Ehem. Schreibaby kämpft gegen den Schlaf an

Dr. rer. nat. Meike Bentz Frage an Dr. rer. nat. Meike Bentz Diplom-Psychologin

Frage: Ehem. Schreibaby kämpft gegen den Schlaf an

Hallo Frau Dr. Bentz, ich bin Mama eines ehem. Schreibabies. Heute ist mein Kind 20 Mo. alt, ein echter Sonnenschein, aber immer noch extrem aktiv / hyperaktiv. Er schläft zwar mittlerweile nach langem Kampf sehr gut, nutzt aber beim Einschlafen JEDE Möglichkeit, sich wieder wachzumachen oder wachzuhalten auch wenn er gähnt, Ohren zippelt, Augen reibt und eigentlich fix und alle ist. Kurz zu unserem Hintergrund: Vom ersten Tag an hat er quasi ständig und durchdringend gebrüllt. Das fing in der Entbindungsstation an. Ich saß weinend tage- und nächtelang im Stillzimmer und habe versucht, ihn zu beruhigen. Chancenlos. Zuhause ging das grad so weiter. Ich bin in schwere Depressionen nach der Geburt verfallen. Er musste ständig aktiv beschäftigt werden, sonst ging das Gebrüll los. Geschlafen hat er nur wenige (10-20) Minuten - das Hinlegen dauerte länger wie das Schläfchen. Trage, KiWa oder MaxiCosi war einfach nicht möglich. Er hat geschrieen wie am Spiess weil er nichts sah. Nur die Schulter ging, und auch das nur kurz. Ich konnte das Kind einfach nicht "am Körper" beruhigen. Mein Freund hat mit Unverständnis reagiert, es fiel zB "Versagen" und "Unfähigkeit". Familie haben wir keine, ich war also quasi auf mich gestellt. Auch Stillen artete zum Drama aus. Er hat sich davor-dabei-danach gewunden und gebrüllt. Dazu kam ein massives atopisches Exzem, das bis heute schlimm vorhanden ist. Jegliche "normale" Beruhigungsmethode anderer Kinder gab es bei meinem Sohn nicht - er nahm keinen Schnuller, keine Flasche, wollte immer und ständig gucken, schlief NIE übers Autofahren, KiWa fahren usw ein sondern drehte stattdessen auf. Wir haben dann den "klassischen Fehler" gemacht und mit Überreaktion kompensiert. Es wurde getragen, gehüpft, geschaukelt, gewackelt bis zur völligen Erschöpfung. Erst sobald er sitzen konnte (mit dem 6. LM) wurde alles erträglicher. In der Verzweiflung habe ich den gesamten Tag ritualisiert und "Buch geführt" - wann essen, wann schlafen - nur so war das ganze erträglich zu bekommen und ich konnte das Schreien minimieren. Nachts war Still- und Nuckelterror. Das erste Aufwachen kam oft schon eine halbe Stunde nach dem Einschlafen. Nach dem Abstillen hat er teilweise stundenlang unberuhigbar gebrüllt, gezornt, gespielt, sich hin und her gerollt. Er musste dann zu mir ins Bett, hat dann aber ewig an mir rumgezippelt, an den Haaren gezogen, sich auf mich rauf und runter gerollt usw als Beruhigung und erst nach Stunden in den Schlaf zurück gefunden. Ich bin fast verzweifelt. Flasche hat er nie "ganz" getrunken, sondern schluckweise und im Halbstundentakt. Ich habe gefühlt die letzten 2 Jahre jede Nacht an seinem Bett "durchgemacht". Mein Kind schrie Zeter und Mordio wenn "nur" Beruhigung angeboten wurde und keine Milch. Die erste Schreiambulanz die ich besucht habe, arbeitete mit Ferber, weswegen ich dort abgebrochen habe. Mein Kind hat vor Elend gespuckt, als er schreiend alleine zugedeckt im Maxicosi "zu sich finden" sollte. In der zweiten Schreiambulanz wurde ich liebevoll beraten, leider aber ohne irgendwelche Konsequenz. Mal sollte ich Flaschen abschaffen, mal Flaschen mit Stärke andicken, mal alleine lassen, mal nicht. Außer den Rat, das Kind schnellstmöglich aus meinem Bett zu bewegen gab es auch von dort keinen guten Rat. Geholfen hat, traurigerweise, die Zeit. Nachdem wir als Eltern fast schon resigniert haben (wir haben wirklich alles erdenkliche probiert), hat es plötzlich funktioniert. Wir haben nach anderthalb Jahren Flasche um Flasche abgeschafft, und plötzlich ging das ohne stundenlanges hysterisches Geschrei. Unser Sohn schlief von gestern auf heute auf einmal durch. Leider ist es bis heute so, dass er trotz extrem ritualisiertem Abend nur schwer in den Schlaf findet. Er macht sich besonders abends ständig aufs Neue wach. Das Kratzen an akuten Exzemstellen verstehe ich ja noch und creme dann fleissig nach (ich habe manchmal das Gefühl, ich creme oder kraule mein Kind in den Schlaf). Er findet aber auch jede erdenkliche Ablenkung, selbst im stockdunklen Zimmer. Mal sind es seine Stofftiere, mal entdeckt er Sachen auf Postern, spielt "kuckkuck - da" mit den Händen, tritt nach mir, zwickt in Streichelhände, zieht an meinen oder seinen Haaren, kratzt an den Wänden, rüttelt an den Gittern, haut die Beine aufs Bett ... und das obwohl er hundemüde ist, gähnt dabei und irgendwann innerhalb von Sekunden plötzlich wegratzt. Er schläft nur auf dem Bauch wirklich gut, ich drehe ich quasi ständig wieder zurück und er rollt wieder rum und blödelt - ein echt doofes Spiel. Die neuste Marotte ist, in der Bauchlage mit dem Popo zu zucken bzw mit dem Unterleib aufs Bett zu hauen (er hat mit Sicherheit nichts dergleichen bei uns Eltern gesehen, schläft seit Ewigkeiten im eigenen Zimmer da jedes Geräusch ihn geweckt hat) . Das sieht komisch aus und ich hoffe, er macht das nicht in der KiTa, ich müsste mich schämen. Jedes Außengeräusch wie Hund oder Sirene nutzt er zum Anlass, sich wieder hinzusetzen, auch wenn die Augen vorher zu waren. Alles was geht nutzt er um sich wachzuhalten. Wenn er schläft, schläft er dann wie gesagt durch bzw Mittags fast 2h. Ich brauche so aber leider Minimum 30, Maximum bis zu 90 (!) Minuten, um ihn schlafenzulegen. Kann ich da noch irgendetwas tun? Ist so ein Verhalten bei Kindern mit diagnostizierten Regulationsproblemen normal? Ich würde mich über Ihre Einschätzung sehr freuen! Liebe Grüße aus der Nähe von FFM, Ihre Where2Go

Mitglied inaktiv - 11.08.2015, 12:40


Antwort auf: Ehem. Schreibaby kämpft gegen den Schlaf an

Liebe Where2Go, da haben Sie ja eine ganze Odyssee hinter sich! Um so schöner ist es, von Ihnen zu hören, dass es Ihnen besser geht und Sie so viel geschafft haben! Dass Ihr Sohn nun durchschläft, wenngleich auch nach langen Kampf, ist wirklich klasse! Schlafschwierigkeiten im Kleinkindalter sind bei ehemals exzessiv schreienden Kindern zwar nicht zwangsläufig, aber auch nicht ungewöhnlich, zumal wenn erschwerende Komponenten wie eben eine chronische Erkrankung hinzukommt. Es ist daher bemerkenswert, wie gut sich alles stabilisiert hat. Durchschlafen ist nämlich der wichtigste und gleichzeitig oft auch der schwierigere Schritt. So konnten Sie beide Kraft sammeln und können sich nun dem Einschlafen widmen- sicher im Vergleich zu dem, was hinter Ihnen liegt, die leichtere Übung! Primär scheint es mir wichtig, die Gesamtschlafdauer Ihres Kindes nochmals genauer anzugucken. Sie schreiben nicht, wie lange Ihr Kind nachts schläft, aber 1,5 bis 2 h Mittagsschlaf könnten einfach zuviel sein. Es gibt keine Regel, wieviel ein Kind in welchem Alter schlafen muss! Wenn Ihr Kind immer 30 bis 90 Minuten zum Einschlafen braucht, scheint nicht genug Schlafdruck vorhanden zu sein, sprich er ist nicht müde genug. Das Augenreiben allein muss kein eindeutiges Signal für Müdigkeit sein, gerade bei älteren Kindern. Da Ihr Sohn ja auch fröhlich und eher albern zu sein scheint, anstatt quengelig und weinerlich und auch tagsüber ja ein Sonnenschein ist, fehlt ihm die Zeit, die er zum Einschlafen braucht, offenbar nicht. Diese Zeit sollte man also von der Bettzeit abziehen, denn das Gesamtschlafbedürfnis können wir leider nicht dauerhaft durch elterliche Maßnahmen erhöhen. a) Die einfachste Stellschraube ist m.E. der Mittagschlaf. Den würde ich einfach mal auf eine Stunde begrenzen und immer zu einer festen Zeit beginnen und beenden, sprich wecken. Sie sollten ferner darauf verzichten, die Zeit, die Ihr Sohn zum Einschlafen mittags braucht, hinten dran zu hängen. Wenn erst spät einschläft, wird er trotzdem um etwa die gleichze Zeit geweckt. Ferner ist es nicht schlimm, wenn er mal mittags gar nicht schläft. Idealerweise sollten zwischen Mittagschlafzeit und abendlicher Bettbringezeit ca. 4 Stunden liegen. Wichtig wäre natürlich auch, dass die Kita da mitspielt, sofern Ihr Sohn dort über Mittag schläft. b) Eine weitere Stellschraube ist der Nachtschlaf. Abraten würde ich davon, beides parallel zu verändern, denn dass würde alles durcheinander bringen. Sollte jedoch besonders der Abend eine Belastung darstellen oder Sie, (wenn es bereits mit dem verkürzten Mittagsschlaf einige Wochen gut funktioniert hat), den Rhythmus Ihres Sohnes passender zu Ihrem machen, ist es legetim zu überlegen, ob Ihnen 1) früheres Hinlegen zum "Preis" des früheren Erwachens oder 2) späteres Aufwachen zum "Preis" einer späteren Einschlafzeit lieber ist. Alle Rituale und Einschlafhilfen sind also nachrangig vor der Anpassung der Bettzeit an das Gesamtschlafbedürfnis und nützen wenig, wenn Ihr Kind nicht schlafen kann, weil es nicht müde (genug) ist. Hier merken Sie auch den Unterschied zu der Behandlung eines überreizten Säuglings, der gewissermaßen zum Schlaf gezwungen werden muss, weil er sich durch seinen Reizhunger ständig selbst überfordert und um den Schlaf bringt. Sie sind jetzt einfach einen Schritt weiter und Ihr Problem liegt eben offenbar nicht an zu wenig Schlaf. Nichtsdestotrotz ist es weiterhin richtig, auf Ruhe und Entspannung sowie feste, vorhersehbare Abläufe zu achten - auch bei ehemaligen Schreiern! Ich bin sehr optimistisch, dass das Einschlafen mit diesen kleinen Veränderungen schnell besser klappt, wenngleich die Übergangszeit nicht einfach wird! Hier ist Geduld wichtig, denn Sie müssten schon mindestens 14 Tage das gleiche Programm fahren, bevor sich der Rhythmus festigt und sich zeigt, ob die Maßnahme greift. Dafür alles Gute und viel Erfolg! Herzlichst, Ihre Meike Bentz

von Dr. Meike Bentz am 12.08.2015