eben auch vergleichweise weniger Schlaf brauchen. Natürlich können wir für einen gesunden Lebenswandel, Unterstützung usw. viel dafür tun, dass wir ausgeglichener sind. Doch wir können uns nicht gegen vollkommen gegen unseren Schlafbedarf wehren. An dieser Stelle stören mich dann auch die meist oberflächlichen Vergleiche mit Naturvölkern, die m.E. oft Folgendes nicht ausreichend beachten: In unserer westlichen Kultur haben wir eine Fokussierung auf den Nachtschlaf, wie sie bei Naturvölkern i.d.R so nicht vorhanden ist. D.H. wir haben meist nicht die Möglichkeit, Schlafmangel durch Schlafen am Tag (Mittagspause) aufzuholen. Guckt man sich Studien mit Naturvölkern genauer an, sind Tagesruhe- und schlafenszeiten nicht ungewöhnlich, ebenso wie vergleichweise häufigeres Aufwachen in der Nacht. Außerdem haben wir ein kürzeres Schlaffenster für die Nachtschlafzeit, während bei den meisten Kulturvölkern die Zeit vom Sonnenuntergang bis -aufgang auch Ruhezeit ist. Das man man nun kritisieren oder nicht. Fakt ist, langfristig ist es in unserer Kultur einfach für Schule, Beruf etc. wichtig, nachts in einem realtiv engen Zeitfenster die am Tage gesammelte Schlafschuld abzubauen zu können. Das wiederum ist eben auch eine Frage des Lernen und nicht nur des Reifens. Die elterliche Erschöpfung ist daher nur ein Grund für Ein- und Durchschlafförderung (die übrigens nicht mit Ferbern gleichzusetzen ist). Der andere Grund ist eine gesunde Entwicklung des Kindes! Hier sollte man eben nicht warten, bis ein Kind in der Grundschule durch Tagesmüdigkeit, Konzentrations- und Aufmerksamkeitsstörungen und Reizbarkeit auffällt, sondern dann handeln, wenn längerfristig keine altersangemessene Entwicklung stattfindet und sich Probleme mehren. Normwerte und Tabellen sind mir dabei weniger wichtig als der individuelle Verlauf und die Einschätzung von Eltern, Kinderarzt, Hebamme und ggf. Erziehern /Tagemüttern. Fazit: Jede Kultur erzieht ihre Kinder passend! Wir können nicht Äpfel mit Birnen vergleichen, ohne uns zu fragen, was wir ernten wollen. Kulturvergleichende Studien sind extrem wertvoll und haben uns zu Recht manche "moderne" Erziehungspraktik und -vorstellung hinterfragen lassen. Doch sind sie kein Allheilmittel für die Probleme hier. Das nur als kleine Ergänzung meinerseits. Nochmals Danke für Ihr Engagement in diesem Forum und die gedanklichen Anregungen! Herzlichst Ihre Meike Bentz

von Dr. Meike Bentz am 09.11.2015