Hallo Frau Henkes.
Ich habe folgendes Problem. Meine Tochter ist jetzt fast 5 Wochen alt und will selten alleine liegen bleiben. Meistens geht es nur ein paar Minuten gut, dann schreit sie und will auf den Arm. Es fehlt ihr nichts, weil sie sofort wieder einschläft. Auf dem Arm schläft sie lange und tief. Nachts geht's meistens besser. Da bleibt sie auch mal 3 Stunden in ihrem Bett. Mein Kinderarzt meinte, sie soll lernen, dass auch nur meine Anwesenheit (streicheln, reden) ausreichend ist, natürlich nur, wenn sie keinen Hunger und keine volle Windel hat. Weil sie später sonst vielleicht immer schreit und das kann ich ihr nur schwer abgewöhnen. Das versuche ich seit einer Woche ab und zu mal, klappt aber gar nicht. Meine Hebamme dagegen ist der Meinung, dass man ein Kind im ersten Jahr nicht überverwöhnen kann. Ich soll sie nehmen, wenn sie schreit. Aber das bedeutet, dass ich fast den ganzen Tag das Kind mit mir rumtrage oder sie schreit halt einige Minuten, wenn ich was zu erledigen habe. Was ist denn jetzt besser? Ich will meinem Kind ja nicht so früh schon vermitteln, dass ich ihre Bedürfnisse nicht ernst nehme oder sie meint, sie wird allein gelassen. Ich hoffe, sie können mir diesbezüglich helfen. Ich will einfach für die Zukunft den richtigen Weg gehen.
Vielen Dank.
Viele Grüße
von
Rosarot6835
am 13.01.2022, 11:12
Antwort auf:
Schreien lassen?
Guten Tag,
es ist schon erstaunlich, dass es solche Kinderarztmeinungen immer noch gibt. Ich tendiere da eher zur Meinung Ihrer Hebamme. Es geht überhaupt noch nicht um Verwöhnen sondern ausschließlich um elementare Grundbedürfnisse eines Babys. Ihre Tochter war bis zur Geburt noch nie alleine. Jetzt ist sie gerade auf der Welt und muss alles erst kennenlernen. Da soll sie ohne die schützende und beruhigende Nähe der Mutter auskommen können? Es geht auch nicht darum, dass Ihre Tochter später denken könnte, Sie hätten sie allein gelassen. Vielmehr ist es so, dass Neugeborene sich völlig verlassen fühlen, wenn sie alleine sind. Diesen Zustand müssen sie im Laufe der ersten Jahre erst lernen. Das wird Ihre Tochter auch. Kinder sind da auch unterschiedlich empfindsam. Einige können schon ganz gut im Bettchen im Zimmer, wo die Eltern sich aufhalten, schlafen. Ihre Tochter braucht derzeit aber eben noch mehr Nähe. Manchmal hilft ein Tragetuch, mit dem man das Kind in der ersten Zeit am Körper tragen kann, so dass man wenigstens die Hände frei hat, um dabei noch etwas tun zu können. Wenn Ihre Tochter im Laufe der nächsten Wochen und Monate spürt, dass ihre Bedürfnisse immer möglichst zufriedenstellend erfüllt werden, wird sie eine gute Bindung an Sie entwickeln und Urvertrauen gewinnen. Dann kann sie zunehmend besser warten, dass ihre Bedürfnisse erfüllt werden und kleine Abweichungen vom Gewohnten tolerieren. Diese Zeit ist für Mütter sehr anstrengend, weil sie sich dem Kind so intensiv zur Verfügung stellen. Aber es ist eine vorübergehende Phase. Der Vater kann hier auch bereits gut unterstützen, denn beruhigende körperliche Nähe kann auch er seiner Tochter bieten.
Ich wünsche Ihnen alles Gute.
Ingrid Henkes
von
Ingrid Henkes
am 13.01.2022
Antwort auf:
Schreien lassen?
Hallo,
vielleicht hilft Dir zur Einschätzung der Situation und der (furchtbaren und falschen) Aussage Deines Kinderarztes noch Folgendes:
Im Vergleich zu anderen Säugetieren kommen Menschenbabys ungefähr ein Jahr "zu früh" auf die Welt. Sie sind bei ihrer Geburt in der Entwicklung sozusagen hinterher. (Kann man gut nachvollziehen, wenn man sieht, wie flott Säugetierbabys nach ihrer Geburt auf den Beinen sind.)
Die frühe Geburt ist dem Umstand geschuldet, dass ansonsten der Kopf nicht mehr durchpassen würde.
Heißt für uns Eltern: Behandle das Baby im ersten Jahr, als wäre es noch in Dir. Daher kommt auch der gute Spruch Deiner Hebamme, dass man ein Kind im ersten Jahr gar nicht zu viel verwöhnen kann (übrigens auch einige Zeit später noch nicht). Das Gehirn ist noch gar nicht in der Lage, über so etwas nachzudenken oder gar andere Menschen zu manipulieren.
Also viel Körperkontakt, viel Tragen (am besten in einer Trage), wenig Kinderwagen. So selten wie möglich alleine lassen, nie schreien lassen. Immer Einschlafbegleitung. Schreien ist nun mal ihr einziges Mittel, um auf sich aufmerksam zu machen. Wenn das häufiger ignoriert wird, lernen sie schon etwas, und zwar: Niemand kümmert sich um mich, meine Bedürfnisse sind egal, ich bin und bleibe schutzlos. Und dann resigniert es irgendwann und zieht sich in sich zurück. Es entsteht kein Urvertrauen.
Ich kann zum Thema "Was braucht ein Baby/Kind, wie behandle ich es gut?" sehr die Bücher von Nicola Schmidt empfehlen, z. B. "Elternkompass" oder "artgerecht - Das andere Babybuch". Und/oder das Buch von Dr. Rüdiger Posth "Vom Urvertrauen zum Selbstvertrauen". Da erfährt man, wie wichtig eine gute erste Zeit mit dem Baby ist, wie prägend es für sein Leben ist.
Viele Grüße!
von
Curcuma
am 18.01.2022, 13:39