Wie gehe ich mit einem sehr sensiblen und gleichzeitig sehr sturem Kind um?

 Ingrid Henkes Frage an Ingrid Henkes Analytische Kinder- und Jugendlichen­psycho­therapeutin

Frage: Wie gehe ich mit einem sehr sensiblen und gleichzeitig sehr sturem Kind um?

Liebe Frau Henkes, mein Sohn (5 Jahre) ist sehr sensibel, aber auch extrem dickköpfig. Wenn er seinen Willen nicht durchsetzen kann greift er mich verbal an, will wegziehen oder droht damit sich etwas anzutun. Wenn er damit seinen Willen auch nicht durchgesetzt bekommt und mir langsam der Geduldsfaden ausgeht und ich sage dass "jetzt Schluß ist mit dem Blödsinn" dann fängt er an zu weinen, zieht sich in eine Ecke zurück und schluchzt dass er "der Schlimmste wäre, dass er nie zuhört" usw.. Er verfällt dann in eine Art Selbstmitleid. Das tut mir weh ihn dann so zu sehen! Er wirkt da extrem verletzt und gekränkt. Er lässt sich oft erst nach einer Weile trösten. Ich mache mir Sorgen um ihn, ob sein Selbstwertgefühl eventuell vielleicht gestört ist? Wir sind nicht besonders streng, es liegt bestimmt nicht daran dass er zu wenig Freiheiten hat. Sein Vater hat sich in der ersten Lebensjahren viel um ihn gekümmert und dieser ärgert sich oft lautstark über alles mögliche. Dieses Geschimpfe ist mir oft auch zuviel. Hat meinem Kleinen das vielleicht geschadet? Wie kann ich meinem Sohn die Grenzen setzen ohne dass er sich dann total abgelehnt und eingeschränkt fühlt? Ich finde die Kombination" extrem stur und sehr sensibel" eine große Herausforderung. Vielen Dank und herzliche Grüße!

von Segelboot12 am 29.04.2021, 20:56



Antwort auf: Wie gehe ich mit einem sehr sensiblen und gleichzeitig sehr sturem Kind um?

Guten Tag, da haben Sie ganz recht: diese Kombination ist sehr herausfordernd. Aber diese Eigenschaften hängen zusammen. Sensibel sein heißt ja, sehr empfindsam und dadurch oft schnell zu verunsichern zu sein. Dieses unangenehme Gefühl wird dann häufig mit Sturheit beantwortet, da unflexibles Beharren eine (trügerische) Sicherheit zu bieten scheint. Ich denke nicht, dass das Selbstwertgefühl Ihres Sohnes gestört ist, sondern vermutlich ist es noch nicht so weit entwickelt, dass Ihr Sohn schon genügend Frustrationstoleranz aufgebaut hat, um mit widrigen Situationen anders als beschrieben umzugehen. Das kann auch mit fünf Jahren noch gar nicht so sein. Fünfjährige testen mitunter die gesetzten Grenzen sehr heftig auf ihre Beständigkeit. So sehr sie auch versuchen ihren Willen durchzusetzen, brauchen sie andererseits doch die Sicherheit, dass die übliche Ordnung der Verhältnisse bestehen bleibt. Die Erwachsenen bestimmen und die Kinder finden in der Anpassung daran die benötigte Sicherheit und Orientierung. Fünfjährige spüren sehr deutlich, dass es sehr schlimm wäre, wenn sie alles zu bestimmen hätten, weil sie noch viel zu unerfahren sind. Sie müssen also gegen die Eltern anstürmen dürfen. Dabei müssen sie aber auch sicher sein, dass die Eltern das gut überstehen, weil sie ja die Verantwortung behalten müssen. Der Rückzug und die Selbstbeschuldigungen Ihres Sohnes könnten ein Hinweis darauf sein, dass er sich diesbezüglich noch nicht sicher ist und Angst hat, Sie zu sehr "beschädigt" zu haben. Dann könnte es ein Reparationsversuch sein sich selber schlecht zu machen, damit Sie wieder "gut" sind. Sie schreiben nicht, was Sie Ihrem Sohn antworten, wenn er ausziehen will oder sich etwas antun. Aber vielleicht benötigt er hier Antworten, die ihm zeigen, dass seine Absichten für ihn schlecht wären, Sie das aber überstehen würden. Ein "das wäre aber schade für Dich, wenn Du nicht mehr bei uns wohnen würdest" signalisiert Ihrem Sohn, dass Sie diese Attacke schon überstehen würden, während ein "ohne dich wäre ich aber ganz traurig" für ihn bedeuten könnte, dass er Sie zu sehr angriffen hat. Möglicherweise fühlt Ihr Sohn sich auch nicht ernst genug genommen, wenn Sie seine Versuche der Selbstbehauptung als Blödsinn bezeichnen. Denn für ihn geht es ja in seinen Willensbekundungen um etwas Wichitges. Das lässt sich aus der Ferne nicht einschätzen. Vielleicht finden Sie im Text über liebevolle Klarheit meines Kollegen auf unserer Seite noch Anregungen. Ich wünsche Ihnen alles Gute. Ingrid Henkes

von Ingrid Henkes am 30.04.2021