Einschlafen wird schwieriger

Dr. rer. nat. Meike Bentz Frage an Dr. rer. nat. Meike Bentz Diplom-Psychologin

Frage: Einschlafen wird schwieriger

Liebe Frau Benz, ich lese sehr gerne Ihre wertschätzenden Antworten auf die Fragen, die in diesem Forum gestellt werden. Nun möchte ich mich selber gerne an Sie wenden. Unsere Tochter ist mittlerweile sechs Monate alt. Die Geburt war 20 Stunden lang, mit vorzeitigem Blasenspung, PDA und Geburtststillstand. Zudem war die Kleine wegen der Länge der Geburt in der 24 Stunden Überwachung, war an einen Monitor mit Kabeln angeschlossen und schrie wirklich sehr viel. Ich selbst war über Wochen kaum in der Lage, mich um die Kleine zu kümmern, weil ich aufgrund von Geburtsverletzungen kaum gehen, tragen und sitzen konnte. Natürlich habe ich sie gestillt, gehalten und bei mir gehabt, aber wickeln und tragen war nicht möglich. Mein Mann ist zum Glück als Vater sehr engagiert mit unserem Baby und unterstützte mich auf allen Ebenen. Zuhause angekommen, setzte sich das Schreien schnell fort. Der Definition nach dem Schreien über drei Stunden am Tag, mindestens drei Mal in der Woche über mindestens drei Wochen lang, war sie ein Schreikind. An einem Tag, als mein Mann arbeitete, brüllte sie drei Stunden am Stück. Mit dem Stillen hatten wir zeitweise Probleme. Zudem ist unser Baby ein Speikind, was ihr in starken Speiphasen auch sehr schlechte Laune zu machen scheint. Für das Ablegen bestand zu Beginn keine Möglichkeit, weil sie auch dann schrie. Auch der Schlaf war immer problematisch, wenn die Kleine auch, abends erst einmal eingeschlafen, mit Stillpausen zum Glück lange am Stück schlief und uns so die Pausen zur Erholung in der Nacht ermöglichte. Zuerst dachten wir an die oft genannten Koliken und probierten Zäpfchen, Massagen und Lefax aus. Mit Globulis der Kinderärztin scheint es sich irgendwann zumindest mit den Bauchschmerzen gebessert zu haben. Dann las ich das Buch "So beruhige ich mein Baby" und fühlte mich sehr unterstützt durch die Hintergründe und Tipps. Heute gehe ich immer die Bereiche "Schlaf", "Hunger", "Langeweile" und "Nähebedürfnis" durch, wenn die Kleine schreit und ich nicht intuitiv eine Lösung weiß. Dieses "Raster" hat mir sehr weitergeholfen, mich zu orientieren. Mittlerweile ist die Kleine meistens entspannter. Sie lacht viel, ist offen und neugierig. ES ist eine große Freude, sie in ihrer Entwicklung zu begleiten. Ihr Filter läuft aber noch schnell "über" und Überreizung tritt ein. Dann muss sie meist schlafen oder, wenn es noch nicht zu spät ist, abgeschirmt werden. Nach der (hoffentlich nicht zu langen) Vorgeschichte nun zu meinen Fragen. Von Beginn an schläft die Kleine so gut wie nie von alleine ein. Wir schlafen im Familienbett, weil auch das Beistellbett unter Schreien abgelehnt wurde. Im Bett hat unser Baby am Anfang nur auf uns geschlafen, also auf dem Bauch eines Elternteils. Lange Zeit ging dies gut, indem sie geschaukelt, getragen und gewiegt wurde auf den Armen oder dem Bauch. Dies lehnt sie leider mittlerweile ab. Tragen, schaukeln und wiegen führen zwar teilweise zu Entspannung, teilweise aber auch zu schreien und nicht mehr zum Schlaf. Unsere einzigen Möglichkeiten, unsere Kleine in den Schlaf zu begleiten, sind nun das stillen, der Kinderwagen, der Maxi Cosi und der Bondolino, jedoch nur, wenn diese Dinge in Bewegung sind und nicht immer. Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie mir einen Rat geben könnten, wie ich meinem Baby mehr Ruhe vermitteln kann, sie von Reizen ausreichend abzuschirmen und vor allem besser in den Schlaf begleiten kann. Denn wie gesagt, bedeutet Müdigkeit oft schnell den Ausbruch in Tränen. Einen Schnuller hat sie übrigens nicht. Unsere nun weggebrochenen, alten Rituale haben in der Familie immer zu Entspannung geführt, nun steigt der Stressfaktor bei uns allen an und die Kleine ist wesentlich unausgeglicher. Vielen lieben Dank im Voraus!

von Jalea am 11.02.2016, 10:25


Antwort auf: Einschlafen wird schwieriger

Liebe Jalea, es tut mir leid, dass Sie beide so einen schwierigen Start hatten. Doch höre ich da etwa Schuldgefühle heraus? Wenn ja, wäre das völlig unnötig! Sie haben sich diese Situation nicht ausgesucht und im Leben läuft nun mal nicht alles glatt. Ob das der Grund für das Schreien ist vermag Ihnen niemand zu beantworten. Bislang gibt es dafür aber keine hinreichenden Beweise und in neuen Studien konnten man keine wirklich bedeutsamen Unterschiede zwischen als „normal“ vs. als schwierig“ erlebten Geburten finden. Es scheint so zu sein, dass eher die Mütter als die Kinder leiden, und da Ihr Mann sich ja liebevoll gekümmert hat, gibt es keinen Grund anzunehmen, dass nun ihre Tochter dauerhaft unter diesem Start leidet. Sie können sehr stolz auf sich sein, dass Sie trotz dieser Belastungen so viele Dinge gemeistert haben! Nun aber zum Schlafen: Tatsächlich beschreiben Sie einen typischen Teufelskreislauf: Ihr Kind akzeptiert die bislang funktionierenden Beruhigungshilfen nicht mehr – Sie „fahren“ mehr auf (noch mehr Bewegung, viele abwechselnde Methoden, intensivere Reize) – das funktioniert eine Weile – bis dann noch mehr gemacht werden muss, um Ihr Kind zu Schlafen zu bringen. Wenn ich Sie richtig verstehe, müssten Sie ja mittlerweile im Dauerlauf um das Bett rennen, damit es klappt. Das kann (und sollte) nicht der Weg sein! Mit sechs Monaten zeigt der Babyschlaf immer mehr die Merkmale des Erwachsenenschlafs. Keines fall MUSS ihr Kind jetzt durchschlafen, doch es braucht längere zusammenhängende Schlafzeiten, um auf ein altersangemessenes Verhältnis von REM und NREM Schlaf inklusive Tiefschlaf zu kommen. Da jedes Kind unterschiedlich schnell reift, wiederhole ich immer gern den Grundsatz, dass die Entwicklungsrichtung stimmen muss. Werden Schlafprobleme dauerhaft (nicht nur phasenweise!) mehr anstatt weniger, besteht Handlungsbedarf. Also nicht nur in Ihrem eigenen Sinne ist es m. E. wichtig, etwas zu ändern und zwar das, was alle wach hält, nämlich die Bewegungsreize als Einschlafhilfe. Ein Kind was müde ist, braucht Beruhigung und keine Reize. Beruhigung kommt von Ruhe, also ist weniger mehr! Von Kindern mit Regulationsstörungen weiß man, dass sie einen regelrechten Reizhunger haben und sich gut ablenken lassen. Doch sie lernen sie nie, dass man Müdigkeit durch Schlafen löst, sondern „überbrücken Ihre Unruhe durch immer stärkere Reize, bis irgendwann gar nicht mehr geht und sie nur noch völlig erschöpft einschlafen, nicht aber aus einer Entspannung heraus. Tagsüber sind Tragehilfen, Kinderwagen und Co natürlich ok ( und im Falle des Tragens sogar sehr gut gegen chronische Unruhe), doch nachts sollte darauf verzichtet werden. Babys sind durchaus in der Lage, schon früh zwischen verschiedenen Kontexten zu unterscheiden, wobei Ihnen immer wiederkehrende Rituale, Zeiten und Abläufe natürlich helfen. Sie können dies wunderbar mit Ihrem Konzept des Familienbetts vereinbaren und Ihre Tochter neben sich legen und nichts weiter tun, als maximal eine Hand auf den Bauch oder leise sprechen. Hilfreich ist auch, wenn Sie einfach nur hörbar ruhig ein- und ausatmen. Das ist dann quasi wie eine Art „Entzug“ und sie wird dies nicht mögen, und irritiert und gestresst sein, doch sie wird sich –angstfrei- daran gewöhnen. Diese Zeit wird nicht leicht, denn Veränderungen brauchen Zeit und bedeutet immer auch Anstrengung, doch nach ca. 14 Tage ist der Spuk dann meist vorbei. Wichtig ist, dass Sie ruhig bleiben und nicht die Nerven verlieren. Wenn es Ihnen hilft, können Sie auch stufenweise das Tragen als Einschlafhilfe reduzieren, etwa von 10 Minuten langsam auf 5 Minuten usw. Doch selbst die sanfteste Methode geht meist nicht ohne Prostest. Sollte sich dauerhaft nichts ändern, sollte das Familienbett nicht in Stein gemeißelt sein. Wie auch bei uns Erwachsenen gibt es sehr empfindsame Kinder, die sich leicht beim Schlafen stören lassen. Beobachten Sie ihr Kind daher genau, und wenn Sie sich nicht mal wagen, sich umzudrehen oder auch nur einen Zeh zu bewegen, weil Ihr Kind sonst aufwacht, ist jetzt vielleicht die Zeit, dem Beistellbett eine zweite Chance zu geben (oder eben dem Kinderbett neben Ihrem Bett). Als Krücke, um schnell Entlastung zu bieten, hilft manchen Kindern eine Federwiege, die es nun sogar mit Motor gibt. Sie sollten aber in jedem Fall darauf verzichten, die Wiege selbst zu bewegen ( damit erfahren sie ja keine Entlastung), sondern nur die Bewegungen des Kindes sollten das geliebte Schaukeln erzeugen. Dann wenn etwas mehr Ruhe eingekehrt ist, kann man dann die weiteren Schritte einleiten. Vergleichbares gilt übrigens für alle Dinge, die Ihnen Entlastung bringen. Nutzen Sie alle Hilfe, die Ihnen geboten wird und scheuen Sie nicht aktiv welche zu suchen. Ausgeruht lassen sich Änderungen viel leichter umsetzen als dauergestresst und chronisch übermüdet. Ich drücke Ihnen die Daumen, dass der Sandmann bald besser arbeitet! Herzlichst, Ihre Meike Bentz

von Dr. Meike Bentz am 15.02.2016