Ehemaliges Schrei-Baby (6,5 Monate) hat immer noch Einschlafprobleme

Dr. rer. nat. Meike Bentz Frage an Dr. rer. nat. Meike Bentz Diplom-Psychologin

Frage: Ehemaliges Schrei-Baby (6,5 Monate) hat immer noch Einschlafprobleme

Liebe Frau Dr. Bentz, unser Baby (mittlerweile 6,5 Monate) hatte die ersten 3,5 Monate starke Koliken (abendliches Abschreien von ca. 18:00 – 22:30 Uhr und starke Bauchschmerzen). Er war von Geburt an hellwach und hat alles regelrecht aufgesaugt, was vermutlich auch zu den abendlichen Schreiattacken führte. In der Zeit war ein Ablegen (egal ob Tag oder Nacht) unmöglich. Das heißt: wir haben ihn permanent getragen, egal ob wach oder schlafend und nachts schlief er auf mir. Mit knapp 4 Monaten haben wir noch eine Milcheiweißunverträglichkeit festgestellt und seit ich auf Milchprodukte verzichte, haben wir ein glückliches und zufriedenes Baby ohne Schmerzen. Was schon mal total toll ist, da es sehr schlimm war, sein Baby leiden zu sehen und nicht wirklich helfen zu können. Ledigleich das (Ein)schlafen immer noch ein großes Problem. Er kann sich in diesem Fall schwer selbst regulieren: - er schläft tagsüber nur in der Trage (zwischen 45 Min und 2 Stunden), da ein Ablegen zu einem stark verkürzten Schlaf führt - gegen 19:30 Uhr beginnen wir mit dem Einschlaf-Ritual und tragen ihn dann bis er eingeschlafen ist, anschließend können wir ihn mittlerweile in sein Beistellbettchen legen - gegen 22:30 Uhr (wenn wir ins Bett gehen) stille ich ihn nochmals - Nachts wacht er meist zur gleichen Zeit (ca. 2:00 Uhr und 5:00 Uhr) auf. Dann hilft nur die Brust. Aktuell kann ich nicht einschätzen, ob er um 02:00 Uhr wirklich Hunger hat oder ob es Gewohnheit ist. Ich tippe auf Gewohnheit. Unser Tagesablauf was Essen und Schlaf betrifft, ist meist sehr strukturiert, weil das für ihn wichtig ist. Tagsüber schläft er 3x. Er wird ca. 2-2,5 h nachdem er aufgewacht ist wieder müde und findet dann beim Tragen meist sehr schnell in den Schlaf. Allerdings haben wir seit neustem das Problem, dass er auch in der Trage nicht mehr schläft, solange wir wo sind oder Besuch haben. Ich kann nachvollziehen, dass er sich damit schwer tut, weil er neugierig ist und schwerer Ruhe findet, aber für mich ist es sehr anstrengend, weil ich dadurch sehr unflexibel geworden bin und versuche alles drumherum zu planen. Wenn wir versuchen ihn in seinem Bettchen einschlafen zu lassen (egal ob am Tag oder abends), fängt er irgendwann an zu meckern, dann zu weinen bzw. zu schreien. Nach ein paar Minuten brechen wir ab, da wir das nicht möchten. Er steigert sich auch immer weiter hinein, weshalb wir denken, dass er nicht von selbst aufhören würde. Da es meinem Rücken immer schlechter geht, bin ich auf der Suche nach Tipps, wie wir ihm helfen können sich besser selbst zu regulieren, um allein in den Schlaf zu finden. Mit allein meine ich nicht allein im Zimmer, gerne begleitend. Aber bisher hat nichts funtioniert. Weder wiegen im sitzen, Hand auf den Bauch legen, ind zur Seite drehen und Popo tätscheln etc. Das Ergebnis ist immer das gleiche. Ich habe auch schon diverse Bücher zu dem Thema gelesen, aber leider kommen wir hier nicht weiter. Meine Frage ist, ob ich ggf. zu ungeduldig bin und er einfach noch etwas Zeit braucht oder ob wir handeln sollten und falls ja, haben Sie uns Tipps oder sollten wir uns an die Schreiambulanz wenden? Entschuldigen Sie bitte den langen Text. Lieben Dank schon mal im Voraus für Ihre Antwort und liebe Grüße

von Smile2You am 15.03.2016, 12:47


Antwort auf: Ehemaliges Schrei-Baby (6,5 Monate) hat immer noch Einschlafprobleme

Liebe Smile2you! nun, Sie haben viel erreicht und ich bin dankbar für Ihren Text, da er zeigt, wie wichtig immer auch die Abklärung organischer Probleme ist. Ganz zuletzt haben Sie es ja schon angedeutet - die Frage der Ausdauer bzw. Geduld ist bei Verhaltensänderungen ganz entscheidend! Sie haben sich außerdem viele Gedanken gemacht und viel gelesen, Das ist gut, doch andererseits führt es bei vielen Eltern auch zu Verwirrung. Sie trauen sich gar nicht mehr so richtig Eltern zu sein und wenden sich daher an alle möglichen Experten. Ich glaube, dass dies auch bei Ihnen ein wenig so sein könnte. Ich möchte Ihnen daher zunächst Mut machen, Ihren eigenen Weg zu finden und sich in Ihrer Elternrolle zu trauen. In der Literatur stehen Probleme im Fokus, so kann schnell der Eindruck entstehen, dass man sehr viel falsch machen könnte und unwiderrufliche Weichen für die Zukunft stellt. Die Folge ist dann manchmal, dass man wirklich sehr viel ausprobiert, weil man das Weinen des Kindes als Zeichen dafür sieht, dass etwas nicht funktioniert, man als Eltern etwas falsch macht und das Kind schädigt. Es ist also nicht immer die Geduld, an der es scheitert, sondern auch der Zweifel, was richtig für das Kind ist. Es ist wichtig sich da einzuschätzen, denn nur dann kann man die Motivation, die es braucht, um Verhaltensänderungen herbeizuführen auch dauerhaft bewahren. D.h. wenn es einfach "nur" schwierig ist durchzuhalten, weil Sie erschöpft sind, hilft ein Plan gegen die Erschöpfung (Unterstützung suchen, sich mit dem Papa abwechseln, stundenweise Kinderbetreuung etc.) Der Unsicherheit ist da schon schwieriger beizukommen, denn die Gründe sitzen meist tiefer. In vielen Fällen sind Gespräche bei Kollegen vor Ort bei solchen Problemen sinnvoll, denn es geht ja nicht ausschließlich um Methoden, sondern auch darum, mit dem Schreien verbundene Unsicherheiten und Fragen zu klären. Bücher können das leider nur begrenzt und auch ich habe hier nur eingeschränkte Möglichkeiten. Vielleicht hilft es Ihnen aber sich zu vergegenwärtigen, dass allein die "Biologie" des Schlafes ca. 14 Tage braucht, um sich zu ändern. Ich bezeichne Schlaf daher auch immer als träges Gewohnheitstier. !4 Tage sind schon sehr lang und es kann immens verunsichern, wenn es nicht klappt - zumal gerade am Anfang ja auch eine Verschlimmerung nicht selten ist. Also egal was Sie machen, diesen Zeitraum sollten Sie einplanen. Weinen bedeutet zudem nicht immer Panik oder Angst, selbst wenn sich ein Kind in Rage schreit. Das begleitete Weinen ist sicher kein Allheilmittel jedoch eine Methode, Kindern von problematischen Einschlafhilfen zu entwöhnen, ohne dass dabei auf elterliche Anwesenheit verzichtet wird. Stress für beide Parteien bedeutet auch dies, doch für ein Kind in dem Alter Ihres Kindes eben auch ein guter Kompromiss zwischen bindungsorientierten Vorgehen und lerntheoretisch basierten Ansätzen. Ich würde daher empfehlen, dass Sie nochmal einen Versuch wagen. Sie könnten etwa so vorgehen: Legen Sie Ihr Kind müde, aber noch nicht überreizt ins Bett und halten etwa die Hand oder legen die Hand auf den Bauch bis er eingeschlafen ist. Das kann am Anfang schon mal bis zur einer Stunde Schreierei und mehr bedeuten. Hilfreich ist es, wenn Sie sich selbst schlafend stellen, also Augenkontakt vermeiden und hörbar ruhig atmen. Kopfhörer/ Ohrenstöpsel können Ihnen möglicherweise helfen, selbst ruhig zu bleiben, da sie die schrillen Obertöne etwas dämpfen, Sie Ihr Kind aber noch hören. Immer wenn Sie merken, dass sie zu gestresst werden, unterbrechen Sie den Köperkontakt, versuchen, bewusst wieder eine Entspannung herzustellen und die Muskel zu lösen und nähern sich erst dann wieder, wenn Sie selbst ruhig sind. Vergessen Sie nicht: anhand Ihrer Reaktion bewertet Ihr Kind die Situation. Bleiben Sie selbst ruhig und sind überzeugt, dass Richtige zu tun, wird auch Ihr Kleiner lernen, dass nicht Schlimmes passiert. Wenn Sie jedoch Panik bekommen und tränenüberströmt am Bettchen sitzen, ist das für Ihr Kind das Signal, dass gerade doch etwas Furchtbares passiert. Hier schließt sich dann auch wieder der Kreis zur Unsicherheit. Es ist daher wichtig, wirklich überzeugt zu sein. Denn Sie müssen einfach damit rechnen, dass Ihr Kind nicht wirklich problemlos auf den Wegfall der Tragereize reagiert. Stellen Sie sich vor, Sie müssten am Ende eines sehr anstrengenden Tages völlig übermüdet auf einmal in einer Hängematte schlafen, die hin und herschaukelt. Das wäre auch gegen Ihre Gewohnheiten. So in etwa geht es wahrscheinlich auch Ihrem Kind, und ein Verhalten, was sich 6,5 Monate festigen konnte, ändert sich nicht in einem Tag. Also, machen Sie sich einen Plan und führen Sie als kleine Motivationshilfe am besten auch ein 24-Protokoll um auch die kleinen Veränderungen nicht zu übersehen. Dann denke ich, haben Sie gute Chancen, nach anstrengende ein bis zwei Wochen eine deutliche Besserung herbeizuführen. Dafür drücke ich ganz fest die Daumen! Herzlichst, Ihre Meike Bentz

von Dr. Meike Bentz am 18.03.2016