Hallo,
ich wende mich mit vielen Beobachtungen und Fragen an Sie, da mir das Thema Bindung mit meinem Sohn (18. Monate) sehr viele Sorgen macht und ich manchmal ziemlich verzweifelt bin. Ich hoffe, Sie könne mir helfen:
- Mein Sohn (18. Monate) wird immer noch gestillt, wenn er weint, wie er immer sofort auf den Arm genommen. Hat als Baby wenig geweint. Dadurch war ich, wenn er mal geweint hatte, überfordert (hatte ihn immer auf dem Arm, aber war hektisch und hab alles getan, damit er aufhört). Habe immer alles versucht und manchmal vielleicht auch überbemuttert. Hab ihn immer auf Gefahren hingewiesen. Hab mal gelesen dass dies zu einer unsicheren Bindung führt, da dadurch der erforschungsdrang gestoppt wird. Stimmt das?
- er Weiss manchmal nicht was er will, will zu mir, dann doch nicht. Dann fängt er an zu weinen. Er kann sich zur Zeit oft einfach noch entscheiden. Das macht mich manchmal so wütend, dass ich sehr genervt bin und mich auch so gegenüber meinem Sohn verhalte. Ist das widersprüchliche Verhalten meines Sohnes ein Zeichen für eine unsichere Ambiente Bindung? Er merkt ja das ich genervt bin von ihm, was hat das für Auswirkungen?
- wenn wir zu Hause sind ruft er ständig nach mir, auch wenn Papa mit ihm spielt. Er will immer das ich ihn hochnehme. Manchmal kann ich gar nicht immer gleich reagieren (beim kochen, Autofahren,
Im Kinderwagen, etc.) machmal hab ich auch keine Kraft immer zu reagieren (nachts, spät abends). Ist das ein widersprüchlich für mein Sohn (mal reagiert Mama mal nicht)?
- wenn wir irgendwo anderes sind, braucht mein Sohn immer 30 min. Bis er warm wird. Erst dann geht er auf Entdeckungstour. Es muss aber immer jemand vertrautes (Oma, Opa oder Papa Mama) dabei sein. Ruft dann nicht nach Mama. Warum zu Hause und anderswo nicht?
- Mein Sohn ist fremden gegenüber sehr ängstlich, schüchtern und sehr zurückhalten. Selbst auf meinem
Arm hat er Angst und möchte aus der Situation raus. Was nicht immer möglich ist. Sollte ich ihm nicht die Sicherheit geben? Vertrauen tut er nur nach langer Eingewöhnung und nicht allen Leuten. Auf meinem
Arm zeigt er stärker seine Ängste wie auf Papa oder oma's Arm. Warum das?
- alleine beschäftigen kann er sich mal 10 min. Wenn er gut drauf ist, aber nicht oft. Sonst will er immer bei uns sein und das machen was wir machen oder wir sollen mit ihm spielen.
- wenn ich andere Kinder sehe, sitzen ohne Theater in den Kindersitz und Kinderwagen, Eltern können in Ruhe essen. Ist bei uns alles nicht möglich. Was machen wir falsch?
- machmal erschreckt er sich, wenn ich ne ruckartige Bewegung mach oder ich was sage, wenn er vertieft ist. Hat er Angst vor mir?
- er wacht nachts auf um zu vergewissern, dass ich da bin. Hat er keine vertrauen in mir?
- bei Oma und Opa ist er wirklich gerne. Wenn ich mich verabschiede, ignoriert er mich total. Hat bei Abschied noch nie geweint. Wenn ich wiederkomme begrüßt er mich nicht. Er dreht nur auf. Das ist doch ein Zeichen, dass die Bindung und sicher ist oder? Er war bisher nur bei Oma und Opa alleine.
- Diese alle beschäftigen mich sehr. Ich möchte doch nur das beste für meinen Sohn. Eine sichere Bindung ist mir sehr wichtig. Aber das sind doch alles Zeichen einer unsicheren Bindung oder?
- da mir das alles sehr wichtig ist, habe ich oftmals das gefühl, nicht ich selbst zu sein. Das merkt mein Sohn doch auch?
- manchmal fühle mich mich richtig und sicher in meinem Tun, manchmal bin ich verunsichert und reagiere anders. Ist das der Grund das mein Sohn so ist?
- ich weiß man kann nicht perfekt sein, aber eine sichere Bindung ist einfache ehr sehr wichtig.
Über eine Antwort von Ihnen wäre ich sehr dankbar.
von
Juli4690
am 20.08.2015, 14:36
Antwort auf:
unsichere bindung, 18. Monte altes Kind
Liebe Juli4690,
meine Vorrednerin hat schon sehr viel zur eigentlichen Bindungstheorie und deren Auslegung geschrieben. Das kann ich alles nur als richtig unterstreichen und werde mich nicht noch einmal expliziet dazu äußern.
- Ihr Sohn hat noch genug Zeit, Dinge zu erforschen. Auch, wenn Sie ihm in den ersten 1,5 Jahren Vieles abgenommen haben, so hat er keinen Schaden davon getragen, sondern wird sich ganz normal entwickeln.
- Dass Ihr Sohn nicht weiß, was er will ist ein alterstypisches Verhalten. Er verinnerlicht, dass es verschiedene Möglichkeiten gibt. Damit umzugehen muss er erst noch lernen.
- Dass Sie nicht immer sofort reagieren ist völlig in Ordnung und Ihr Sohn wird gut damit umgehen lernen. Hat er sich verletzt, werden Sie sich auch mit nassen Händen um ihn kümmern. Geht es "nur" darum, einfach so auf den Arm genommen zu werden, kann er lernen zu warten, bis Sie sich die Hände abgetrocknet haben.
- Sie als Mutter sind seine engste Bezugsperson und zu Hause ist er meist allein mit Ihnen und da wünscht sich Ihr Sohn permanente Präsenz. Das ist in dem Alter völlig normal und wird in den nächsten Monaten nachlassen.
- Kinder zeigen meistens ein anderes Verhalten bei Ihren Müttern, als bei weiteren Bezugspersonen. Sie sind seine engste Vertraute, bei Ihnen darf er sich gänzlich öffnen, von Ihnen möchte er "bemuttert" werden, auch wenn es gar nicht so schlimm ist. Auch dies ist ein ganz normales Verhalten, das fast alle Kinder zeigen.
- Ihr Sohn kann sich 10 Minuten alleine beschäftigen. Das ist super. Das schaffen nicht alle Kinder in dem Alter.
- Er mag nicht in Ruhe im Kinderstuhl sitzen. Achten Sie darauf, dass er bei den Mahlzeiten auch wirklich Hunger hat und entsprechend im Kinderstuhl beschäftigt ist. Verzichten Sie evtl. auf Zwischenmahlzeiten und leben ihm gemeinsame Mahlzeiten vor.
- Ihr Sohn erschrickt sich bei ruckartigen Bewegungen? Das macht er sicherlich auch, wenn Sie nicht dabei sind. Es hat also nichts mit Angst vor Ihnen zu tun.
- Das nächtliche Aufwachen ist ganz normal. Wie schläft Ihr Sohn abends ein? Begleiten Sie ihn in den Schlaf und er geht davon aus, dass Sie die ganze Nacht neben seinem Bett sitzen oder schläft er alleine in seinem Zimmer ein?
Bitte machen Sie sich keine Sorgen darum, dass Ihr Sohn eine unsichere Bindung zu Ihnen haben könnte. Sie kümmern sich sehr gut um Ihren Sohn und Ihr Sohn ist ein toller Junge. Beobachten Sie nicht jeden seiner Schritte, ob diese wohl "normal" oder "unnormal" sind. Ihr Sohn ist wie er ist. Wichtig ist, dass Sie auf Ihr Bauchgefühl hören, ohne sich von gelesenen Dingen beunruhigen zu lassen. Stehen Sie zu Ihrem Sohn, so wie er ist und er wird eine gute Beziehung und Bindung zu Ihnen haben.
Viele Grüße Sylvia
von
Sylvia Ubbens
am 21.08.2015
Antwort auf:
unsichere bindung, 18. Monte altes Kind
Hallo,
dazu möchte ich auch gern etwas sagen, wenn ich darf, weil es mir Leid tut, wie Du Dich so unnötig belastest...
Die Bindungstheorie ist zwar nicht neu, aber zur Zeit wieder total angesagt. Fast alle Mütter (und seltsamerweise KEIN Vater) fragen sich: Ist mein Kind sicher gebunden? Zeigt es nicht Anzeichen für eine ambivalent-unsichere oder sonstwie gestörte Bindung...? Und schon fangen sie an, ihr Kind ängstlich zu beobachten - und finden dann fast immer auch etwas, um sein Verhalten als irgendwie bindungsgestört zu interpretieren.
Dein Sohn verhält sich aber völlig normal, finde ich. Er ist vermutlich Dein erstes Kind, deshalb bist Du noch unsicher und hast noch wenig Erfahrung zum alterstypischen Verhalten der Kleinen. Dass manche Kinder lange brauchen, um irgendwo aufzutauen, ist wirklich absolut normal. Dass ein Kind beim Abholen gegenüber der Mama keine Freude zeigt, ist auch normal. Die Bindungstheorie sagt nämlich auch: Das Kind kann immer nur an eine Sache gebunden sein: Es ist z. B. bei der Oma gerade an diese jeweilige Situation gebunden. Erscheint die Mama, muss das Kind sich aus der Bindung an die Oma erst lösen und sich wieder auf die Bindung zur Mama einstellen. Das kann eine Weile dauern - und in dieser Zeit wirkt das Kind manchmal desinteressiert oder auch überfordert (dreht auf).
Das eigentliche Problem ist glaube ich, dass Du eine perfekte Mutter sein möchtest. Du denkst vielleicht, dass eine gute Mutter stets geduldig ist, nur positive Gefühle zu ihrem Kind hat, niemals genervt oder ungerecht oder gar ablehnende Gefühle zum Kind hat. Dieser Mythos wird uns Müttern ja auch ständig vermittelt. Seltsamerweise sind Väter da viel gelassener. Ich kenne keinen Vater, der glaubt, er müsse perfekt sein und der denkt, dass auch der kleinste Fehler, den er macht, dem Kind nun für immer schaden wird. Es ist eine typische Frauensache.
Das liegt daran, dass uns Frauen immer noch vermittelt wird, dass wir für das Glück unserer Kind völlig allein zuständig, verantwortlich und entscheidend sind. Und dass jeder Fehler gravierende Folgen hat.
Die Wahrheit ist: Eine Mutter ist auch mal genervt (ein Vater auch). Eltern haben auch mal ablehnende Gefühle zum Kind. Jede Mutter ist mal überfordert, ungerecht, ungeduldig oder schimpft. Das geht allen Müttern so, auch denen, die davon nicht erzählen oder in der Öffentlichkeit wie eine perfekte Mutter wirken! Du musst also nicht alles richtig machen, und Du unterscheidest Dich von anderen, scheinbar so tollen Müttern viel weniger als Du vermutlich glaubst.
Steh' ein bisschen mehr dazu, dass Du nur ein Mensch bist. Jeder Mensch hat auch dunkle Seiten und unschöne Gefühle, auch zum Kind. Kinder locken sogar besonders leicht unsere schlechten Seiten hervor, gerade weil sie so extrem fordernd sind, das ist normal. Es reicht, wenn Du als Mutter nur die Hälfte richtig machst, damit Dein Sohn ohne Schaden durch eine gute Kindheit kommt!
(Die wirklich schlechten Väter und Mütter, die tatsächlich Schaden anrichten, interessieren sich übrigens nicht für die Bindungstheorie und haben auch nicht ständig Sorge, ob sie alles richtig machen!)
Du bist genau die Mutter, die Dein Sohn haben will. Er will keine engelsgleiche, vollkommene Mutter. Eine Mutter, die Schwächen hat und dazu steht, dass sie auch mal fertig oder genervt ist, vermittelt ihm die Einsicht: Auch ich muss nicht perfekt sein als Kind, auch ich darf unvollkommen sein.
Wenn Du sehr genervt bist, geh lieber mal kurz raus. Meistens kommt man ja inh. weniger Minuten wieder runter, das geht mir zumindest so. Ich bin aufbrausend, beruhige mich aber sehr schnell wieder. Wenn ich mal ungerecht oder laut zu meinen Kindern war, sage ich ihnen hinterher, dass das nicht in Ordnung von mir war. Ich glaube, das ist sehr wichtig. Danach hake ich es aber auch ab. Auch das ist wichtig, denn ein Kind kann keine von Schuldgefühlen zerfressene Mutter gebrauchen, sondern es möchte eine, die rasch wieder ihre Souveränität und Zuversicht findet.
Noch etwas zur Beruhigung: Die Bindungstheorie besagt auch, dass Bindung niemals etwas Statisches ist. Bindung verändert sich ständig. Und das heißt konkret: Selbst wenn ein elterliches Verhalten mal schädlich fürs Kind war, so kann gutes und richtiges Verhalten dies wieder ausgleichen. Das kindliche Gehirn ist plastisch und verändert sich ständig. Schlechte Erfahrungen werden durch gute "überspielt", Experten sprechen von einem "emotionalen Konto", das man auch wieder ausgleichen kann, wenn man es überzogen hat. Und Professor Remo H. Largo, der Autor, Kinderarzt und Entwicklungsforscher sagt: „In der Kind-Eltern-Beziehung stellt sich nie ein stabiler Zustand ein. Das kindliche Bindungsverhalten wandelt sich ständig."
LG
von
Mijou
am 21.08.2015, 12:13