Rückschritt - sind wir konsequent genug?

Dr. rer. nat. Meike Bentz Frage an Dr. rer. nat. Meike Bentz Diplom-Psychologin

Frage: Rückschritt - sind wir konsequent genug?

Liebe Frau Dr. Bentz, meine Tochter, 2 Jahre und 4 Monate alt, hat eine Schreibaby-Historie. Seit sie 6 Monate alt ist Besserung durch feste Zeiten und Rituale. Heute schläft sie von 19:30-07:00 Uhr (11,5 Stunden) sowie von 12:00-13:00 Uhr - insgesamt also 12,5 Stunden. Wir müssen sie dann jeweils wecken und sie ist vor den Schlafenszeiten müde jedoch nicht vollkommen unausgeglichen, ich vermute also dass der Gesamtschlaf passt. Oder sehen Sie das eventuell anders? Nun ist es so, dass wir schon seit über einer Woche damit zu kämpfen haben, dass meine Tochter beim ins Bett bringen oder mitten in der Nacht schreit und fordert "auf den Arm". Seit 3 Tagen erfülle ich diese Forderung nicht mehr (da sie davon immer mehr fordert) und tröste sie mit den Worten "Alles ist gut. Mama muss jetzt schlafen" in ihrem Bett. Dies hat wahnsinnige Wutanfälle zur Folge. Ich gehe dann 5 Minuten aus dem Zimmer, komme dann kurz wieder und tröste wie oben beschrieben usw. Nach 2-3 Mal bricht ihr Wutgeschrei dann völlig unvermittelt ab und sie bittet "Kannst du ein Lied für mich singen?". Dies habe ich zunächst erfüllt, danach war Ruhe. Ich bin mir jedoch nicht sicher, ob sie damit am Ende des Tages nicht genau dass, was sie mit der Ursprünglichen Forderung "Arm" erreichen wollte auch bekommt und ich damit das Schreien sogar verstärke. Es wäre toll, wenn Sie mir Ihre Einschätzung dazu geben könnten, denn so langsam erreichen wir wieder das "Nerven liegen aufgrund Schlafmangel blank Stadium"... Eingebettet ist das ganze Drama in eine ausgeprägte "Trotzphase", dazu spricht meine Tochter nahezu druckreif und verhandelt sehr viel. Zudem ist sie Teil eines Zwillingspäärchens, was die Sache nachts nicht unbedingt einfacher macht : ( Herzliche Grüße

von Grottenolm am 11.05.2016, 01:50


Antwort auf: Rückschritt - sind wir konsequent genug?

Liebe(R) Grottenolm! also insgesamt ist das doch eine schöne Entwicklung! Es ist eine riesige Leistung - noch dazu bei Zwillingen - bei der Belastung durch exzessives Schreien einen Rhythmus zu etablieren, für ausreichend Schlaf zu sorgen und Rituale einzuführen. Dass Ihre Tochter nun auch so gut schläft (mit 12,5 Stunden liegt sie wirklich in einem guten Durchschnitt), spricht für Ihren Erfolg! Es ist nämlich (leider) keineswegs eine Selbstverständlichkeit. vor allem, wenn man Schlafprobleme zu lange hinnimmt. Ob Ihrer Tochter ein Stündchen mehr Schlaf gut tun würde, kann ich so nicht beurteilen. Wichtig ist die Befindlichkeit nach dem Wecken - klappt das gut, scheint kein Problem vorzuliegen, müssen Sie sie regelrecht wachkämpfen, dann würde es ihre vielleicht guttun, Sie morgens und / oder mittags noch ein Weilchen schlafen zu lassen. Sie brauchen sich nicht (mehr) so rigide an Zeiten zu halten. der Schlafbedarf ist im Mittel zwar gleich, kann aber je nach Tagesform auch mal erhöht oder verringert sein. Für Eltern ehemaliger Schreier ist es natürlich nicht einfach, eine Balance zwischen stetigem und nach wie vor wichtigen (!) Rhythmus und nun auch mal möglichen flexiblem Reagieren zu finden. Sie haben schlicht Angst, das mühsam erarbeite Kartenhaus bricht zusammen und die Schreierei könnte wieder beginnen. Während andere Eltern sich gar keinen so großen Kopf machen würden, wenn ihr Kind mal später ins Bett kommt oder mittags mal länger schläft, machen Sie sich selbstredend mehr Sorgen, etwas falsch zu machen. Was ich damit sagen will: Sie können sich etwas entspannen und müssen sich nicht zum Sklaven der Uhr machen! +/- 30 Minuten sind in Bezug auf Schlafenszeiten völlig ok, womit sie schon Spielraum haben. Ihr Bauchgefühl wird Ihnen sagen, was richtig ist. Außerdem haben Sie jedoch ja noch die Sorge, Sie könnten das Verhalten Ihrer Tochter verstärken, dass sie es ja durch Ihre Aufmerksamkeit belohnen. Würde man nun rein lerntheoretisch die Situation betrachten, ist die Gefahr nicht ganz abzustreiten. So wird ja auch die Wirksamkeit der berühmten Ferber Methode des gezielten Schreienlassen damit erklärt, dass es so keine Verstärker mehr für Schreien gibt, das Schreien also keine Konsequenz mehr hat und somit dieses Verhalten gelöscht wird. Orthodoxe Anhänger dieser Schule würden Ihnen also antworten: Ja, Sie waren nicht konsequent genug. Ich persönlich sehe das etwas weniger rigide. Natürlich ist es wichtig bei der Erziehung im Auge zu behalten, dass durch unbeabsichtigte Verstärkung problematisches Verhaltens sich festigen kann. Es wird häufig z.B. übersehen, dass Schimpfen Aufmerksamkeit auf schwieriges Verhalten lenkt und damit genau dies provozieren kann, wenn das Kind Aufmerksamkeit haben will. Ignorieren unerwünschten Verhaltens kann da manchmal das weitaus bessere Instrument sein. Doch wir sind nun einmal mehr als Versuchstiere in der Skinnerbox, die Aufgaben die wir in der Erziehung meistern müssen, sind nun einmal komplexer. Sie müssen sich also keine Vorwürfe machen! Es geht nicht darum, Ihr Kind zu dressieren. Sie dürfen also auch einfach mal Dinge machen, die so nicht im Lehrbuch stehen würden und trotzdem muss keine Katastrophe folgen. Doch was tun? Zunächst ist so eine Phase von einer Woche immer noch kein Grund zur Panik! Sie erleben es ja selbst, Ihre Tochter ist in einem sehr turbulenten Alter und macht rasante Entwicklungen durch. Das ist es normal, dass natürlich auf der gesamten Klaviatur versucht wird, zu spielen. Essen, Anziehen, ins Bett gehen, Zähne putzen etc. sind beliebte Felder für Konflikte. Es ist also zum Teil eben auch normal, dass diese Dinge nicht immer störungsfrei verlaufen. In der Entwicklungspsychologie redet man daher auch von Entwicklungskrisen, die bewältigt werden müssen. Wichtig ist, Machtkämpfe um das Thema Schlaf zu vermeiden - was eben beim trotzenden Kind ganz und gar nicht leicht is, denn es bedeutet dann eben auch, es aushalten zu können, dass ein Kind eben frustriert, fordernd oder wütend ist ohne selbst in die Wutfalle zu tappen. Ich finde daher Ihren Ansatz, ins Zimmer zu gehen, aber Ihre Tochter nicht mehr zu tragen, alters- und entwicklungsangemessen. Sie sehen es ja selbst, Ihre Tochter ist kein bedürftiger, hilfloser Säugling sondern ein ziemlich cleveres Kleinkind mit einer Menge Energie. Wenn Sie also ausschließen, dass Ihre Tochter Sie ruft, weil Sie Alpträume (oder Angst davor) hat, ist es ok, wenn Sie hier so konsequent sind. Ich würde aber weniger Fokus auf das Nicht-Klappen legen, sondern mehr auf das, was gut klappt. Sprechen Sie mit Ihrer Tochter, dass Sie ein Weilchen bei Ihr bleiben bis die Zeit zu Ende ist. Sie können dabei auch gern eine Sanduhr oder Wecker benutzen und solange mit Ihr kuscheln, Sie auf den Arm nehmen etc. Dann bieten Sie an, die Tür ein wenig offen zu lassen, dass Ihre Kleine Sie rufen kann, wenn was ist. Versichern Sie ihr, dass Sie aber eh gleich noch mal gucken kommen. Gehen Sie dann nach ca. 3 Minuten wirklich noch mal rein und zwar egal ob Ihre Tochter schreit oder nicht. Wenn sie schläft, ist eh alles bestens, wenn sie wach ist und nicht schreit, wird sie lernen, dass sie nicht schreien muss, damit sie sich kümmern. Als kleine Krücke könnten Sie Ihrer Tochter wieder eine Sanduhr da lassen, so dass sie gucken kann, wann Sie gucken kommen. Kitzeln Sie dann spielerisch an Ihrem Ehrgeiz und versuchen Sie sie dazu zu animieren, möglichst lange Zeiten allein auszuhalten und vergrößern Sie dann die Abstände. Sie können dann eine für jeden gelungene Nacht mit etwas belohnen. Es geht aus, dass Sie Sternchen aufkleben und sie sich für eine bestimmte Zahl was aussuchen kann. Dafür ist sie wahrscheinlich aber noch ein wenig jung und verfügt noch nicht über ausreichende Fähigkeiten zum Belohnungsaufschub. Eine Belohnung die zeitlich näher dran ist und ganz konkret greifbar vorliegt, ist da vermutlich besser. So macht Lerntheorie auch aussehen und ist nicht minder konsequent. Nächte, die nicht gut klappen, sollten gar nicht weiter kommentiert werden. Gehen Sie dann einfach nach der Zeit wieder rein, sagen Ihren Satz und gut. Bitte nicht schimpfen oder zu viel reden etwa "wir hatten doch gesagt, dass du versuchen willst" einfach möglichst neutral bleiben. Verbale Ermutigungen sind jedoch gut und sinnvoll ("Du schaffst das!", Jetzt kannst du stolz auf dich sein!"). ) Natürlich wäre es dabei schön, wenn Sie nicht mürbe werden und dann nach dem x-ten Mal dann doch singen. Es ist aber auch kein Drama, wenn es mal passiert. Viel Glück dabei und natürlich auch gute Nerven! Herzlichst, Ihre Meike Bentz

von Dr. Meike Bentz am 12.05.2016