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Dr. rer. nat. Meike Bentz Frage an Dr. rer. nat. Meike Bentz Diplom-Psychologin

Frage: heute

Wir wollten spazieren gehen. Meine Tochter wollte trotz Müdigkeit mit 28 Monaten nicht im Kinderwagen sitzen und ist fast rausgefallen. Sie hat immer gerufen _ Mama tragen. Ich sagte ihr, dass sie die Wahl hat zwischen Laufen und Kinderwagen. Sie rief Tragen..... das ging bis zur Extase. ich wollte einfach mal nicht nachgeben und mal sehen was geschieht. Sie hat sich auf die Strasse geworfen und geweint bis wir zu hause waren. Dann wollte sie getragen werden. Es war ein Machtkampf. Ich weiß nicht ob es richtig war was ich gemacht habe. Ich habe noch nie so einen Zorn und Wut bei ihr erlebt. Was soll ich denn in Zukunft machen wenn das wieder vorkommt?

von sirius15 am 05.08.2015, 16:17


Antwort auf: heute

Liebe Sirius, ist es nicht erstaunlich, wie sehr uns die Kleinen auf die Palme bringen können? Bei mir hat noch kein Chef, verpasster Flieger oder rücksichtloser Vordrängler geschafft, was meine beiden Söhne schaffen (-; Von daher: ich (und die meisten Eltern hier wohl auch) kennen solche Situationen und verstehen Ihre Reaktion. Diese Wutanfälle - auch wenn sie sehr beeindruckend sein können, sind kein Grund zur Sorge. Eher im Gegenteil: Sie sind ein Zeichen dafür, dass Ihre Tochter langsam eine eigenständige Persönlichkeit mit eigenem Willen wird. Die Amerikaner sprechen übrigens von den "terrible two" . Ich finde das passend, denn gerade der Beginn der Trotzphase - oftmals eben schon bei 2-Jährigen - ist meist besonders schwierig. Die Kleinen werden von ihren Emotionen ja regelrecht überrannt und müssen erst lernen, was da denn gerade mit ihnen passiert und wie man da wieder hinauskommen kann. Von daher ist es wichtig, als Eltern Ruhe zu bewahren. Während einer Attacke ist Ihr Kind nicht offen für Argumente, Vorschläge oder Kompromisse. Das Beste, was Sie dann tun können ist - (fast) NICHTS. Sich das bewusst zu machen, ist für den Ernstfall schon die halbe Miete! Oft fühlen wir uns gerade in der Öffentlichkeit enorm unter Druck gesetzt, unser Kind möglichst noch pädagogisch wertvoll, souverän lächelnd und vor allem schnell zu beruhigen. Zuschauer hat man ja meist eh genug. Brüllt das Kind weiter, sieht man das oft als das eigene Versagen an, obwohl Eltern es in dem Moment ihrem Kind einfach nicht recht machen könnten. Versuchen Sie, nicht selber in die Wutfalle zu gelangen. Die Wut ist nicht wirklich gegen Sie persönlich gerichtet. Lassen Sie die Wut wie eine Gewitterwolke weiterziehen, bleiben Sie bei Ihrem Kind und lassen es sich auswüten. Sagen Sie lediglich wie ein Matra immer wieder Worte wie: Ich sehe du bist wütend / Ich glaube, du musst dich auswüten, die Wut geht wieder weg, es passiert nichts, wenn ich dich trösten soll, komm in meinen Arm... Schenken Sie einem Wutanfall zuviel Aufmerksamkeit - egal ob positiv oder negativ - lernt das Kind schnell, dass es mit Wut was erreichen kann. Von daher ist es auch richtig, sich durch Wut nicht erpressen zu lassen (Nein, auch wenn du schreist, gibt es kein Eis). Je sicherer und gelassener Sie sind, umso schneller verpufft die Wut. Nach einem Wutanfall ist es hilfreich, kurz und verständlich mit dem Kind darüber zu sprechen. "Oh, da warst du ja sehr wütend, geht es jetzt besser? Mal gucken, wie wir das beim nächsten Mal besser hinbekommen o.Ä. Hast du eine Idee?" Das mag alles etwas albern und aufgesetzt klingen, hat aber den Sinn, dass das Kind wichtige Dinge zum Umgang mit den eigenen Emotion lernt. Aus Kindersicht ließe sich das vielleicht so beschreiben: a) das Gefühl ist Wut und Wut ist ok b) Mama und Papa haben mich lieb, auch wenn ich mal wütend bin c) es passiert nicht Schlimmes d) Mama und Papa haben mich verstanden / nehmen mich ernst Dann finde ich es gut, dass Sie Ihrem Kind in ruhigen Momenten spielerisch zeigen, wie man mit Wut umgehen kann (z.B. Schimpfen und auf den Boden stampfen, Wutball werfen etc. ist ok, Hauen, Beißen oder Schubsen nicht...) Hilfreich sind zur Vorbeugung auch klare Absprachen, so dass ihr Kind in kritischen Situationen weiß, was Sie von Ihm wollen und wie es sich zu verhalten soll (An der Straße gehst du immer an meiner Hand, beim Einkaufen jetzt darfst du die Sachen in deinen Wagen legen, die ich dir gebe, etc.) Natürlich wird Ihre Tochter noch nicht immer alles gleich verstehen oder umsetzen. Ferner wird sie auch weiter Wutattacken haben und nicht immer sofort gehorchen. Es geht jedoch nicht ums Abstellen, sondern um den richtigen Umgang mit der Wut, sprich ums Weichenstellen für die Zukunft. Vergessen Sie dabei auch nicht Ihre Vorbildrolle. Benennen Sie Ihre Gefühle ruhig offen und in der ich-Form ( "Das ärgert mich jetzt") und zeigen Sie dann Lösungswege ("Jetzt brauch ich mal kurz ne Pause zum Durchatmen" usw.) Und - zu Guter Letzt hilft oft nach meinen Erfahrungen als Mutter ein wenig Humor, um Situationen zu entzerren. Ich suche manchmal mit meinen Kindern "Wutzwerge", die wir dann wegsperren. Oder ich denke mir mit den Kindern Schimpfwörter "Oh, das ist ja obergrüner Popelmist, dass es dein Lieblingseis nicht mehr gibt" etc.) Gelingt es mir, immer ruhig und gelassen zu bleiben? Nein, aber ich denke, dass ist auch nicht notwendig, sofern wir wichtige Grenzen, wie gewaltfreie Erziehung und keine Demütigungen wahren. Dass ich dann mal selbst einen riesen Wutzwerg habe und schimpfe, damit können meine Jungs (und sicher auch in Ihrem Fall Ihre Tochter) leben. Und wie man sich für unagemessenes Verhalten wie überzogenes Schimpofen entschuldigen kann, zeige ich Ihnen dann halt ebenso. In diesem Sinne, ruhig Blut und ein dickes Fell, sollten Sie böse Blicke ernten, wenn Ihr Kind wieder scheiend in der Fußgängerzone liegt. Alles pädagogisch wertvoll (-; Herzlichst, Ihre Meike Bentz

von Dr. Meike Bentz am 05.08.2015