Frage im Expertenforum Kinderarzt an Dr. med. Andreas Busse:

Stimmt das, Herr Doc Busse?

Dr. med. Andreas Busse

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Frage: Stimmt das, Herr Doc Busse?

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Hallo lieber Doc Busse! Habe heute eine Email bekommen, die ich AUSNAHMSWEISE mal weiterleiten mag. Ich weiss, Sie haben viel zu tun, eigene Praxis und dann noch die ehrenamtliche Arbeit hier. Aber mich hat dieses Email so angesprochen, weil ich, wie wohl viele andere Muttis hier auch, eine uebervorsichtige, korrekte, vorausdenkende, "perfekte" Mutti sein will, die ihr Kind um Gottes willen in keine vorhersehbare Gefahr bringen will ;o). Es ist komisch, aber ich habe das Gefuehl, heute ist Uebervorsichtigkeit einfach ein Muss. Irgendwie traurig. Ich meine, Maxi mit seinen 3 Jahren ist 100 % immer unter Beaufsichtigung wenn wir draussen sind, das freie Spielen, wie ich es frueher gemacht habe, wird er nicht erleben, bestimmt nicht, bis er einige, viele Jahre aelter ist. Lesen Sie doch bitte mal die email: Nach dem heutigen Stand der Wissenschaft, speziell was der Gesetzgeber und die Bürokraten, die Medien und die Informationsgesellschaft uns täglich vorbeten und verbieten, müssten wir alle, die in den Sechzigern bis Anfang der Achtziger aufgewachsen sind, längst tot sein. Unsere Kinderbetten waren mit bleihaltigen Farben bemalt und Formaldehyd sickerte aus jeder Pore. Ganz zu schweigen vom Tapetenleim, dem Kleber des Linoleums oder den PVC-Dämpfen des Stragula. Wasserfeste Filzstifte hatten Ausdünstungen die benebelten und wer erinnert sich noch an den leicht salzigen Geschmack des abzuleckenden Tintenkillers? Steckdosen, Medizinflaschen, Schranktüren und Schubladen waren noch nicht kindersicher. Messer, Schere, Gabel und Licht wurden uns zwar verboten, aber meistens mussten wir uns erst einmal daran verletzten um es zu glauben. Unsere Fahrräder, Roller und Rollschuhe fuhren wir ohne Schützer und Helme. Die Risiken per Anhalter in den nächsten Ort zu fahren waren uns unbekannt! Zum Thema Auto erinnere ich mich weder an einen Sicherheitsgurt, noch an Airbags, ABS oder ähnliche Sicherheitsvorrichtungen im Wagen meines Vaters. Man saß zwar hinten, aber an einem heißen Sommertag gab es doch nichts schöneres als seinen Kopf aus dem Fenster (das man damals noch komplett runterkurbeln konnte) des fahrenden Autos zu stecken und sich den Fahrtwind ins Gesicht blasen zu lassen, dass man kaum noch Luft bekam. Wasser haben wir direkt aus dem Gartenschlauch getrunken und nicht aus einer Flasche. Wahnsinn! Wir aßen fettige Schmalznudeln und frischgebackenes Brot mit fingerdick Butter drauf, dazu gab es überzuckerte Limonaden oder künstlich gefärbtes Tri Top. Fett geworden sind wir deswegen nie, weil wir immer draußen waren. Wir haben zu fünft aus einer Limoflasche getrunken und es ist tatsächlich keiner daran gestorben. Wir haben stunden- und tagelang an Seifenkisten oder ähnlichen Gefährten geschraubt, die wir aus rostigem Schrott und splitterigem Holz konstruiert hatten. Dann sind wir den Hügel damit runtergebrettert nur um festzustellen, dass wir die Bremsen vergessen hatten. Nachdem wir ein paar Mal in der Böschung gelandet waren, haben wir gelernt auch dieses Problem zu lösen. Wir gingen in der Früh raus und haben den ganzen Tag gespielt, höchstens unterbrochen von Essenspausen und kamen erst wieder rein, als es dunkel wurde und man den Fußball nicht mehr richtig sehen konnte. Wir waren nicht zu erreichen. Keine Handys! Wenn es regnete spielten wir bei Freunden Monopoly oder Mensch ärgere dich nicht, Mühle oder Dame und bauten mit Matchbox Autos ganze Städte auf. Wir hatten weder Playstations oder Nintendo, X-Boxen oder Videospiele, keine PCs, keine 50 Fernsehkanäle oder Surround Anlagen. Ins Kino zu gehen war ein Ereignis, für das man sich herausputzte und das einem vor Vorfreude den Magen kribbeln ließ. Es gab noch Vorfilme, die immer eine Überraschung waren, weil keiner wusste was zu erwarten war und wenn zufällig ein Donald Duck oder Micky Maus Film dabei war, hatte man das ganz große Los gezogen. Wir hatten Freunde! Wir gingen raus und haben uns diese Freunde gesucht. Wir haben Fußball gespielt mit allem was sich kicken ließ und wenn einer einen echten Lederball hatte war er der King und durfte immer mitspielen, egal wie schlecht er war. Um im Verein mitspielen zu dürfen gab es Aufnahmeprüfungen, die nicht jeder bestanden hat. Wer es nicht geschafft hat, lernte mit der Enttäuschung umzugehen. Wir spielten Völkerball bis zum Umfallen und manchmal tat es weh, wenn man abgeworfen wurde. Wir sind von Bäumen und Mauern gestürzt, haben uns geschnitten, aufgeschürft und haben uns Knochen gebrochen und Zähne ausgeschlagen. Wir hatten Unfälle! Es waren einfach Unfälle an denen wir Schuld waren. Es gab niemanden, den man dafür verantwortlich halten konnte und vielleicht sogar noch vor den Kadi zerrte. Wer erinnert sich noch an Unfälle? Unsere Knie und Knöchel waren von Frühjahr bis Herbst lädiert und ein Schienbein ohne blaue Flecke gab es nicht. Wenn wir uns an Brennnesseln gebrannt haben, oder uns eine Mücke gestochen hatte, haben wir entweder drauf gespuckt, oder den Nachbarshund drüber lecken lassen oder drauf gepinkelt. Geholfen hat alles. Wir haben gestritten und gerauft, uns gegenseitig grün und blau geprügelt und gelernt damit zu leben und darüber weg zu kommen. Wir haben Spiele erfunden mit Stöcken und Bällen, haben mit Ästen gefochten und Würmer gegessen. Und obwohl es uns immer wieder prophezeit wurde, haben wir kaum ein Auge ausgestochen und die Würmer haben auch nicht in uns überlebt. Wir sind zu einem Freund geradelt, haben an der Tür geläutet und sind dort geblieben nur um mit ihm zu reden. Manche Schüler waren nicht so schlau wie andere, also haben sie eine Klasse wiederholt. Sie sind nicht durchgefallen, sondern wurden von den Lehrern einfach zurückgestuft. Zensuren bei Proben wurden nie manipuliert, egal aus was für Gründen. Wir waren für unsere Aktionen selbst verantwortlich. Konsequenzen waren immer zu erwarten, wenn wir Scheiße gebaut hatten. Der Gedanke, dass ein Elternteil uns rausklopft wenn wir mit dem Gesetz in Konflikt geraten waren, war undenkbar. Im Gegenteil, die Eltern stellten sich auf die Seite des Gesetzes. Stellen Sie sich das einmal vor! Unsere Generation hat einige der größten Enterpreneure und Erfinder hervorgebracht. Die letzten 50 Jahre waren eine wahre Explosion an Innovationen und Ideen. Wir hatten Freiheit und Zwang, Erfolg und Misserfolg, Verantwortung und Konsequenz. Und wir haben gelernt damit umzugehen. Erinnere Dich daran, wie Du aufgewachsen bist und Du wirst sehen, was unseren Kindern heute fehlt. Als die Eltern einmal ein Auge zudrückten, anstatt die Kinder mit übergroßer Vorsicht zu erdrücken. Unsere Eltern trauten uns zu die richtigen Entscheidungen zu treffen. Meistens hat es geklappt. Die paar Mal, die daneben gingen zählen wir zu unseren Lebenserfahrungen.


Dr. med. Andreas Busse

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Liebe Claudia, das hat 2 Seiten. Niemand wird bezweifeln, dass bessere Sicherheitseinrichtungen wie der Sicherheitsgurt oder Kindersitze, FAhrradhelme etc. sinnvoll sind und das zeigt sich auch den Unfallstatistik, die deutlich weniger verunfallte Kinder zeigt. Diese Dinge sind es aber nicht, die die Kinder einengen, sondern wir sind es, die Eltern, NAchbarn, Politiker,...die Überängstlich an ihren Kindern klammern und es nicht ertragen können, dass sie selbständig werden. Risiken werden nicht mehr richtig eingeordnet, wenn ein Kind sich verletzt, dann gibt es sofort "Notfalltröpfchen" statt einfach Trost. Die Nachbanrn beschweren sich, wenn Kinder laut lachen, Rasen betreten verboten,....... Und wir setzen unseren Kinder auf der anderen Seite auch keine richtigen Grenzen mehr, trauen uns nicht "nein" zu sagen. Mit der Folge, dass Kinder oft orientierungslos und unleidlich sind. Wir sollten nicht die besseren Sicherheitsbedingungen und saubere Umwelt verteufeln. Die Einschränkung der ungestörten Entwicklung unserer Kinder findet in den Köpfen und den Herzen statt. Alles Gute!


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Hallo Claudia Dein Beitrag hat mir sehr gut gefallen. Ich selbst bin 1966 geboren und der Artikel hat bei mir wunderbarste Erinnerungen an meine Kindheit geweckt. Es war so ziemlich alles treffend. Leider sind wir 30 Jahre weiter und die Zeit rast. Unsere Kinder werden leider in einer noch schnelleren Zeit aufwachsen als wir aufwuchsen gegenüber unserer Eltern. Vor 10 Jahren ist mir schon aufgefallen, dass man auf den Strassen keine Horden von Kindern mehr sieht die beispielsweise noch Schnitzeljagden veranstalten u. ä. Ja, die ganze neue Art von Spielen macht es möglich, dass Kinder und Jugendliche eher vereinsamen werden oder nur einen ganz kleinen Kreis an Freunde und Bekannte haben werden. Trotzdem, ich als Optimist bin sicher, dass auch unsere Kinder ihre Kindheit auf ihre Art geniessen und lieben werden wie wir es auch taten. Sie kenne leider nichts anderes. Was die Übervorsichtigkeit betrifft: man vergisst als, dass man selbst sehr übervorsichtig ist. In den Zeitungsartikeln wird auch stets davon geschrieben, dass man Steckdosen verbarrikadieren sollte, Herdplatten abschirmen, Kindermatratzen eher gute teure kaufen, damit der Rücken des Kindes gut gedeiht, etc. und in den Katalogen wird eine Unmenge an Sicherheiten verkauft. Ich selbst habe eine 6 Monate alte Tochter und muss zugeben, dass auch ich mir schon über all die oben erwähnten Dinge gedanken gemacht habe. Dein Beitrag mit dem Artikel hat mich wieder etwas zurück auf den Boden geholt. Man muss nicht immer all das Neuste und Beste haben und das Kind nicht vor allem beschützen wollen. Liebe Grüsse Susanna


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Hallo Claudia, ich muß sagen: DAS STIMMT, ALLE!!! Wenn ich heute durch die Straßen des Dorfes gehe, in dem ich aufgewachsen bin, frage ich mich oft wo sind die ganzen Kinder. Im Kindergarten es gibt 3 Stück sind insgesamt ca.300 Kinder und in der Grundschule nochmal 360 Kinder und wenn man Glück hat sieht man vielleicht 10 Kinder auf der Strße spielen. Unser Nachbar meinte mal zu mir, es betraf einen Jungen dessen Eltern ich sehr gut kenne, das wußte er aber nicht: " DER ARME JUNGE IST IMMER DRAUßEN UND DIE ELTERN KÜMMERN SICH GAR NICHT UM IHN. ER KANN EINEM RICHTIG LEID TUN." Und genau diese Einstellung ist es, die unsere Kinder daran hindert sich zu entfalten. Liebe Grüße Mary


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hi, die e-mail scheint gerade rumzugehen... hab auch so eine. teilweise mag da echt was dran sein. ich bin 1969 geboren und hab tagelang im wald gespielt oder bin alleine mit dem rad ins moor gefahren und habe an der bäke geplanscht bis es dunkel wurde. aber um ehrlich zu sein. ich bin auch zwei oder dreimal von unbekannten männern angesprochen worden, ich solle sie begleiten. bin damals einfach weggelaufen. wenn ich jetzt daran zurückdenke wird mir immer noch übel, was hätte passieren können. es ist sicherlich viel wahres dran. aber die wissenschaft und forschung geht immer weiter und den nutzen sollte man nicht leugnen, sh. sicherheitsgurte, fahrradhelme. ob die (um)welt heute schlechter geworden ist als damals weiß ich nicht. vielleicht wurde damals eben nicht alles in den medien so hochgespielt. als es z.b. mit den busunglücken losging, wurde später von jedem bus berichtet, der auch nur eine panne hatte... es ist eben sehr schwierig bei unseren kleinen den richtigen grad zwischen loslassn und beschützen zu finden.


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Dieser Beitrag hat es in Sich. Ich wurde 1975 in einem Dorf nahe einer Kleinstadt geboren und es war einfach spitze. Mann hatte noch richtige Freunde und nicht so wie jetzt, wo jeder auf des anderen Kleidung schaut und sch danach richtet, wie "reich" oder arm man ist. Mann hat sich einfach verstanden. In der Schule waren die Lehrer noch für einen da, bei Problemen, denn jetzt haben sie einfach keine Zeit oder vielleicht sogar Angst vor den Schüler. Wo gibt es denn sowas. Meine Tochter ist 10 Monate alt und ich hoffe das ich mal eine gute Mutti werde, die Ihr eine gute und schöne Zukunft bereiten kann. Denn meine Kindheit war einfach schön. Meine Eltern mußten auch arbeiten und uns hat es nicht geschadet, das wir nach der Schule auf uns gestellt waren, wir haben unsere Pflichten zu Haus erledigt und konnten dann spielen gehen. Jetzt gibt es schon Theater, wenn ein Kind sein Zimmer aufräumen muß. Mann hat ja auch sch bammel, wenn das Kind mal schreit im Wohnblock, denn eine Übereifrige Nachbarin ruft dann schon mal an oder sagt einem "mann könne doch das Kind nicht schreien lassen". Und das nur weil das Kind Zähne bekommt und auf diese Salbe allergisch reagiert. Wie mann es macht, es ist falsch. Im Kindergarten werden die Eltern danach beurteilt, wie Ihre Kinder gekleidet werden. Das ist doch Wahnsinn.Aber so kann man eines nach dem anderen aufzählen, es wird nie wieder so wie früher. Man kann der Zeit nur nachtrauern. Dieser Beitrag hat mich sehr inspiriert und alte Gedanken wieder aufgerufen. Es ist Klar das die Sicherheit unserer Kinder immer vorgeht, aber eine kleine Beule vom Hinfallen hat noch niemand geschadet. Oder das das Kind Gras ist im Freibad, weil man das Handtuch zusammenlegt. Man sollte die Kinder Ihre Lebenserfahrung in manchen Dingen lieber selber machen sollen. Kleine Hilfen sind erlaubt, aber die Zukunft macht sich doch jeder selber. Mein Vater sagte zu meiner Hochzeit: " Jeder ist seines Glückes Schmied ". Und dass ist mein Leitsatz geworden. Ich grüße die weiteren Leser und Beantworter dieses Beitrages.


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