Sehr geehrter Herr Dr. Posth,ich mache mir Sorgen um unsere Tochter (im Aug. 6 J.). Seit ca. 1 1/2 Monaten hat sie ständig ein "schlechtes Gewissen" und das Bedürfnis mir alles haarklein zu erzählen.Manchmal sind es Dinge, bei denen sie kleine Grenzen überschritten hat (Mama, ich weiß ja, dass wir im KiGa nicht auf Bäume klettern sollen. Schimpfst du, wenn ich jetzt sage, dass ich es trotzdem heute gemacht habe?). Oft sind es aber zwischenmenschliche Kleinigkeiten ((Eine Mama hat mich was gefragt und ich wusste das nicht mehr. Jetzt habe ich ein schlechtes Gewissen, weil ich dir das nicht erzählt habe.).Ich denke, sie verwechselt manchmal schlechte Gefühle mit einem schlechten Gew. Wie kann ich ihr helfen?Sie wirkt sehr bedrückt, wenn sie davon erzählt.Sie konnte sehr früh gut sprechen, kann etwas lesen und im ZR bis 20 sicher rechnen.Sie ist sehr feinfühlig und möchte alles richtig machen.Kleiner Bruder ist 2, gutes Verh.,Papa oft streng, aber sehr geliebt,enge Bindung zu mir.
von
Miriam0606
am 02.06.2014, 07:14
Antwort auf:
Schlechtes Gewissen (fast 6jährige)
Hallo, was Ihre Tochter damit zeigt, ist nur die etwas übersteigerte Form eines Verhaltens, das in diesem Alter (so ab etwa 5 Jahren) alle Kinder entwickeln (sollten). Es geht um die Selbsterfahrung von Schuld, Reue und Wiedergutmachung. Darin spielt das Gewissen eine zentrale, ja entscheidende Rolle. Das schlechte Gewissen ist die Bemerkung bei sich selbst, etwas falsch gemacht oder jemanden bzw. eine Sache geschädigt zu haben. Diesen Begriff "schlechtes Gewissen" hat Ihre Tochter natürlich aus Ihren Unterhaltungen übernommen. Als verantowrtungsbewusste kleine Person beschäftigt sie sich mit diesem Phänomen, weil ihr die damit verbundenen, schlechten Gefühle sehr präsent sind. Das schlechte Gewissen drängt bei gesunder Sozialentwicklung nach der Auflösung in ein "gutes Gewissen." Das gelingt über die Wiedergutmachung, die sich aber manchmal nicht so einfach herstellen lässt. Ihr Tochter wünscht sich offenbar tipps von Ihnen, wie Sie diese Wiedergutmachung erzeugen kann. Z..B: könnten Sie Ihrer Tochter raten, jetzt, wo ihr die Antwort eingefalllen ist, noch einmal zu dieser Mutter zu gehen und ihr diese Antwort zu geben. Das Günstige an diesem Vorgehen ist, dass die Wiedergutmachung, die in diesem Fall ja eher durch ein ganz persönliches, scheinbares Versagen erforderlich geworden ist, Ihre Tochter stolz auf sich macht und ihr Selbstbewusstsein steigern lässt. Theoretisch gibt es für jede Form des schlechten Gewissen eine Auflösung in das gute. Die Fähigkeit zu dieser inneren Wandlung von schlechtem Gewissen in gutes ist die Grundvoraussetzung für prosoziales Verhalten (s. alle meine Texte und Bücher). Viele Grüße
von
Dr. med. Rüdiger Posth
am 02.06.2014