Frage: Bonding

Guten Tag! Wie wichtig ist das Bonding, also, dass das Kind nackt auf dem Bauch der Mutter liegt? Unser Sohn kam nach einer sehr langen, anstrengenden Geburt mit der Saugglocke zur Welt, da er auch noch die Nabelschnur um den Hals hatte und die Herztöne abfielen. Er war komplett blau als er geboren wurde und wurde mir sofort weggenommen und mit Sauerstoff versorgt. Dann wägten sie ihn und zogen ihn ganz dick an. Danach bekam ich ihn so, er trank auch ganz gierig bei der Brust. Aber ich hatte nicht so intensive Gefühle gleich nach der Geburt, ich fand ihn einfach süss und war froh, dass die Geburt vorbei war. Richtige Muttergefühle mit tiefem Empfinden kamen erst Wochen später. In der ersten Nacht im Spital war ich auch ganz verzweifelt, da er nach dem stillen nicht schlafen konnte, also gab ich ihn einige Stunden auf die Station, damit ich schlafen konnte. Das macht mich noch mehr fertig - der Arme. Er war wach und wollte bestimmt bei seiner Mama sein. Ist das sehr schlimm für ihn? Im Spital riet man uns leider ihn nicht zu uns ins Bett zu nehmen, deshalb schlief er im Bettchen daneben. Bestimmt hätte er sich beruhigt, wenn er bei mir hätte schlafen können. Jetzt liebe ich ihn ganz fest. Ich habe die Geburt lange verdrängt, weil sie so schlimm gewesen ist, aber nun ist unser Sohn über ein halbes Jahr alt und die Geburt macht mir sehr zu schaffen. Immer wieder sehe ich wie sie ihn mir weggenommen haben und dass ich ihn nie nackt anfassen durfte. Da ich auch Komplikationen hatte durfte ich erst 5 Tage später beim bädelen ihn ganz nackt halten. Ich leide so darunter. Gibt es einen Grund warum man das Baby anzieht und nach dem Sauerstoff nicht gleich nackt mir gegeben wurde? Denken Sie, dass unser Sohn eine weniger starke Bindung zu mir aufbauen konnte, weil er zuerst fort von mir war und dann auch nur in dicken Kleidern bei mir lag? Wie könnte ich denn die Bindung stärken? Ich bin so traurig deswegen. Massieren lässt er sich leider auch nicht extrem gerne :-(.... Kann man das irgendwie noch nachholen? Wahrscheinlich würde er jetzt nicht mehr so gerne nackt auf mir liegen :-).... nein, ich meine es wirklich ernst. Kann es sein, dass durch den fehlenden Hautkontakt bei mir die Muttergefühle erst etwas später kamen? Ich hatte auch am Anfang nicht extrem das Bedürfnis ihn zu kuscheln. Ich hielt ihn ab und zu ihm Arm, aber das Bedürfnis nach starker Nähe kam bei mir erst einige Wochen danach. Hat er dadurch gelitten? Ânfangs berührte mich sein weinen auch noch nicht so stark wie jetzt. Ich reagierte darauf, aber manchmal nahm ich ihn nicht gleich sofort in den Arm. Das ist jetzt ganz anders. Können diese Gefühle durch die schwere Geburt und das verzögerte Kennenlernen zustande gekommen sein? Ich versuche nur, mich zu verstehen, was da in mir vorgegangen ist. Denken Sie, ich sollte mal mit einer Fachperson über die Geburt sprechen? Habe sie bis jetzt sehr verdrängt. Aber langsam kommts wieder hoch. Wollte auch immer alles richtig machen mit dem Baby, hatte aber oft Angst, dass ich etwas falsch mache. Geht das in richtung postpartale Depression? Was wären da die Symptome? Vielen Dank für Ihre Antwort! Liebe Grüsse

von manzanillo12 am 12.02.2011, 12:39



Antwort auf: Bonding

Liebe M., das sollten Sie sich bitte ganz rasch aus dem Kopf schlagen, denn solche theoretischen Gedanken gehen an der Wirklichkeit völlig vorbei. Entscheidend für das gesunde Aufwachsen ihres Kindes sind nicht solche einzelnen Erlebnisse oder Handlungen von Ihnen sondern die Grundstimung, die ihm zeigt: ich werde geliebt und angenommen und wenn ich Sorgen und Nöte und Bedürfnisse habe, dann bemühen sich meine Eltern und sonstige Bezugspersonen, denen nachzugeben. Ihr Kind braucht Sicherheit und das bedeutet auch Eltern, die selber sicher sind und nicht ständig alles hinterfragen. Angst ist ein ganz schlechter Ratgeber und wenn Sie den Eindruck haben, sie können sich nicht alleine von diesen Ängsten lösen, dann sollten Sie sich unbedingt helfen lassen. Alles Gute!

von Dr. med. Andreas Busse am 12.02.2011



Antwort auf: Bonding

Hallo, bin zwar nicht der Arzt, habe aber Ähnliches erlebt und wollte Dich ein bissel beruhigen und trösten. Ich hatte bei beiden Kindern einen (unfreiwilligen) Kaiserschnitt, und da ist bekanntlich nichts mit Bonding, weil man hinterher erst einmal 45 Minuten zugenäht werden muss und weitere 20 Minuten in einen Kontrollraum zur Überwachung von Kreislauf etc. muss. Man darf das Baby direkt nach dem Herausholen nur für einige Sekunden sehen, dann wird es weggetragen, gebadet, angezogen, dem Papa gegeben. Erst nach weit über einer Stunde konnte ich meine Kinder das erste Mal anlegen. In der jeweils ersten Nacht nach der OP ist das Baby im Säuglingszimmer, weil man noch zu geschwächt ist, um sich selbst darum zu kümmern. An den Tagen nach der OP ist auch nix mit nacktem Baby und Kuscheln, das geht mit frischer OP-Wunde und im Klinikbett nicht so gut. Meine Frauenärztin sagte mir dazu (ich war beim ersten Mal auch so besorgt), dass das Bonding der ersten Lebensminuten überschätzt werde. Für ein gutes Bonding ist es z. B. schon wichtig gewesen, dass Du Dich auf Dein Kind gefreut hast, als es noch im Mutterleib war - das hat immer wieder zwischendurch gute Botenstoffe zu Deinem Kind geschickt (Glückshormone kommen durch die Plazenta durch!). Auch, dass Dein Kind gewollt und geliebt ist, führt zu einem superguten Bonding weit über die ersten Lebensminuten hinaus. Du brauchst nicht ängstlich den Tag nach der Entbindung zu rekonstruieren und Dich zu sorgen - das Gesamtpaket bei Euch stimmt einfach, das ist die Hauptsache. Wärest Du nicht eine wunderbare Mutter, würdest Du Dich nämlich erst gar nicht sorgen! Dabei spielt es auch gar keine Rolle, dass bei Dir direkt nach der Geburt nicht das totale Mutterglück ausgebrochen ist. Das ist völlig normal, das ist auch bei Frauen häufig, die ihr Kind sofort auf den Bauch gelegt bekamen! Gemischte Gefühle gehören zur Schwangerschaft, zur Geburt und auch zum Muttersein immer dazu. Denn dies sind gravierende Lebenseinschnitte - da ist nicht alles eitel Sonnenschein, es spielen auch Ängste, Besorgnisse, Erschöpfung etc. immer mit eine Rolle. Du wirst noch oft zwiespältige, nämlich liebevolle und auch manchmal sogar ablehnende Gefühle Deinem Kind gegenüber haben, weil Du nämlich ein Mensch und kein Engel bist. Manchmal ist man müde, genervt, überfordert, einen Augenblick lang lustlos - und dann dauert es eben einen Moment länger, bis man sein Baby hoch nimmt. Das geht allen Müttern so, egal welche Form der Entbindung sie hatten. Ich sehe das an meinen Freundinnen, die normal und ohne Komplikationen mit tollem "Bonding" entbunden haben. Auch Dein Kind wird Dich natürlich in den nächsten 18 Jahren nicht von morgens bis abends durchgehend immer lieben - sondern allenfalls meistens. Auch es selbst ist nämlich ein Mensch und kein überirdisches Wesen. Weißt Du, ich glaube, Du solltest Dich jetzt möglichst viel mit anderen Müttern austauschen, am besten natürlich mit Freundinnen. Hier kannst Du ganz offen erzählen, was Du für Gefühle und Sorgen hast - und wirst mit Staunen hören, dass es den Anderen meist ganz genauso geht. Ich fand das immer unheimlich entlastend, ich habe im ersten Jahr noch sehr oft über die Geburt sprechen müssen, um alles zu verarbeiten. Beim zweiten Kind war ich schon viel gelassener, ich wusste, ich bin eine gute Mutter, auch wenn ich einen Kaiserschnitt hatte oder nicht 24 Stunden am Tag Glückseligkeit spüre. Lies doch auch mal das wunderbare Buch "Der Tanz ums Kind" von Harriet Lerner. Sie ist Psychologin und Mutter und räumt mal auf mit den unendlich vielen Schuldgefühlen und Ängsten, die Mütter meist vom ersten Tag des Erdenlebens ihres Kindes an haben, weil sie glauben, es sei nicht alles vollkommen optimal gelaufen. Es ist ein fröhliches, tiefgehendes und sehr entlastendes Buch, das jede Mutter einmal lesen sollte. Und wenn Du eine wunderbare und tiefe Bindung zu Deinem Baby haben und ihm sein Urvertrauen für ein ganzes Leben jetzt stärken möchtest, empfehle ich außerdem noch das wichtige Buch "Auf der Suche nach dem verlorenen Glück" von Jean Liedloff. Das ist für mich das zweite, eigentlich unverzichtbare Buch für Eltern. Übrigens, ein kleiner Nachtrag zur Beruhigung: Trotz fehlenden "Erste-Minuten-Bondings" sind meine Kinder glücklich, fröhlich und ausgeglichen. Wir lieben und vertrauen uns sehr, wir zwei Eltern und die zwei Kinder und fühlen uns einander sehr nah. Bindung heißt für uns, dass wir uns als Familie fühlen, viel zusammen machen, viel zu viert miteinander kuscheln (Sonntagmorgens im Bett mit viel Gequietsche, Kitzeln und Quatsch), alles Wichtige be- und aussprechen und vor allem viel zusammen lachen. Ich glaube, das ist sogar das Wichtigste. Die Kinder wirken immer am glücklichsten, wenn wir auch aus Pannen noch etwas Lustiges ziehen und mit Humor an die Widrigkeiten des Lebens herangehen. DIESES Bonding durch die ganze Kindheit hindurch ist es, was Kinder brauchen, um seelisch gesund in die Welt zu starten, gell! Ich kann, wenn ich meine Kinder mit denen von Freundinnen vergleiche, null Unterschied erkennen in Bezug auf das nachgeburtliche Bonding. Im Gegenteil, wo Kinder ungewollt kamen, die Partnerschaft nicht stimmt etc. - da haben Kinder Probleme, aber nicht wegen Bondings oder Nicht-Bondings. Liebe Grüße

von Astrid am 12.02.2011, 15:38



Antwort auf: Bonding

Oh, darf ich mich zu dir bzw. euch gesellen?! Mir ging es genauso wie dir. Ich dachte schon, ich wär alleine mit meinen Schuldgefühlen. Mein Sohn kam vor 6 Monaten ebenfalls per ungeplanten KS zur Welt. Ich hab die ersten 2,5 Stunden (!) des Lebens meines Kindes verpasst und verschlafen. Ich war viel zu schwach, um mich zu freuen. Ich hatte Schmerzen ohne Ende. Die Hebammen in der Klinik waren sehr forsch (bis auf Eine!) und ich durfte mir sogar vorwerfen lassen, dass ich die Klinik nicht, wie andere Mütter auch, schon nach 3 sondern erst nach 4 Tagen verlassen habe. Andere Mütter schaffen das auch, trotz Kaiserschnittes! Zurück zu den ersten Lebensminuten und -stunden: Mein Sohn lag bei meinem Mann im Arm. Auch jetzt habe ich das Gefühl, dass er sich eher zu Papa hingezogen fühlt und ich schiebe es immer auf die ersten Minuten, die ich nicht für ihn da sein konnte! Gut, ich dachte mir, wenn das mit der normalen Geburt nicht geklappt hat, dann stille ich wenigstens. Es hat 3 Wochen geklappt. Dann kam meine Schwiegermutter (die ich an und für sich sehr mag). Sie war gegen das Stillen. Als ich meinem Sohn abgepumpte Milch geben wollte, sagte sie "Lass mal, ich geb dir mal was richtiges..." und verschwand in die Küche und rührte Pulvermilch an und schüttete meine bereits abgepumpte Milch aus dem Kühlschrank weg!!!! Ich hatte mit dem Babyblues zu kämpfen und wollte die Nähe zu meinem Sohn - was tat sie?! Sie nahm ihn mir aus dem Arm und sagte, ich solle aufstehen. Es war eine grauenhafte Zeit: die Geburt, das fehlende Bonding und das nicht-stillen-können. Glaub mir, ich kann mich sehr gut in deine Lage versetzen! Ich hab auch sehr oft daran zu knabbern, auch heute noch. Trotzdem liebe ich meinen Sohn überalles und ich weiss, dass du dein Kind auch überalles liebst. Wenn du magst, können wir uns gerne austauschen - unsere Kleinen sind ja in etwa gleich alt. Ich würde mich freuen! Ganz liebe Grüße!

von joghurtkultur am 12.02.2011, 18:37



Antwort auf: Bonding

Vielen Dank für eure beiden Antworten. Das hat mich enorm getröstet. Ja, würde gerne noch ein wenig mit euch austauschen, wollen wirs im Forum Elternforum machen? "Nach der Geburt" ? Lest mal die Antwort welche mir Katrin im Expertenforum geantwortet hat. Finde ich noch gut, was sie vorschlägt :-) Liebe Grüsse

von manzanillo12 am 15.02.2011, 20:48



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