Ist es normal?

Dr. rer. nat. Meike Bentz Frage an Dr. rer. nat. Meike Bentz Diplom-Psychologin

Frage: Ist es normal?

Sehr geehrte Frau Dr. Brentz, erst einmal vielen herzlichen Dank für die Beantwortung der Fragen. Alleine das Lesen der Fragen und Antworten hilft zu sehen, dass man nicht alleine da steht. Zur Info: unser Sohn ist nun neun Wochen alt. Von Anfang an war die zeit mit ihm sehr intensiv. Es begann mit Dauerstillen in den ersten fünf Wochen. Er brauchte die Nähe. Tagsüber hat er von Anfang an kaum geschlafen. Je mehr rr von der Umwelt mitbekam wollte er nicht mehr an Ort und Stelle schlafen. Rs geht nur noch im abgedunkelten Raum. Ablegen kann ich ihn für maximal fünf Minuten. Ich habe mich damit angefreundet ein sensibles Kind zu haben. Was mir zu schaffen macht, ist mein Umfeld. Hier einige Auszüge... Das ist doch nicht normal dass er sich nicht ablegen lässt. Komm leg ihn in den Wagen etc. Meinst du wirklich er bekommt genug Milch. Still doch lieber ab. Dass er abends immer schreit ist doch nicht normal. Geh zum Kinderarzt. Und dass du so fertig bist mit der Situation sind die Hormone. Lass dir etwas verschreiben. Ich bin mir sicher dass mein Kind gesund ist, ich genügend Milch habe etc. aber natürlich ist die Zeit sehr anstrengend und Kräfte zehrend. Ich bräuchte einfach einmal eine unabhängige Meinung dazu, wie ich meinen Alltag gestalte. Durch die vielen Ratschläge bin ich total verunsichert. Abends ist es oft total schwierig unseren Sohn zu beruhigen. An drei Tagen der Woche schreit er bestimmt anderthalb Stunden bis er zur ruhe kommt. Das ist dann zwischen acht und zehn uhr. Er ist überreizt vom Tag und zappelt wie verrückt. Irgendwann möchte er in den Schlaf gestillt werden. Ist die Brust zur Beruhigung o.k.? Wir sind im abgedunkelten Schlafzimmer oder gehen höchstens mal mit ihm im Fliegergriff auf und ab. Er schreit so sehr dass er völlig monoton durch schreit und nicht zu beruhigen ist. Die erste schlafphase ist dann zwischen drei und vier Stunden lang. Er weiß schon dass jetzt Nacht ist. Nachts schreit er nur wenn er hungrig ist. Den vormittag würde er am liebsten nur weiter schlafen. Klar, er ist noch müde. Das geht nur im Schlafzimmer und ich muss bei ihm sein. Er schläft dann immer wieder nur für eine halbe Stunde. Wenn ich aufstehe geht das Geschrei wieder los. Bis mittags kann ich es aushalten aber dann muss ich auch einfach aufstehen. Die einzige Möglichkeit dass er außerhalb des Bettes schläft, ist mal eine Stunde im Tragetuch. Ansonsten hält er sich wach. Ich bin oft so erstaunt, wie ein kleiner Mensch so lange wach bleiben kann. Ich sage mir dass ich durch halten muss und es mit zunehmendem Alter sicher besser wird. Mein Rücken wird es mir danken. Es ist für alle um mich herum so schwer verständlich wenn ich von meinem tagesablauf erzähle. Sicherlich gehen wir auch mal raus. Aber das Fahren mit dem kinderwagen ist in den ersten zwanzig Minuten mit großem Geschrei verbunden. Er ist dann kurz abgelenkt und dann geht es wieder los. Er wohnt quasi auf meinem Arm. Ich trage ihn also viel mit mir herum, versuche es aber immer wieder ihn abzulegen. Ich gebe wirklich mein bestes seine Signale...hunger, müde, Langeweile zu verstehen. Aber ich fühle mich so missverstanden, dass es nicht normal ist, wie er ind folglich ich mich verhalte. Über eine Rückmeldung würde ich mich sehr freuen. Beste Grüße!

von matsismama am 24.07.2015, 11:57


Antwort auf: Ist es normal?

Liebe Matisismama! Danke - die Arbeit hier im Forum macht mir sehr viel Spaß und ich freue mich, wenn es der / dem ein oder anderen hilft! Noch vorab auch herzliche Glückwünsche zur Geburt Ihres Sohnes! Ich nehme an, es ist Ihr erstes Kind?! Ich kann mich noch gut an die Zeit mit meinem ersten Sohn erinnern und muss sagen dass ich - trotz meiner Ausbildung - auch Schwierigkeiten hatte, meine Rolle als Mutter zu finden und auch nicht immer freudestrahlend durch die Gegend gelaufen bin. Wie so viele Mütter habe ich mich ständig gefragt, ob ich auch ja alles richtig mache und kenne die Verwirrung, die die vielen mehr oder weniger wohlgemeinten Ratschläge auslösen. Daher zunächst folgender Gedanke: -Sie sind die Expertin für Ihr Kind! Sie leben mit Ihrem Sohn, haben ihn 24-h um sich, sich haben eigene Erziehungsideale und Rollenvorstellungen und natürlich ist auch Ihre Familie so wie sie ist. Und selbstverständlich sind auch Kinder verschieden! D.H.: DAS Patenrezept gibt es nicht! Auch die Empfehlungen, die ich hier im Forum schreibe, sind zwar erforscht und haben sich bei vielen als günstig erwiesen, aber ein Allheilmittel sind sie nicht! Eine Methode kann immer nur dann funktionieren, wenn sie zur Familie passt. Sie müssen bei allem das Gefühl haben, dass es richtig ist! Auch Ihr Kind ist ein Individuum und das, was bei anderen gut geholfen hat, muss bei ihm nicht unbedingt funktionieren! Außenstehende vergessen dies oft. Und oftmals wird Ratlosigkeit auch durch besonders dogmatische Haltungen kaschiert. Zudem sind leider wir Mütter auch besonders gut darin, anderen ein schlechtes Gewissen zu machen - inbesondere beim ersten Kind! Das nur vorweg! Es ist schwer- aber ein dickes Fell gegenüber Kommentaren gehört zu den Kernkompetenzen einer jeden Mama (-; Das soll aber nicht heißen, dass es albern ist, sich Sorgen und Gedanken zu machen und mal den Rat einer neutralen Person einzuholen. Daher zu Ihren anderen Fragen: Ich selbst finde das Einschlafstillen nicht schlimm, auch wenn einige meiner Kollegen dies ablehnen, weil es Gewohnheiten schaffen kann, die dann eben abgewöhnt werden müssen. Aber eine große Portion Pragmatismus ist eben m. E auch wichtig im Alltag mit Kindern. Vielleicht ist es so einfach das kleinere Übel? Sie schonen Ihre Nerven und Ihr Kleiner kommt abends gut zur Ruhe, also ich wäre entspannt. Wenn Sie mehr Kraft haben, können Sie es immer noch anders machen. Dass Ihr Sohn bis mittags gern in einem abgedunkelten Raum liegt, ist an sich auch nicht so schlimm, zeigt aber vielleicht, dass sein innerer Tag/Nachtrhythmus noch nicht ganz synchron zum realen Rhythmus ist. Vielleicht hat er aber auch einfach ein sehr großes Schlafbedürfnis? Beides ist schwer aus der Ferne zu beurteilen, doch beides wäre nicht ungewöhlich oder gar Grund zur Sorge. Mit neun Wochen ist Ihr kleiner Schatz noch sehr jung, da passiert noch viel und vieles ist einfach noch sehr unbeständig! Auch hier gilt - Kinder sind verschieden. Manche etablieren schneller, manche langsamer einen Rhythmus. Und manche brauchen einfach mehr Hilfe. Ich würde allerdings schon empfehlen, mehr und mehr darauf hinzuarbeiten, dass sie allmählich einen normalen Tagesablauf bekommen. D.H. Aufstehen und dann eine Aktivität, am besten draußen, denn Licht, Bewegung, Geräusche sind wichtige Taktgeber für unsere inneren Uhren. Er wird dann lernen, seine Tagesschläfchen auch am Tag zu halten und mit der Zeit wird sich alles auch mehr und mehr um die Mittagszeit konzentrieren. Vielleicht muss er abends auch einfach etwas früher ins Bett.Aber für all das hat er noch Zeit. Es ist auch nicht schlimm, wenn er mal nicht schläft oder zunächst Schwierigkeiten hat, sich an den neuen Tagesablauf zu gewöhnen. Zum Abschluss ist es mir aber noch sehr wichtig, auf Ihr Befinden zu sprechen zu kommen. Sie sagen, dass es Ihnen nicht gut geht. Klar spielen Hormone dabei eine wichtige Rolle, neben anderen Dingen wie die neue Rolle, Schlafmangel, Überforderung oder vielleicht auch Paarkonflikte. Ein Baby ist eine große Veränderung - vielleicht die radikalste in unserem Leben. Doch das finde ich zunächst nicht entscheidend, entscheiden für mich ist, dass es Ihnen nicht gut geht. Das ist ernst zu nehmen - egal ob jetzt die Hormone oder andere Dinge dafür verantwortlich sind. Ob es sich lediglich um Anpassungsschwierigkeiten handelt oder vielleicht eine postpartale Depression kann ich nicht entscheiden. Gehen Sie mal auf die Homepage des Vereins "Schatten und Licht e.V." ( www.schatten-und-licht.de) Hier gibt es viele Tipps, Adressen und auch einen Selbsttest. Machen Sie diesen doch mal, dann wissen Sie mehr. Grundsätzlich: Eine postpartale Depression gehört (schnell!) in professionelle Hände. Medikamente werden hier oft begleitend zu einer Psychotherapie eingesetzt, da sie schneller als eine Therapie helfen, aber auch das ist kein Muss. Wichtig ist, dass Sie hier nicht auf Laien hören, sondern sich an einen Fachmann / Fachfrau wenden, sollte Ihr Zustand das erfordern. Dies können Psychologen oder auch Psychiater sein. Bitte haben Sie keine Scheu, dies zu tun, wenn Sie das Gefühl haben, der Boden bricht Ihnen weg. Sie wären nicht allein und eine postpartale Depression ist sehr gut zu behandeln. Alles andere wäre für alle unnötiges Leiden! In diesem Sinne - Ihnen beiden alles Gute! Herzlichst, Ihre Meike Bentz

von Dr. Meike Bentz am 25.07.2015