Entwicklung - ehemaliges "Schreibaby"

Dr. rer. nat. Meike Bentz Frage an Dr. rer. nat. Meike Bentz Diplom-Psychologin

Frage: Entwicklung - ehemaliges "Schreibaby"

Liebe Frau Dr. Bentz, Vielen Dank erstmal, für Ihre Zeit und Mühe, die Fragen in diesem Forum zu beantworten! Ich habe mir einige Posts durchgelesen und habe mich in den geschilderten Situationen oft wiedererkannt! Ihre einfühlsamen und ermutigenden Antworten auf die Fragen haben mich so berührt, dass ich Tränen in den Augen hatte beim Lesen! Mein älterer Sohn (2,5 Jahre) war ein „Schreibaby“: Extrem sensibel, aufmerksam, wollte immer seine Umgebung genau beobachten. Er beruhigte sich nur im Tragetuch, während ich dabei spazieren ging. Und so ging und ging und ging viele Stunden pro Tag, monatelang. Wie ich aus Ihren Antworten (leider erst jetzt) gelernt habe, ein Teufelskreis. In der Nacht schlief er neben mir, wobei er allerdings im Halbstunden-Takt aufwachte. Langsam (ca. mit 6 Monaten) verbesserte sich die Situation. Er ist auch heute noch sehr sensibel. Fing früh an zu sprechen und verfügt über einen grossen Wortschatz. In vertrauter Umgebung und bei engen Bezugspersonen ist er fröhlich und ausgelassen und eine richtige „Plaudertasche“. Fremden gegenüber ist er sehr gehemmt und schüchtern. Er spielt auch kaum mit anderen Kindern. An Kindern in seinem Alter bzw. jüngeren Kindern zeigt er kaum Interesse. Er spielt am ehesten mit älteren Mädchen, wenn diese emphatisch auf ihn eingehen. Leider gibt es weder in der Verwandtschaft noch in unserem Freundeskreis Kinder in seinem Alter gibt, mit denen er spielen könnte. Ich gehe daher mit ihm seit er 1,5 Jahre ist in eine Mutter-Kind Musikgruppe, wobei er anfangs praktisch an mir „klebte“ und sich nun langsam kleine Fortschritte zeigen.. Versuch mit ihm in eine Turngruppe zu gehen, scheiterte (vorerst): es war ihm einfach zu laut und zu viele andere Kinder. Er ist auch sehr geräuschempfindlich und schreckhaft: Haushaltsgeräte (Föhn, Staubsauger), Fahrzeuge, laute Maschinen etc…. J. hat nun auch einen kleinen Bruder. Mein jüngerer Sohn (2,5 Monate) ist ein recht ruhiges Baby… Er mag seinen kleinen Bruder gerne, kuschelt und schmust mit ihm. Wenn ich den Kleinen stille oder im Tagebuch trage, reagiert er jedoch öfter eifersüchtig und möchte zu mir auf den Schoss oder mit mir kuscheln. Ich versuche mein Bestes um möglichst auch Zeit für ihn zu haben und ihm Zuwendung zu geben… Zum Glück können Papa und Oma meine fehlende Aufmerksamkeit kompensieren... Ich mache mir Sorgen, weil er in letzter Zeit einen recht ruhig und bedrückten Eindruck macht. Ich glaube, dass die veränderte Familiensituation für ihn ein sehr grosser Einschnitt ist.. Ich fühle mich oft hin- und hergerissen, weil ich einerseits das Gefühl habe, nicht sensibel genug auf ihn zu reagieren und andererseits Angst habe, ihn in seiner Entwicklung zu behindern, indem ich ihn zu sehr „in Watte packe“. Entschuldigen Sie bitte den langen Text und meine Gedankensprünge. Ich hoffe, ich habe unsere Situation verständlich geschildert und Sie können sich dazu ein Bild machen… Meine Fragen: Wie schätzen Sie seine Entwicklung ein? Wie kann ich seine soziale Kompetenz fördern, ohne ihn zu überfordern? Wie gehe ich am Besten mit seinen Ängsten/ Schreckhaftigkeit um? Vielen Dank!!

von LZSMama am 24.08.2015, 20:33


Antwort auf: Entwicklung - ehemaliges "Schreibaby"

Liebe LZSMama, vielen Dank für die lieben Worte - Sie haben mich ebenfals gerührt! Nichts freut mich in meiner Arbeit mehr, als wenn ich Berichte wie den Ihrigen lese, aus dem klar wird, was für tolle Kinder Schreikinder werden! Und damit habe ich schon eine Frage beantwortet, nämlich die nach der Entwicklung! Das was Sie beschreiben, klingt nach einem gesunden und glücklichen Kind! Schön, dass er eifersüchtig reagiert, denn das zeigt, dass er nicht überangepasst und gehemmt ist und sich auch traut, "in Opposition" zugehen! Zwar nicht gerade leicht für Sie alle, doch aus entwicklungspsychologischer Sicht erfreulich!!! Dass er zudem schüchtern und eher vorsichtig ist, ist für mich nicht pathologisch, sondern eher ein Temperaments- bzw. Persönlichkeitsaspekt. Sie klingen auch einfühlsam und sensibel und warum sollte es Ihr Sohn da nicht sein? Ferner hat Ihr Sohn offenbar Strategien erlernt, sich von zu viel Überforderung zu schützen, in dem er vorsichtig sich an neues Terrain herantastet. Dass ihm Kinderturnen zu viel ist (mir geht es bei dem Geräuschpegel oft ähnlich), finde ich völlig ok. Zudem ist es so, dass Kinder im Alter Ihres Sohnes erst allmählich vom "nebeneinander-her-Spielen zum "kooperativen Spiel" übergehen. Richtige Freundschaften entstehen sowieso erst so um das vierte Lebensjahr herum. Ich finde zudem, dass unsere Gesellschaft auch alle Facetten braucht, nicht nur kleine Haudegen! Doch ich verstehe, dass Sie sich Sorgen machen, dass es ihm an Selbstsicherheit mangelt und er zu ängstlich ist. Was Sie tun können, um ihn entsprechend zu fördern ist Folgendes: - Geben Sie ihm herausfordernde, aber erreichbare Aufgaben, an denen er wachsen kann und Spaß hat. Das Helfen im Haushalt, beim Kochen bei der Babypflege etc. sind gute Möglichkeiten, ihm zu zeigen, was er als Großes schon alles kann. So sorgen Sie für Erfolgserlebnisse und knüpfen Sie dabei an seine Interessen an. Bitten Sie ihm immer mal wieder neue, interssante Aktivitäten / Spielmöglichkeiten an. Gut sind z.B, auch Aktivitäten mit Tieren, wie einem Therapiehund, therapeutisches Reiten etc. "Therapie" klingt dabei sehr klinisch, heißt aber nur, dass diese Tiere speziell trainiert und an den Umgang mit Kindern gewohnt sind. Sowohl chronisch unruhigen als auch ängstlichen Kinden können Begegnungen dieser Art helfen. - Pflegen Sie weiter Kontakt mit Gleichaltrigen, so wie sie es bisher auch getan haben und konfrontieren Sie ihn sanft immer mal wieder mit Situationen, in denen er seine "Komfortzone" verlassen muss (etwa ein quirrliger Spielplatz, Schwimmbad etc.).Zeigen Sie ihm aber immer Möglichkeiten zur Handlungskontrolle auf und bitte erzwingen Sie nichts! Konkret kann das so aussehen: Sie bieten ihm an, dass Sie wenn er es (ca. 10 Minuten) versucht hat, Sie wieder nach Hause fahren können, dass er jederzeit Stopp sagen kann etc. Ermutigen Sie ihn (ich weiß, dass du das kannst) und zeigen ihn Möglichkeiten auf, wie er jetzt ins Spiel kommt (guck mal, da hinten das Klettergerüst, willst du das mal ausprobieren und wie ein Seeräuber klettern üben). Seien Sie dann bitte nicht enttäuscht, wenn es zunächst nicht klappt, sonfern sehen Sie es als Übung! Sprechen Sie mit Ihm (Wie war das jetzt? Beim nächsten Mal gefällt es dir bestimmt besser) und probieren es immer wieder. Loben Sie ihn für Fortschritte (toll, dass du dich getraut hast! Sieh, was du allein geschafft hast.) Kinder werden sicherer, je öfter sie die Erfahrung gemacht haben, dass sie Herausforderungen meistern und Ängste überwinden können! - Seien Sie selbst auch ein gutes Vorbild und achten Sie darauf, dass sie selbst nicht überängstlich reagieren und Gefahren voreilig vorwegnehmen. Auch können Sie mit Ihren sprachlich begabten Sohn über Ihre Gefühle reden (da hatte ich Angst, aber ich hab's probiert und dann war die Angst weg etc.). Wenn er merkt, dass Sie ihm was zutrauen, wird er sich selbst auch eher was zutrauen! - Letztendlich wird auch sein Bruder ihn in seiner Entwicklung fördern. Für uns Eltern nicht immer leicht, für die Kinder aber hilfreich. Frust aushalten, Rücksicht zu nehmen, sich durchzusetzen, mit Aggressionen umgehen etc. lernt sich mit einen Geschwisterkind sehr gut. - Ermöglichen Sie ihm nachwievor Ruhe und Entspannung. Vielleicht gibt es in Ihrer Nähe Kinderyoga oder Kleinkindmassagen? Könnte mir vorstellen, dass er sowas gern mag. Ich bin mir sicher, dass Sie auf einem sehr guten, gesunden Weg sind und wünsche Ihnen nun auch mit Ihrem neuen Familienzuwachs sehr viel Freude! Herzlichst, Ihre Meike Bentz

von Dr. Meike Bentz am 25.08.2015


Antwort auf: Entwicklung - ehemaliges "Schreibaby"

Liebe LZSMama, vielen Dank für die lieben Worte - Sie haben mich ebenfals gerührt! Nichts freut mich in meiner Arbeit mehr, als wenn ich Berichte wie den Ihrigen lese, aus dem klar wird, was für tolle Kinder Schreikinder werden! Und damit habe ich schon eine Frage beantwortet, nämlich die nach der Entwicklung! Das was Sie beschreiben, klingt nach einem gesunden und glücklichen Kind! Schön, dass er eifersüchtig reagiert, denn das zeigt, dass er nicht überangepasst und gehemmt ist und sich auch traut, "in Opposition" zugehen! Zwar nicht gerade leicht für Sie alle, doch aus entwicklungspsychologischer Sicht erfreulich!!! Dass er zudem schüchtern und eher vorsichtig ist, ist für mich nicht pathologisch, sondern eher ein Temperaments- bzw. Persönlichkeitsaspekt. Sie klingen auch einfühlsam und sensibel und warum sollte es Ihr Sohn da nicht sein? Ferner hat Ihr Sohn offenbar Strategien erlernt, sich von zu viel Überforderung zu schützen, in dem er vorsichtig sich an neues Terrain herantastet. Dass ihm Kinderturnen zu viel ist (mir geht es bei dem Geräuschpegel oft ähnlich), finde ich völlig ok. Zudem ist es so, dass Kinder im Alter Ihres Sohnes erst allmählich vom "nebeneinander-her-Spielen zum "kooperativen Spiel" übergehen. Richtige Freundschaften entstehen sowieso erst so um das vierte Lebensjahr herum. Ich finde zudem, dass unsere Gesellschaft auch alle Facetten braucht, nicht nur kleine Haudegen! Doch ich verstehe, dass Sie sich Sorgen machen, dass es ihm an Selbstsicherheit mangelt und er zu ängstlich ist. Was Sie tun können, um ihn entsprechend zu fördern ist Folgendes: - Geben Sie ihm herausfordernde, aber erreichbare Aufgaben, an denen er wachsen kann und Spaß hat. Das Helfen im Haushalt, beim Kochen bei der Babypflege etc. sind gute Möglichkeiten, ihm zu zeigen, was er als Großes schon alles kann. So sorgen Sie für Erfolgserlebnisse und knüpfen Sie dabei an seine Interessen an. Bitten Sie ihm immer mal wieder neue, interssante Aktivitäten / Spielmöglichkeiten an. Gut sind z.B, auch Aktivitäten mit Tieren, wie einem Therapiehund, therapeutisches Reiten etc. "Therapie" klingt dabei sehr klinisch, heißt aber nur, dass diese Tiere speziell trainiert und an den Umgang mit Kindern gewohnt sind. Sowohl chronisch unruhigen als auch ängstlichen Kinden können Begegnungen dieser Art helfen. - Pflegen Sie weiter Kontakt mit Gleichaltrigen, so wie sie es bisher auch getan haben und konfrontieren Sie ihn sanft immer mal wieder mit Situationen, in denen er seine "Komfortzone" verlassen muss (etwa ein quirrliger Spielplatz, Schwimmbad etc.).Zeigen Sie ihm aber immer Möglichkeiten zur Handlungskontrolle auf und bitte erzwingen Sie nichts! Konkret kann das so aussehen: Sie bieten ihm an, dass Sie wenn er es (ca. 10 Minuten) versucht hat, Sie wieder nach Hause fahren können, dass er jederzeit Stopp sagen kann etc. Ermutigen Sie ihn (ich weiß, dass du das kannst) und zeigen ihn Möglichkeiten auf, wie er jetzt ins Spiel kommt (guck mal, da hinten das Klettergerüst, willst du das mal ausprobieren und wie ein Seeräuber klettern üben). Seien Sie dann bitte nicht enttäuscht, wenn es zunächst nicht klappt, sonfern sehen Sie es als Übung! Sprechen Sie mit Ihm (Wie war das jetzt? Beim nächsten Mal gefällt es dir bestimmt besser) und probieren es immer wieder. Loben Sie ihn für Fortschritte (toll, dass du dich getraut hast! Sieh, was du allein geschafft hast.) Kinder werden sicherer, je öfter sie die Erfahrung gemacht haben, dass sie Herausforderungen meistern und Ängste überwinden können! - Seien Sie selbst auch ein gutes Vorbild und achten Sie darauf, dass sie selbst nicht überängstlich reagieren und Gefahren voreilig vorwegnehmen. Auch können Sie mit Ihren sprachlich begabten Sohn über Ihre Gefühle reden (da hatte ich Angst, aber ich hab's probiert und dann war die Angst weg etc.). Wenn er merkt, dass Sie ihm was zutrauen, wird er sich selbst auch eher was zutrauen! - Letztendlich wird auch sein Bruder ihn in seiner Entwicklung fördern. Für uns Eltern nicht immer leicht, für die Kinder aber hilfreich. Frust aushalten, Rücksicht zu nehmen, sich durchzusetzen, mit Aggressionen umgehen etc. lernt sich mit einen Geschwisterkind sehr gut. - Ermöglichen Sie ihm nachwievor Ruhe und Entspannung. Vielleicht gibt es in Ihrer Nähe Kinderyoga oder Kleinkindmassagen? Könnte mir vorstellen, dass er sowas gern mag. Ich bin mir sicher, dass Sie auf einem sehr guten, gesunden Weg sind und wünsche Ihnen nun auch mit Ihrem neuen Familienzuwachs sehr viel Freude! Herzlichst, Ihre Meike Bentz

von Dr. Meike Bentz am 25.08.2015


Antwort auf: Entwicklung - ehemaliges "Schreibaby"

Liebe LZS Mama, als ich Deinen (ich hoffe das "Du" ist ok) Beitrag gelesen habe, dachte ich wirklich, das hätte ich eins zu eins für meine Tochter (2 1/4) übernehmen können und möchte Dir noch einen kleinen Hinweis geben. Unsere Kinderärztin hat mich beim letzten Besuch auf das Thema Hochsensibilität, bzw. Hypersensibilität aufmerksam gemacht. Ich kann Dir nur empfehlen, Dich darüber zu informieren. Im Internet gibt es viele sehr gute Artikel. Das hat mir unheimlich geholfen, meine Tochter besser zu verstehen und ihre Art als etwas ganz Besonderes (Gutes!!!!) zu betrachten. Ich kann nun viel besser mit ihrem Verhalten umgehen. Alles Gute und viele Grüße, Sandra

von Sandra222212 am 03.09.2015, 21:40