Frage: Kind traumatisiert?

Sehr geehrte Frau Henkes, unser Sohn ist 16 Monate alt und hatte nun seit Weihnachten 3 ärztlich behandelte Infekte. Bei der letzten akuten Bronchitis mussten wir ins Krankenhaus, da es außerhalb der Sprechzeiten des KA war. Die Sauerstoffsättigung sowie der Flüssigkeitshaushalt waren nicht gut, weshalb unser Sohn stationär aufgenommen werden musste. Jeder Arztbesuch ist eine riesige Herausforderung, der Kleine macht grundsätzlich nichts, was er nicht will, er kämpft immer um jeden Preis und gibt nicht auf. So war bereits das Ermitteln der Sauerstoffsättigung nur zu dritt, mit Festhalten, möglich. Die Blutabnahme glich einem Massaker: zwei Schwestern für die Arme, meine Frau für die Beine, ich für Oberkörper und Kopf, während die Ärztin die Hand punktierte. Unser Sohn schrie fürchterlich und schaute mir mit einem Blick in die Augen, als wolle er sagen: ihr seid meine Eltern, wieso rettet ihr mich nicht? Allerdings war aufgrund der Ernsthaftigkeit der Situation die Untersuchung alternativlos. Abstrich aus Nase und Mund, Schauen in Ohren und Rachen sowie das mehrfache tägliche Inhalieren und untersuchen lassen sahen immer wieder ähnlich aus. Jetzt sind wir alle wieder Zuhaus und der Kleine fast wieder gesund. Allerdings rastet er häufiger aus. "Festhalten", zb beim Waschen oder Anziehen, klappt fast gar nicht mehr. Er reagiert sofort mit Panik. Das Gleiche Bild zeigt sich beim auf den Rücken legen oder auf den Schoß nehmen. Immer Panik, weinen und Wut. In den Kindersitz sitzen und anschnallen geht gar nicht mehr. Seit dem Klinikaufenthalt versuchen wir, ihn so wenig wie möglich zu stressen und Paniksituationen, so gut es geht, zu vermeiden. Wurde unser Sohn traumatisiert? Wurde sein Urvertrauen zerstört? Kommen wir da wieder auf einen guten Weg?

von Wilm am 25.03.2024, 06:31



Antwort auf: Kind traumatisiert?

Guten Tag, der Klinkaufenthalt mit allen dazugehörenden Prozeduren war sicher eine sehr belastende Situation für Ihren Sohn. Er konnte ja weder verstehen, was mit ihm passiert, noch Einsicht in die Notwendigkeit haben. Es ist ganz verständlich, das Ihr Sohn sich nun eine Zeitlang gegen Zwang wehrt. Sie können das akzeptieren, wo es möglich ist. Beim Anschnallen im Kindersitz kann er sich allerdings nicht durchsetzen. Trösten Sie ihn, wann immer er seinen Willen nicht bekommen kann. Mit dem Verblassen der Erinnerung an die schmerzhaften Situationen wird Ihr Sohn ein Festhalten wieder besser ertragen können. Für Sie alle ist es wichtig, dass Sie den Appell nach Rettung im Blick Ihres Sohnes so verstehen, dass alle getroffenen Maßnahmen seine Rettung waren. Das sollten Sie als Eltern souverän vertreten und Ihrem Sohn vermitteln, auch wenn er das noch nicht versteht. Sprechen Sie mit ihm darüber. "Ich weiß, im Krankenhaus war es ganz schlimm für dich, dass wir dich festgehalten haben. aber jetzt sind wir wieder zu Hause und du bist gesund. Schau, es ist nicht schlimm, wenn ich dich auf den Schoß nehme. Da können wir sogar kuscheln." Das Urvertrauen Ihres Sohnes wurde nicht zerstört, weil Sie die Situation gemeinsam mit ihm durchgestanden haben und er nicht alleine war. Sie werden wieder auf einen guten Weg kommen. Es handelt sich um eine einzelnes Ereignis, das sich im Körpergedächtnis nicht als negative Erfahrung speichern wird. Das gelingt in der Regel nur, wenn diese negative Erfahrung gehäuft auftritt. Lassen Sie sich allen Zeit, um mit der Erfahrung fertigzuwerden und sie wieder in den Hintergrund treten zu lassen. Für Sie als Eltern war es ja auch eine belastende Erfahrung, Ihren Sohn nicht vor Schmerzen bewahren zu können, sondern noch zu helfen, ihm welche zuzufügen. Ihnen steht jedoch die Einsicht zur Verfügung, das dies die einzig richtige Maßnahme war. Das sollte Sie vor Schuldgefühlen bewahren. Ich wünsche Ihnen alles Gute. Ingrid Henkes

von Ingrid Henkes am 25.03.2024