Frage: Frage zum Thema Regelkonzept

Sehr geehrter Dr. Posth, ich habe Ihr Buch und auch viele Ihrer Antworten hier mit großem Interesse gelesen und mir viele Gedanken dazu gemacht.Nun hätte ich noch einige Fragen zum Thema Regelkonzept:Ab welchem Alter ist es möglich, mit einem Kind Regeln zu vereinbaren,d.h. wann versteht es, dass es auch einen Vorteil davon hat und seine Wünsche Berücksichtigung finden?Wie kann ich meinem 15 Monate alten Sohn schon Regeln nahebringen, ohne dass es wie Grenzensetzen erscheint?Mir ist es wichtig ihn möglichst von Anfang an so zu erziehen -mit Regeln, aber keine Grenzen (außer er gefährdet sich), aber ohne ihn zu überfordern.Ich mache mir soviel Gedanken darüber, weil ich in meinem Umfeld sehe,dass viele Eltern ihre einmal begonnene Erziehungshaltung (mit Grenzen) schon verinnerlicht haben und dann auch nicht mehr revidieren oder ändern.Vielen Dank für Ihre immer sehr hilfreichen Antworten.Man bekommt dadurch einen wertvollen Einblick in das kindliche Denken+ Fühlen! Liebe Grüße Melli

Mitglied inaktiv - 11.08.2008, 01:29



Antwort auf: Frage zum Thema Regelkonzept

Stichwort: Regelkonzept und Grenzsetzung Liebe Melli, es ist eine schwierige Frage, ab wann Kinder Regeln verstehen können. Noch schwieriger wird es, wenn man die Wirkung der Regelakzeptanz auf das eigene Gefühlsleben und das Selbstverständnis anwenden möchte. Die Beantwortung dieser Frage ist aber entscheidend, wenn man sich klar machen muss, warum "Grenzen setzen" das schlechtere Erziehungsprinzip ist. Das Regelverständnis ist ein demokratisches Prinzip, weil es darauf basiert, dass das mutmaßliche Bedürfnis des Kindes Berücksichtigung findet und weil das Kindes beim Erstellen der Regel mitbeteiligt wird. Die Regel kann erst dann zur Wirkung gelangen, wenn sie bei Einhaltung Anerkennung erfährt und ihr bei Übertretung sinnvolle Konsequenzen folgen (von Ausnahmen abgesehen). Das ist wichtig, denn von diesen beiden Regelergänzungen hängt die Wirkungsweise auf die Emotionen und das Selbstverständnis des Kindes ab. Die befolgte Regel und das daraufhin erfolgte Lob (ohne Übertreibung) stärken das Selbstbewusstsein des Kindes und erzeugen die Motivation für weitere Regelakzeptanz. Die sinnvolle, aber unangenehme Konsequenz, vom Schimpfen angefangen über das klar ausgesprochene Verbot bis zur intensiven Aufforderung nach Wiedergutmachung (zunächst auf einfachstem Niveau) führt bei Identifikation mit der Bezugsperson zur Vermeidung der Übertretung in Zukunft. Nur funktioniert das erst ab etwa dem 2.-3. Lebensjahr, je nach inhaltlichem Zusammenhang. Also nur ganz klare und einfach Zusammenhänge werden von den 2-jährigen schon verstanden. Die unter 2-jährigen verstehen einstweilen nur einfache Aufforderungen oder ein klares "Nein" (s. gezielter Suchlauf) als vielleicht erste Regel. Der innere Stolz auf sich selbst beim Einhalten der Regel entwickelt sich erst im 4. - 5. Lebensjahr, von undifferenzierteren Vorläufergefühlen abgesehen. Aber der ist es letztendlich, welcher das Befolgen der Regel und damit das Gehorchen überhaupt sicher stellt. Das Gehorchen bei der Grenzsetzung erfolgt aus Angst vor der -strafenden- Konsequenz, welche das Selbstgefühl nicht verbessert, sondern verschlechtert ("ich habe so versagt, dass ich bestraft werden muss"). Wird hier die Grenze in Zukunft akzeptiert, dann nur, weil sich das Kind der größeren Macht unterwirft. Die Grenze ist "hoheitlich" gesichert. Die Regel hingegen wird akzeptiert, weil es sich nicht schickt, gegen das zusammen aufgestellte Gebot zu verstoßen. Das ist einsichtsvoll und wertet das Selbst durch das Befolgen der Regel auf. Viele Grüße

von Dr. med. Rüdiger Posth am 11.08.2008