Überlastung

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Geschrieben von Shaddi am 02.04.2020, 7:46 Uhr

Mutter hinterlässt 1 Sohn..

Da vergleichst du eine Akutsituation mit einem Prozess, der Jahre andauern kann, vielleicht auch fast das ganze Leben. Ich will nicht deine Todgeburt kleinreden, das muss unfassbar furchtbar sein. Aber es ist nicht das gleiche wie ein Zustand, der schon jahrelang besteht und nur schlimmer wird. So etwas muss aufwendig aufgearbeitet werden, das ist keine Trauerbewältigung, sondern ein Verstehen davon, wie das eigene Leben teilweise mit eigenem Zutun so verdammt aus dem Ruder laufen konnte.
Wenn sie nicht in Therapie war, wusste sie vielleicht nicht sicher, woher ihre Depressionen kamen? Und selbst wenn, nur weil man den Grund kennt, ist es nicht automatisch leichter.
Depressionen bieten ein Comfortzone. Der Betroffene kennt seinen armseligen Zustand. Er fühlt sich damit nicht unbedingt wohl, aber es ist es gewohnt. Er weiß, was passieren wird, das gibt ihm Sicherheit.
Der Weg zum Psychologen ist neu, gruselig, unvorhersehbar. Außerdem nicht gesellschaftlich anerkannt. Du musst damit rechnen, dass Freundschaften plötzlich enden, wenn du erwähnst, dass du psychologische Probleme hast. Auch dann, wenn du nicht in Therapie bist, war bei dir ja auch so. Ich verstehe, dass nicht jeder Bock auf ne kranke Bekanntschaft hat, die nur jammert und sich nicht helfen lassen will. Ich will dir garantiert nicht sagen, dass du Kontakt hättest halten müssen. So ein Verhältnis tut dir ja auch nicht gut. Ich hoffe aber immer noch, dass ich dir irgendwie verständlich machen kann, warum man als depressiver nicht eines Morgens aufwacht, erkennt, dass man mit seinem eigenen Leben überfordert ist, und beim nächsten Therapeuten anruft. Stell dir das Mal vor, alle anderen kommen damit doch auch klar, warum du nicht? Warum kannst du keine gute mutter sein, du willst das doch! Oder nicht? Gib es doch einfach zu, manchmal hättest du lieber gar kein Kind. Ja, du verdammter Unmensch, wie kannst du so etwas nur denken. Wärst du eine gute mutter, hättest du gestern gebügelt, deinem Kind bei den Hausaufgaben geholfen. Stattdessen sitzt du nur rum. Nicht mal geduscht hast du, du Schwein. Schäm dich, du bist unnütz, die einfachsten Dinge bekommst du nicht hin. Schau raus, jeder andere kann es, du nicht. Du bist unfähig, nicht liebenswert und anstrengend. Deswegen wenden sich auch alle von dir ab.
Such dir Hilfe, aber wer hilft dir schon. Du bist ein hoffnungsloser Fall, eine Enttäuschung, Verbrauchst nur Luft und Geld, das dir nicht zusteht. Und das geld spritzt du dir auch noch, für fünf Minuten unechtes Glück, das weißt du, aber echtes verdienst du gar nicht und das leere Gefühl, die Scham und Angst, wenn der Rausch nachlässt, das ist nur eine gerechte Strafe.
Fühl dich schlecht, das solltest du für alles was du getan hast, du verdienst es. Warum solltest du glücklich sein, du leistest nichts, was Glück rechtfertigen würde. Suhl dich in Selbstmitleid, niemand sonst hat Mitleid mit dir, niemand denkt überhaupt an dich, sie würden es nicht mal merken, wenn du tot bist. Ich sag dir, du würdest hier wochenlang baumeln, ehe jemand nachsieht. Und dann wären sie froh, endlich ist sie weg, sie hat eh nur genervt und war schlecht für ihr Kind, warum hat sies nicht einfach früher gemacht. So peinlich, sie alle fühlen sich schlecht deinetwegen, warum bist du nur so, wie kann ein einzelner Mensch so schlecht sein, wie du?
Stell dir das auf repeat vor, beim Aufstehen, in jeder ruhigen Minute, unvermittelt in Situationen, die eigentlich schön sind, abends vor dem Einschlafen, es hält dich wach und nachts schreckst du mit diesen Gedanken hoch. Jeder Fehler, den du machst, verstärkt es. Die Milch ist abgelaufen, das Salzfass leer, du hast vergessen, neues Wasser aus dem Keller zu holen, der Beutel vom Staubsauger ist voll und du zerreißt ihn und verteilst den Mist auf dem Boden. Alles, ausnahmslos alles ist deine Schuld und ein eindeutiges Zeichen für deine unfassbare Unfähigkeit, mit deinem eigenen Leben klarzukommen.
Und in diesem Zustand gehst du dann zum Psychologen, überzeugt davon, dass er dich auslachen wird, weil du so ein armseligen Würstchen bist. Er nimmt dir dein Kind weg, ja, das wird er tun, dann hast du niemanden mehr. Aber erstmal ziehst du dich vor ihm aus, komplett, kehrst dein Innerstes nach außen und lässt es ihn begaffen. Du dachtest, du wärst schon lange am Boden angekommen, oooh nein, der Abgrund unter dir ist noch tief genug und es gibt nur ein Seil, an dem du dich festhalten kannst. Hier, ich zeig dir nen festen Knoten...

Depression ist eine Abwärtsspirale, ein festgekettet sein, während das haus um dich abfackelt, ein Ertrinken in einem schwarzen Ozean, bei dem dich jeder Schwimmzug weiter runterzieht und du nicht atmen kannst, aber auch nicht einfach stirbst. Du leidest jede Sekunde, jahrelang, sodass du das irgendwann für den Normalzustand hältst.
Wenn du dich jetzt fragst, warum man sich denn zum Teufel keine Hilfe sucht, wenn es doch so schrecklich ist, dann lies bitte meinen Text noch mal und versuch für einen Moment keine erwachsene Frau mit Kind in deiner toten Bekannten zu sehen, sondern die kranke, zerbrochene Seele, die sie offensichtlich war.

 
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