
Sex, Erotik und intime Momente mit dem Partner oder der Partnerin gehören für die allermeisten Menschen zu einer lebendigen Beziehung dazu. Aber Leidenschaft, Zärtlichkeit und eine gewisse Entspanntheit, die für körperliche Begegnungen erforderlich ist, lassen sich bei vielen Frauen und Männern eben nicht auf Knopfdruck herzaubern.
Bei einem Kinderwunsch, in der Schwangerschaft und nach der Geburt eines Babys kann die Sexualität schon mal kompliziert werden – aus den verschiedensten Gründen. Dann kann es hilfreich sein, eine Sexualtherapeutin um Rat zu fragen. Aber ist das üblich? Wie stark ist die Schamgrenze bei diesem mit Tabus behafteten Thema? Wir haben mit Sexualmedizinerin Miriam Mottl gesprochen. Sie klärt unter Herzensdialoge über alle Fragen und Umstände rund ums Sexualität auf.
Überweisung zur Sexualtherapie – ein genauer Blick auf Zusammenhänge
„Zu mir kommen meist Frauen, manchmal auch Paare, Männer allein eigentlich nie, denen von ihrem Frauenarzt, ihrer Frauenärztin empfohlen wurde, sich mit ihren Nöten mal bei mir vorzustellen“, berichtet Sexualmedizinerin Miriam Mottl. Probleme mit der Sexualität können immer sowohl körperliche als auch psychische Vorgänge betreffen, beispielsweise müssen Schmerzen beim Geschlechtsverkehr nicht allein auf einer körperlichen Ursache beruhen.
Ganz wichtig: eine Sprache und Worte für die Sexualität finden
Libido, Orgasmus, sexuelle Wünsche oder Probleme – gar keine so leichten Themen, mancheine:er spricht lieber übers Wetter, übers Essen oder das Fernsehprogramm etc. mit einer fremden Person als über solche doch sehr persönlichen Dinge.

„Auch bei Frauen, die sich nicht vorstellen können über ihre Lust, Wünsche und intime Dinge zu sprechen, kann ich doch recht schnell Vertrauen aufbauen, so dass sie sich öffnen und darüber reden wollen“, erzählt Miriam Mottl. Nur manchmal fehlen die passenden Worte. Die Expertin betont direkt, wie wichtig es sei, eine Sprache zu finden für die sexuellen Themen, für sich selbst und auch für die Beziehung zum Partner/zur Partnerin, um sich darüber auszutauschen.
Es gibt kein Richtig oder Falsch
Unterschiedliche Vorstellungen in Bezug auf Sexualität innerhalb einer Partnerschaft sind nicht ungewöhnlich. Einige Frauen fragen sich: Ich hab so gar keine Lust auf Sex, was ist falsch mit mir? Andere: Ich mag viel öfter herzeln als mein Mann, ist das noch normal?
Miriam Mottl ist selbst Gynäkologin, hat eine Zusatzqualifikation als ärztliche Psychotherapeutin in Deutschland und eine Zusatzqualifikation als Sexualmedizinerin in Österreich absolviert und räumt gleich mit einer falschen Vorstellung auf: „Es gibt bei dem Thema kein Richtig oder Falsch, nur wenn ich drunter leide, ist es eine Störung. Sonst ist es keine Störung.“ Zu manchen Zeiten wird die Libido herunterreguliert, in anderen Phasen ist sie hoch, das ist völlig in Ordnung und noch längst keine Störung.
Die persönliche Sexualität ist im ständigen Wandel und natürlich hat die Lebensphase in der du dich gerade befindest einen erheblichen Einfluss darauf.
Sexualität bei einem Kinderwunsch
Eine ganz besondere Bedeutung bekommt der Geschlechtsverkehr bei einem Kinderwunsch. Der Druck auf das Thema Sex, Ängste und Sorgen sind bei einem Paar, das sich ein Baby wünscht, naturgemäß groß. Eine Belastungsprobe der Beziehung. In der Regel hast du und dein Partner/deine Partnerin aber dasselbe Ziel, worauf ihr „hinarbeitet“ – und das ist genau der Knackpunkt. Die Sexualität sollte natürlich keine lästige Pflichtaufgabe werden, keine Arbeit, die man nach Kalender erledigen muss. „Der Druck hängt davon ab, wie lange man bereits versucht, ein Baby zu bekommen“, sagt Miriam Mottl.

Mit der Zeit, die vergeht ohne dass sich eine Empfängnis einstellt, wird die Sexualität zunehmend belastet. Das ist eine logische Entwicklung, viele Paare berichten von vorübergehenden sexuellen Problemen während der Kinderwunschzeit bzw. während der Kinderwunschbehandlung. Der Druck, die fruchtbare Zeit und den Tag des Eisprungs nutzen und an den entsprechenden Tagen Sex planen zu „müssen“, ist für Spontanität und Lustgefühle ganz klar eher kontraproduktiv.
Aber die Crux an der Sexualität bei einem Kinderwunsch: Wenn eine Frau sich entspannt, Lust empfindet, ändert sich der pH-Wert in der Vagina, die Spermien können besser überleben und darüber hinaus unterstützt ein Orgasmus zusätzlich die Befruchtung der Eizelle. „Wichtig ist, dass ihr offen miteinander sprecht und euch Zeit für die Sexualität und die Lust nehmt“, appelliert die Fachfrau an die Paare mit Kinderwunsch.
Sexualität in der Schwangerschaft
In der Schwangerschaft verändert sich die Sexualität wieder. „Es scheint so, als gäbe es zwei Extreme: Die einen Frauen haben wenig bis gar keine Lust, sie sind so sehr mit den Veränderungen und mit sich beschäftigt, fühlen sich eventuell nicht wohl in ihrer Haut, so dass kaum der Wunsch nach körperlichen Begegnungen aufkommt. Andere Frauen dagegen fühlen sich sehr wohl, sehr attraktiv und haben eher eine größere Libido“, berichtet die Sexualmedizinerin von ihren Erfahrungen in der Praxis.
Auch jetzt ist in der Partnerschaft Kommunikation das A und O, damit sich beide Partner idealerweise verstanden fühlen. Es ist dazu sehr hilfreich, wenn die sexuelle Zufriedenheit, die sexuellen Wünsche etc. bereits vor der Schwangerschaft thematisiert wurden und man schon eine Gesprächsebene hat auf der sich aufbauen lässt. Denn auch in der Phase sind kleine und große Herausforderungen ganz normal. Manchmal haben Männer Angst, das Baby spürt den Geschlechtsakt. „Die Sorge ist unnötig, der Muttermund ist in der Regel 5 cm dick, da merkt das Kind nichts. Ab einem gewissen Schwangerschaftsalter ist der Bauch im Weg, da muss man verschiedene Positionen testen“, schlägt Mottl, die selbst Mama ist, ganz pragmatisch vor. Gespräche helfen, um Erwartungshaltungen zu klären und das Thema zu enttabuisieren. „Sexuelle Aktivität in der Schwangerschaft ist erlaubt, wenn es gefällt, sonst nicht“, sagt Miriam Mottl ganz klar.
Sexualität nach der Geburt
„Besonders in dieser Phase ist der Druck wieder sehr hoch. Es ist wichtig den Druck aus dem Thema rauszunehmen“, betont die Expertin. Durch Medien und Gesellschaft werde vermittelt, viel Sex sei normal, es werden abstruse Erwartungen und Vorstellungen geweckt. Das alles erzeuge Druck, dabei sehe die Realität ganz anders aus, die meisten Paare haben nach der Geburt eines Kindes nicht oft Sex.

Dabei spielen verschiedene Faktoren eine Rolle:
- Bei manchen Frauen kommt die Lust auf Sexualität, nachdem sie Mama geworden sind, innerhalb weniger Wochen wieder auf, bei anderen passiert es erst viel später. „Das eine ist nicht schlechter oder besser als das andere“, erklärt Mottl. Zudem hat jeder Mensch ein anderes Bedürfnis nach Nähe. Also bitte ganz entspannt bleiben, sich nicht selbst drängen oder drängen lassen zu sexuellen Begegnungen, die du zu dieser Zeit nicht möchtest.
- Ein neuer Mensch ist Teil der Familie – eine riesige Veränderung. „Früher war das ganze Dorf da, um das Kind großzuziehen, heute leben wir oft in der Kleinfamilie und das größte Problem, um sich als Paar begegnen zu können, ist vorab die Betreuung des Kindes zu sichern“, so die Therapeutin. Wenn die Kinder andere Bezugspersonen haben, ist das ein großer Vorteil für das Paar. Oft ist das auch eine finanzielle Frage. Man müsse sich aktiv um Freiräume kümmern, diese müssen geplant werden. „Wir finden schon die Zeit, das ist ein Mythos. Den Zahn kann ich ziehen, dass es sich spontan ergibt, die meisten kriegen das nicht hin“, berichtet die Fachfrau. Such dir mit deinem Partner/deiner Partnerin die freien Zeiten im Familienalltag, die nur euch beiden gehören, plant euer erotisches Tête-á-Tête fest ein und lasst es nicht ausfallen. Dabei muss das Ziel gar nicht unbedingt Geschlechtsverkehr sein, vielleicht reichen euch beiden auch schon Kuscheln und Streicheln.
- Manche Frauen haben Angst, nach einer Geburt Sex zu haben. Damit kann die Gynäkologin aufräumen: „Wir sind darauf ausgelegt, dass wir nicht nur einmal Kinder bekommen können. Die Evolution hat sich etwas dabei gedacht.“ Aber: Beckenbodentraining ist sehr sehr wichtig, das werde leider oft vernachlässigt. Die Übungen sollten Frauen in den Alltag integrieren und dann täglich anwenden. Denn so können körperliche Probleme vermieden werden. Unser Tipp für dich: Setze dir täglich eine Erinnerung und absolviere die Beckenbodenübungen, so wie sie dir im Rückbildungs-Kurs gezeigt wurden.
- Ein Neugeborenes stellt alles auf den Kopf – und damit brechen auch Konflikte auf, alles Unausgesprochene kommt zum Vorschein. Verständnis, Respekt und ein liebevolles Miteinander sind eine wichtige Basis, damit ein Paar gut in der neuen Familienphase bestehen kann. „Das Paar muss liebevoll zueinander sein, man sollte das Positive, das Gute betonen, Dankbarkeit zeigen und Streit nicht befeuern“, gibt Miriam Mottl als Tipp mit auf den Weg. „Ich hab immer die Entscheidung – mach ich beim Drama mit oder nicht“, so die Therapeutin. Richte deinen Fokus also auf all die guten Seiten in deiner Partnerschaft, so kannst du sie stärken und damit langfristig auch dein Sexualleben positiv beeinflussen. Denn klar, wer streitet, hat wenig Lust auf Sex.
Ein glimmendes Feuer ist leichter zu entfachen
Grundsätzlich sollten sich Frauen, in welcher Lebensphase auch immer sie sich gerade befinden, immer vor Augen halten, dass sie über ihre Sexualität selbst bestimmen. Es gibt niemanden, der aufgrund ihrer sexuellen Wünsche und Bedürfnisse über sie richten darf oder über sie bestimmen darf.
Manche Paare haben vielleicht einmal im halben Jahr Sex und sind dann schon froh. „Solange keiner darunter leidet, muss man nichts ändern. Wenn es das Paar nicht stört, ist es so in Ordnung. Das ist ganz wichtig!“, betont Sexualmedizinerin Miriam Mottl. Es gehören immer zwei dazu.

Aber wenn es Dinge gibt, die einen oder beide Partner stören, dann hilft einerseits Sprechen, andererseits Handeln. „Die Gelegenheiten ergreifen, wenn sie sich bieten“, rät Mottl. Die alte Binsenweisheit „Der Appetit kommt beim Essen“ hat seine Berechtigung. Ein Kamin, der ein noch bisschen brennt, ist leichter wieder zu entfachen, als wenn man ihn neu anzünden muss. „Rumknutschen kann da schon helfen, das heizt die Flamme an“, sagt Miriam Mottl. Sieben Sekunden seien dabei die magische Grenze, darauf achtet die Mama eines Babys und eines Kleinkindes auch in ihrer Partnerschaft, wenn sie sich mit ihrem Mann küsst.