Baby ans ablegen gewöhnen?!

Dr. rer. nat. Meike Bentz Frage an Dr. rer. nat. Meike Bentz Diplom-Psychologin

Frage: Baby ans ablegen gewöhnen?!

Liebe Frau Bentz, Ich bin seit einer Woche Mutter einer kleinen gesunden Tochter. Meine große Tochter (2,5) war ein Schreibaby mit ziemlich starken Kolliken bis zum 4.Monat. Geholfen haben damals tragen, tragen, tragen...Sie hat quasi nie abgelegt werden können und wenn, nur im Kinderwagen oder mit Bewegung. Nach 4 Monaten war ich am Ende meiner Kräfte, dann besserte sich die Situation aber schlagartig und sie schlief in ihrem Bett, sogar die ganze Nacht durch. Jetzt zu meinem Problem: meine kleine Tochter beginnt momentan auch schon wieder, so starke Kolliken zu entwickeln (voll gestillt), dass man sie nicht ablegen kann. Eigentlich weiß ich, dass man so ein kleines Menschlein noch nicht verwöhnen kann, hab aber Angst wieder in den Kreislauf des Nicht-Ablegens zu geraten. Ich muss ja auch für meine große Tochter sorgen. Kann ich es trotz der Kolliken schaffen, sie auch mal abzulegen, oder raten Sie mir eher davon ab. Vielen Dank für ihre tolle Arbeit, die sie mit dem Beantworten der Fragen in diesem Forum leisten. Ich hab mit meiner ersten Tochter feststellen müssen, dass nicht jeder "Schreiberater"auch etwas von dem Thema versteht. LG Melanie

von Mescha am 05.10.2015, 12:34


Antwort auf: Baby ans ablegen gewöhnen?!

Liebe Melanie! zunächst: Danke für die netten Worte und einen herzlichen Glückwünsch zur Ihrer zweiten Tochter! So wie Ihnen geht es vielen Eltern, die schon ein ehemals unruhiges Kind hatten und diese extrem belastende Zeit durchgemacht haben. Viele Außenstehende können sich das gar nicht vorstellen, Sie aber wissen genau, wie so der Alltag mit einem ständig brüllenden Kind aussieht. Ganz profan könnte man sagen: so etwas prägt. Sie haben eine extreme Erfahrung gemacht und sind entsprechend sensibilisiert. Natürlich wollen Sie nicht, dass sich das ganze wiederholt. Was nun psychologisch leicht passieren kann ist, dass bei bestimmten "Signalen" (Schreien) gleich die Alarmglocken anspringen und man leicht in Sorge und Panik geraten. Dann läuft der ganze Film ab, noch bevor man die Situation richtig erfassen kann. Im Prinzip verwechselt man dabei Äpfel mit Birnen, sprich man neigt zu Generalisierungen. Wichtig ist daher, sich folgenden klar zu machen: - Tochter 1 ist nicht Tochter 2, sondern ein ganz anderes Kind - die Situation jetzt ist nicht die Situation von damals - was passieren könnte ist etwas anderes als das was jetzt passiert - Dinge, die sich ähneln, müssen nicht gleich sein D.h. auch wenn Ihnen vieles bekannt vorkommt (Kolliken, Tragen, Schreien etc.), heißt es nicht, dass jetzt eine Katastrophe auf Sie zurollt. Ich verstehe die Sorge, doch Sie denken viiiiiieeeel zu weit. Versuchen Sie im Hier und Jetzt zu bleiben und nicht Dinge geistig vorweg zu nehmen, die so überhaupt noch nicht eingetreten sind - selbst wenn die Mama Hormone im Wochenbett Ihnen einen Streich spielen. Tragen Sie Ihre Kleine ruhig und geben Sie ihr ohne schlechtes Gewissen oder Angst die Nähe, die Sie braucht. Sie stellen jetzt noch keine Weichen für die Zukunft die man als "schlechte Gewohnheiten" betrachten könnte. Und selbst wenn dies irgendwann der Fall sein sollte - auch schlechte Gewohnheiten sind kein unveränderliches Schicksal, sondern lassen sich dann, wenn es Zeit ist eben auch ändern. Schieben Sie diese Frage aber gedanklich einfach nach hinten, jetzt ist nicht die Zeit dafür, sich hierum Sorgen zu machen. Sie werden auch nicht einfach so in etwas hineinschlittern, denn schließlich sind Sie für das Thema sensibilisiert und können sich ja auch darauf verlassen, dass Ihre Alarmknöpfe rechtzeitig anspringen würden. Machen Sie sich zudem immer bewusst, dass Sie damals in der Lage waren, die Situation sehr gut zu meistern und es auch heute sein werden. Nehmen Sie sich dabei den Druck, alles perfekt machen zu müssen. Das wird Ihnen a) mit zwei kleinen Kindern eben halt nicht immer gelingen und b) ist es auch gar nicht notwendig, um Kinder gut groß werden zu lassen. Das bedeutet natürlich, dass Sie nicht alles so machen können, wie bei Ihrer Großen, denn schließlich haben Sie jetzt zwei Kinder anstatt einem. Da kann es dann schon mal sein, dass beide brüllen und Sie aber sich nur zur Zeit um eine Ihrer Kleinen kümmern können. Gerade das bietet jedoch auch viele Chancen für eine Familie, denn zwangsläufig muss pragmatisch, strukturiert und mit geteilter Aufmerksamkeit durch den Tag gesteuert werden. Für große Unsicherheiten, Ausprobieren, ewiges Hin- und Her bleibt da oft gar nicht die Zeit. Viele Kindern profitieren gerade aus diesem Grund von Geschwistern, auch wenn es sich vielleicht anders anfühlen mag und man um der Gerechtigkeit willen alles gleich machen will. Manchmal kann es zudem auch helfen, einen Notfallfahrplan für das "was wäre , wenn..." zu entwickeln und sich zu überlegen, was einen denn helfen könnte, wenn der Katastrophenfall einträte. (Was hat uns damals geholfen? Wie konnte ich Entlastung und Unterstützung erfahren? Was würde ich anders machen? Welche Möglichkeiten hätte ich heute? etc.) Doch nochmal: die Situation jetzt ist kein Zeichen für die Anbahnung der gleichen Probleme. Vertrauen Sie ruhig Ihrem Mutterinstinkt. Er wird Sie nicht in die falsche Richtung führen! Ich wünsche Ihnen ein ruiges und erholsames Wochenbett und viel Freude aneinander! Kuscheln Sie, was das Zeug hält (-; Herzlichst, Ihre Meike Bentz

von Dr. Meike Bentz am 06.10.2015