Einschlafen

Dr. rer. nat. Meike Bentz Frage an Dr. rer. nat. Meike Bentz Diplom-Psychologin

Frage: Einschlafen

Hallo Frau Dr. Bentz, ich finde es super, dass es nun dieses Forum gibt und möchte es auch gleich für eine Frage nutzen. Im Januar 2015 ist unsere Tochter eine Woche vor ET geboren. Die Geburt erfolgte spontan, verlief relativ schnell. Zum Ende der Austreibungsphase hat der begleitende Arzt den Kristeller Handgriff eingesetzt, da der Kopf (oder die Schulter?) unserer Kleinen wohl einige Zeit feststeckte. Ich beschreibe das, weil ich nicht sicher bin, ob dadurch evtl. Anpassungsschwierigkeiten bei unserer Maus entstanden sind. Die ersten drei Monate war sie ein richtiges Schreibaby. Nachts zwischen 1 und 4 Uhr war es am Schlimmsten. Nichts könnte sie beruhigen, jede Nacht. Wir haben sie viel getragen, ich habe sie quasi dauergestillt. Auch tagsüber war sie meist unzufrieden, hat viel geschrieen. Ich habe mich fast nicht mehr aus dem Haus getraut, wir waren viel zu Hause. Auch, weil ich festgestellt habe, dass sie das etwas ruhiger machte. Seit sie 5 Monate alt ist, sind die Schreianfälle besser geworden. Geblieben ist uns aktuell "nur" noch Theater beim Einschlafen. Sie ist müde, ich bringe sie ins Bett (tagsüber oder abends). Wir haben schon lange ein Ritual, das auch zwischendurch einige Zeit sehr gut funktioniert hat. Seit einigen Wochen ist es aber so, dass sie sobald sie im Bett liegt, anfängt zu schreien. Sie lässt sich nur beruhigen, wenn ich sie aus dem Bett nehme und herumtrage. Nach ungefähr einer Stunde Geschrei, umhergehen und wieder hinlegen schläft sie dann ein. Manchmal auf meinem Arm, meist jedoch im Bettchen. Sie ist dann aber auch sehr erschöpft (und schläft deshalb ein?). Wir haben schon einiges versucht. In der Trage getragen, bei uns liegen lassen, früher/später hingelegt. Nichts hilft, bzw. nur kurzzeitig. Wir haben wirklich jedesmal beim Einschlafen dieses Drama. Langsam bin ich wirklich verzweifelt und fürchte auch, dass sie nicht genug Schlaf bekommt. Mir geht es nicht um mich oder meinen Abend. Ich möchte nur das Beste für meine Kleine. Was können wir nur tun, damit sie gut einschläft und nicht immer so weinen muss? Vielen Dank und viele Grüße Sandra

von Sandra1501 am 05.08.2015, 07:59


Antwort auf: Einschlafen

Liebe Sandra! zunächst: Sie haben schon viel mit Ihrer Tochter gemeinsam geschafft, darauf können Sie stolz sein! Grundsätzlich ist es so, dass das Thema ins Bett bringen während der gesamten (Klein)kindzeit immer mal wieder phasenweise schwierig werden kann. Temporäre Ein- oder Durchschlafprobleme sind daher eher die Regel als die Ausnahme. Sich dies bewusst zu machen, ist besonders für Eltern ehemaliger Schreikinder wichtig, denn nur allzu leicht führen solche Phasen, die sich eigentlich wieder in 1-2 Wochen legen würden, zur Panik. Auch in Ihrem Fall ist es sehr verständlich, wenn die Erinnerungen an die ersten schlimmen Monate wieder aufbrechen - zumal es ja nicht wirklich lange her ist. Natürlich versuchen Sie dann als fürsorgliche Eltern alles Mögliche, doch gerade das kann ein Problem darstellen. Wichtige goldene Regeln für den Umgang mit exzessiven Schreiern sind: a) Weniger ist Mehr b) nur eine Maßnahme zur Zeit c) diese dann aber für mind. 14 Tage ausprobieren, daher auch d) keine Maßnahme einführen, die Sie nicht über einen längeren Zeitraum durchführen können oder wollen Sie schreiben, dass die Schwierigkeiten seit einigen Wochen bestehen würden. Mit Tragehilfe, ins Elterbett, früher oder später hinlegen, aufm Arm tragen und einschlafen lassen, nennen Sie schon 5 Maßnahmen für diese Zeitspanne. Das sind eine Menge "Hilfsangebote", die Ihre Tochter vielleicht einfach überfordern? Also was tun? Ich würde vorschlagen, dass Sie bei Ihrem Ritual, was ja zwischenzeitlich schon recht gut funktioniert hat, im Wesentlichen bleiben und sich auf eine elterliche Einschlafhilfe reduzieren, die Sie dann allmählich abbauen können. Also entweder zusammen im Bett liegen, oder im Bettchen streicheln, Hand aufn Rücken etc. - kein Wechsel, auch nicht bei Schreien bevor nicht 10-14 Tage abgelaufen sind. Ihr Kind muss die Chance haben, sich an die Dinge zugewöhnen. Vom Tragen als festes Einschlafritual, rate ich eher ab. Dies sollte Ausnahme bei Erkrankung oder schlechten Träumen o.Ä.. bleiben. Das Tragen ist ein Bewegungsreiz, der, wenn er ausbleibt, schnell zum Erwecken des Kindes führen kann. Doch hier zählt auch Ihr Gefühl: wenn Ihr Kind durchs Tragen friedlich einschläft und dann keine Durchschlafprobleme zeigt, ist Tragen auch nicht "verboten". Allerdings verstehe ich Sie so, dass trotz Tragen die Abende schwierig sind. Natürlich sollte Ihr Kind auch wirklich müde sein, d.h. auch schlafen können. Hier zählt ebenfalls Ihr Eindruck. Wenn Ihr Tochter trotz des Theaters am nächsten Tag gut gelaunt und ausgeschlafen wirkt, braucht sie die Zeit, die sie beim Hinlegen "verschreit" vermutlich nicht. Das hieße dann entweder später hinlegen oder morgens eher wecken, um genug Schlafdruck zu gewährleisten. Ist das eher nicht der Fall, sollten Sie den Abend früher einleiten und das Ritual vielleicht etwas abspecken. Auch ruhige Dinge wie baden, Singen Vorlesen können bei sensiblen Kindern überfordernd sein. Wegen der Bindung zu Ihnen müssen Sie sich meiner Einschätzung nach keine Sorgen machen. Bindung ensteht nicht an einem Tag und Ihre Tochter und Sie befinden sich ja erst am Anfang eines Prozesses. Wenn dieser mal zwischenzeitlich etwas steinig war, macht das noch lange keine Bindungstörung! Für eine sichere Bindung brauchen Kinder keine dauerlächelnden, immer geduldigen, immer pädagogisch wertvollen und sich aufopfernden Eltern. So wäre die Menschheit vermutlich schon ausgestorben. Ich möchte nicht abstreiten, dass exzessives Schreien im Säuglingsalter später zu Schwierigkeiten auf dem Gebiet der Bindung führen kann. Das ist ja auch ein Hauptargument für eine frühe Behandlung. Nur dass dies insbesondere für extreme Fälle und Familien mit fehlenden Ressoucen zur erfolgreichen Bewältigung gilt. Leider erlebe ich immer wieder, wie sehr die aktuelle und oftmals wenig sachliche geführte Debatte um Bindungsorientierung dahin führt, dass Eltern sich quasi nicht mehr trauen, zu lenken, zu strukturieren, Regeln festzulegen und in den Konfikt zu gehen. Hinzu kommen völlig überzogene Erwartungen an die eigene Elternrolle, wie etwa, ein Kind vor allem Unangenehmen bewahren zu wollen. Wir können und sollten unseren Kleinen aber durchaus etwas zutrauen! Im Falle eines 7 Monate alten Kindes heißt das: natürlich braucht Ihr Kind Ihre Nähe und Zuneigung. Natürlich wäre Schreienlassen allein im dunklen Zimmer sinnlose Quälerei. Natürlich ist es wichtig, auf kindliche Bedürfnisse angemessen und feinfühlig zu reagieren. Dies heißt jedoch nicht, dass wir alles dem Kind überlassen können. So kann Ihre Tochter ja nicht entscheiden, dass z.B. stundenlanges Tragen in den Schlaf für alle auf Dauer nicht gut ist und wird es - wenn sie daran gewöhnt ist - eben einfordern. Von daher braucht es nicht nur Geduld, sondern auch Mut, Veränderungen durchziehen - aus fester Überzeugung, dass sich für das Wohl aller etwas ändern muss und kann. Dafür wünsche ich Ihnen viel Kraft und drücke die Daumen! Herzlichst, Ihre Meike Bentz

von Dr. Meike Bentz am 05.08.2015


Antwort auf: Einschlafen

eine Frage habe ich noch: in letzter Zeit habe ich viel zur Bindungstheorie gelesen. Wie schon geschrieben, war die erste Zeit für uns drei nicht so leicht. Ich war auch oft traurig, habe geweint und war auch enttäuscht oder frustriert vom "Mama-Dasein". Zwar habe ich versucht, diese Gefühle nicht an unsere Tochter weiterzugeben, bzw. mir anmerken zu lassen, bin aber nicht sicher, ob sie sie nicht doch irgendwie aufgenommen hat. Im Umgang mit ihr bin ich liebevoll, trage sie nach wie vor oft usw. Könnten diese ersten Probleme bereits zu einer Bindungsstörung geführt haben? Vielen Dank nochmal!

von Sandra1501 am 05.08.2015, 08:41