Einschlafstörung

Dr. rer. nat. Meike Bentz Frage an Dr. rer. nat. Meike Bentz Diplom-Psychologin

Frage: Einschlafstörung

Liebe Frau Dr. Bentz ich wende mich an Sie bezüglich meines Sohnes der vor kurzem drei Jahre alt geworden ist. Er kam als sehr kleines Frühchen mit 32+2 ssw zur Welt und hatte die entsprechend typischen Probleme einer Trinkschwäche und einer Entwicklungsverzögerung (z.B. laufen erst kurz vor dem 2. Geburtstag). Bis heute macht uns allerdings seine Regulationsstörung zu schaffen (kürzlich endlich vom SPZ diagnostiziert). Mein Sohn geht aktuell noch zur Tagesmutter und ab Herbst in einen Kindergarten. Er geht einmal die Woche in eine Psycho-Motorik-Gruppe einer Frühförderstelle.

 Mein Sohn hat ein hohes Erregungslevel und kann sich kaum auf eine Sache oder Aufgabenstellungen konzentrieren. Er steht sozusagen immer unter Strom und es fällt ihm sehr schwer zur Ruhe zu kommen. 
Dementsprechend fällt es ihm sehr schwer einzuschlafen und er wehrt sich oft mit allen Kräften dagegen (schreien oder motorisch).Er merkt es selber nicht wenn er müde wird und es ist ihm auch äusserlich nicht anzusehen.
 Morgens wiederum beginnt der Tag mit entsprechendem Nörgeln und Jammern oder Schreien weil er nicht aus den Federn kommt.
 Beispielsweise war das Abstillen bzw. Einschlafstillen mit ca 15 Monaten abzuschaffen ein extremer Kampf und wurde mit wochenlangem und exzessiven Schreiphasen quittiert. 
Ich frage mich bis heute wie ich das ausgehalten habe. 
Einen Schnuller hatte er immer abgelehnt und ein Übergangsobjekt wie ein Kuscheltier hat er bislang nie haben wollen.
 Ich war auf Anraten des SPZ mit ihm also in einer entsprechenden Regulationssprechstunde die mich allerdings nicht sonderlich zufrieden gestellt hat. Wir haben z.B. eine klare Struktur im Alltag und Rituale am Abend.
 Kritikpunkt der Heilpädagogin war vor allem dass mein Sohn noch mit im Elternschlafzimmer schläft und er dadurch das Gefühl vermittelt bekommen würde dass er noch ein Baby sei.
 Dies ist räumlich bedingt und hat uns bislang auch nicht sonderlich gestört, allerdings soll sich diese Situation sowieso bald ändern und er bekommt ein eigenes Kinderzimmer. 

Ich denke aber dass er in einem eigenen Zimmer die selben Probleme haben wird. Er würde trotzdem sich mit allen Kräften dagegen wehren schlafen zu gehen. Er sucht Nachts oft auch körperliche Nähe und wenn ich nicht da bin wird dies mit heftigem schreien quittiert. Insbesondere wenn ich morgens nicht da bin weil ich bereits ausser Haus bin wird der Morgen extrem problematisch für meinen Partner (obwohl dieser ihn momentan abends immer ins Bett bringen soll). 
 Mir wurde eine sehr enge Beziehung zu meinem Sohn attestiert die ich aufbrechen sollte. Mit einer Bedürfnisorientierten Erziehung würde ich nicht weiterkommen. 
Ich kann damit wenig anfangen da ich nicht gedacht hätte dass eine starke Bindung problematisch sein könnte zumal ich durchaus klare Ansagen mache und viel in Ich-Botschaften rede. Können Sie mir vielleicht einen Rat geben wie ich weiter vorgehen sollte damit mein Sohn besser zur Ruhe findet? Kann es tatsächlich ein zuviel an emotionaler Zuwendung geben?

 Besten Dank im Voraus!

von Flughund am 14.07.2016, 14:00


Antwort auf: Einschlafstörung

Liebe Flughund! An Ihrem Bericht wird deutlich, dass sich viele in Ihrem Alltag um das Thema „Regulationsstörungen“ dreht. Sie sind also quasi ein Profi, kennen Ihr Kind und seine besonderen Bedürfnisse genau, und haben Wege gefunden, im Alltag klar zu kommen. Das eine große Leistung und sie verdient Anerkennung. Doch diese Anerkennung wird leider kaum gegeben. Das Kind ist immer noch „schwierig“, schläft immer noch nicht allein, fällt negativ auf. Als Mutter fühlt man sich da schnell im Kreuzfeuer der Kritik, und ich nehme mal an, man har Ihnen viel öfter gesagt, was Sie falsch machen, als das was Sie richtig machen, oder? Vielen Müttern (und manchmal auch Vätern) geht es so. Sie fühlen sich ständig kritisiert und missverstanden, nicht ernst genommen und unfähig verurteilt. Sie haben eine Odyssee an Ärzten und Therapeuten hinter sich und wollen doch nur eins: dass es dem Kind endlich gut geht und mehr Ruhe herrscht. Die Crux dahinter ist: Ärzte, Therapeuten Berater und Co sind per Definition eher auf Probleme, also das, was nicht klappt, was krank ist, was behandelt und was gelöst werden muss fokussiert. Sie werden im Gesundheitssystem nicht dafür bezahlt, zu sagen, was alles toll und positiv ist, sondern man sucht Ihre Hilfe. Dass diese Hilfe manchmal besser darin bestünde, den Fokus auf das Positive zu lenken, gerät dabei manchmal hohen Patientenzahlen und wenig Personal bei in den Hintergrund. Auf der anderen Seite erlebe ich immer auch wieder Eltern, die einen sehr hohen Druck aufbauen („ich kann nicht mehr“), aber gleichzeitig in sich die Erwartung tragen „Wasch mich, aber mach mich nicht nass!“. Doch Veränderungen bedingen nun einmal zwangläufig, dass man bereit ist, dass Gewohnte zu verändern, seine Komfortzone ein wenig zu verlassen, und umzudenken. Was ich damit sagen will: ich kann mir weder über Sie noch die Kollegin vor Ort ein Urteil erlauben. Ich vermute aber eine ähnliche Dynamik. Die Frage ist nun, welchen Beitrag ich hier leisten kann. Sicher keine fachlich bessere Begleitung als Sie in dem SPZ erhalten können. Sicher, Sie können hier einige Informationen finden. Doch das wird alles kaum neu für Sie sein. Ihre Fragen kann ich nur aus der Ferne beurteilen und das bedeutet allgemein. Ich denke daher auch nicht, dass Ihnen der xte Tipp wirklich helfen wird. Was möglicherweise helfen könnte, sind folgende Gedankenanstöße: Betrachten Sie Vorschläge, etwas anders zu machen nicht gleich als Kritik. Nur, weil etwas anders laufen kann, heißt es nicht, dass das Bisherige schlecht war. Es heißt nur, dass es eben auch Alternativen gäbe. Diese „Handlungsalternativen“ werden von Außenstehenden meist deutlicher und einfacher erkannt. Betrachten Sie diese Außenperspektive als Angebot einer anderen Wahrnehmung. Dass Ihre nicht immer damit übereinstimmt, liegt in der Natur der Sache und bedeutet nicht, dass der eine recht hat oder es besser weiß und der andere nicht. Selbst wenn jemand völlig andere Ansichten hat und einem nicht gerade sympathisch ist, kann dies eine Bereicherung sein, wenn man die Dinge nüchtern als das nimmt, was sie sind, nämlich Informationen. Ihnen wurde vorgeschlagen, Ihren Sohn ins eigene Bett zu legen. Sie selbst haben das vor. Sie sind skeptisch, aber wissen noch nicht ob es klappt oder nicht. Eigentlich nicht schlimm, denn Sie haben ja in der Hand, wie Sie verfahren und ob Sie einen Versuch wagen oder nicht. Doch vielleicht spricht dieses Thema viel tieferliegende Dinge an und es geht um mehr als nur um die Frage, wo Ihr Sohn schläft. Besonders aufschlussreich finde ich dabei Ihre Aussage hinsichtlich Bindung und Bedürfnisorientierung schreiben. Ich denke, hier könnte er liegen, der wunde Punkt. Vielleicht ist genau das eine verborgene Sorge, dass sich durch Maßnahmen etwas an Ihrer Beziehung ändern könnte, dass Sie, wenn Sie auch mal Ihre Bedürfnisse wahrnehmen nicht mehr die intensive Bindung haben, dass etwas kaputt gehen könnte, Ihr Sohn sie nicht mehr so innig liebt oder gar ablehnt. Sie haben viel für Ihre Erfolge gekämpft und fühlen sich jetzt vielleicht in Ihrer mühsam erarbeiteten Harmonie bedroht. Möglicherweise ist die intensive Bindung auch etwas, was Sie sehr brauchen, was Ihnen Halt gibt. Wenn ja, ist das ein Aspekt, der mehr Aufmerksamkeit verdient. In der Tat bin ich davon überzeugt, dass es ein Zuviel an Nähe, Aufmerksamkeit und Bedürfnisorientierung gibt, und das dieses „Zuviel“ schaden kann. In der Fachwelt spricht man von symbiotischer Beziehung. Ob diese bei Ihnen vorliegt, kann ich nicht sagen. Doch ich stelle immer wieder fest, dass Bindung häufig missverstanden wird: Bindung ist nicht nur Aneinanderkleben, sondern eben auch das genau Gegenteil: das Loslassen, Selbstständig werden. Bindung hat den Zweck, Kinder zu eigenständigen, selbstbewussten Persönlichkeiten heranwachsen zu lassen. Das geht nicht ohne Konflikte und Fehler. Sicherheit, Rückhalt und Hilfe bei der steinigen Entwicklung zum Erwachsenen bekommen Kinder nicht darin, dass all ihren Bedürfnissen perfekt entsprochen wird. Genauso wichtig ist, dass kinder lernen, dass auch andere Menschen Bedürfnisse haben, dass Mama und Papa auch einen anderen Daseinszweck haben. Man muss ihnen Vertrauen und auch etwas zutrauen, sie eigene Erfahrungen machen lassen. Kinder müssen Fehler machen dürfen, müssen lernen, dass es keinen Weltuntergang bedeutet, wenn mal was nicht klappt, dass Wut, Frust und Langeweile aushaltbar sind. Sie müssen lernen, dass Papa und Mama immer da sind, aber nicht, dass Papa und Mama alles machen. Nur so werden sie ein gesundes Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein entwickeln. Eine symbiotische Beziehung lässt Kinder nicht groß werden, sondern lässt sie maximal abhängig bleiben. Für das Führen von symbiotischen Beziehungen gibt es Gründe, und nicht selten trifft man in der Vorgeschichte auf Krankheiten oder belastende Ereignisse. „Das schweißt zusammen“, sagt man ja auch. Manchmal sind es auch eigene prägende Kindheitserlebnisse, die hier zum Tragen kommen, doch dies würde hier zu weit führen. Mein Rat an Sie: denken Sie weiter als an Maßnahmen und Erziehungstipps und gönnen Sie sich einen tieferen Blick. Was spricht dafür alles so zu machen wie bisher? Was dagegen? Was amcht es mir schwer? Was macht es mir leicht? Wie will ich sein und wie bin ich? Gibt es Gespenster aus der Vergangenheit die sich in meine Gegenwart mischen? Was sehe ich in meinem Sohn und was sehe ich in mir? Dies ist mühsam und führt sicher nicht gleich zum Ziel, doch manchmal ist es wichtig, einen Umweg zu machen. In diesem Sinne alles Gute! Herzlichst, Ihre Meike Bentz

von Dr. Meike Bentz am 21.07.2016