Muss sie erst lernen wenn sie aufwacht allein wieder einzuschlafen?

 Biggi Welter Frage an Biggi Welter Stillberaterin der La Leche Liga Deutschland e.V.

Frage: Muss sie erst lernen wenn sie aufwacht allein wieder einzuschlafen?

Liebe Biggi, unsere Tochter Melina ist jetzt 8 1/2 Monate alt. Seid einigen Wochen wacht sie Nachts sehr oft auf und ist unruhig. Wenn sie anfängt zu weinen, versuche ich sie zuerst in ihrem Bett zu beruhigen, aber sie hört nicht auf zu schreien und es wird noch schlimmer. Auf meinem Arm schläft sie meistens sofort wieder ein oder wenn ich sie stille. Hunger kann sie doch eigentlich nicht haben oder was meinen Sie? Über den Tag bekommt sie schon Mittagsgläschen und Obst und wird nach Bedarf gestillt. Oder könnte sie doch noch hunger haben? Wenn ich sie gestillt habe, lege ich Melina in ihr Bett und dann schläft sie ruhig weiter. Kann es sein, dass sie erst noch lernen muss, wenn sie aufwacht, wieder von alleine einzuschlafen? Hat sie sich schon daran gewöhnt, erst nach dem Stillen wieder zu schlafen? Vielen Dank. Liebe Grüße Steffi

von Dönertier am 11.10.2011, 20:52



Antwort auf: Muss sie erst lernen wenn sie aufwacht allein wieder einzuschlafen?

Liebe Steffi, abgesehen von den umstrittenen Schlaftrainingsprogrammen, die von Stillexperten nahezu einhellig abgelehnt werden, bleibt in dieser Zeit nicht viel, als geduldig zu bleiben und sich die Tage und Nächte so einfach wie möglich zu gestalten. Der immer wieder verbreitete Gedanke, dass ein Baby ab sechs Monaten (oder einer anderen Altersgrenze) nachts nicht mehr aufwachen darf und nachts keine Nahrung mehr braucht entspringt in keinster Weise dem natürlichen Verhalten und den Bedürfnissen eines Babys oder Kleinkindes, sondern er entstammt dem (verständlichen) Wunsch der Erwachsenen, die gerne ihre Nachtruhe hätten. Eine Studie von Jelliffe und Jelliffe ergab, dass Babys im Alter von 10 Monaten mindestens 25 % ihrer Muttermilchaufnahme nachts zu sich nehmen. Das spricht eindeutig dafür, dass Babys auch nach den ersten sechs Monaten nachts noch hungrig sind. Es gibt Kinder, die nachts keine Nahrung mehr brauchen, aber es gibt eben auch sehr viele Kinder, die mit einem halben Jahr noch nicht so weit sind. So wie manche Kinder bereits mit elf Monaten laufen und andere damit erst mit 16 Monaten beginnen, so entwickeln sich auch alle anderen Dinge bei jedem Kind individuell verschieden und diese Entwicklung lässt sich begleiten, aber nicht beschleunigen. Es gibt kein Patentrezept, um ein Kind zu längeren Schlafphasen zu bringen. Hätte ich eines, das das Kind achtet, würde ich ein Buch darüber schreiben und damit einen Bestseller landen, an dem sich gut verdienen ließe. Wenn wir uns die Geschichte der Menschheit anschauen, dann wissen wir, dass es sich ein Urmensch und auch heute noch Menschen, die nicht so komfortabel wie wir in einem fest gemauerten Haus in "zivilisierter" Umgebung wohnen, nie leisten konnten und könnten, ihr Kind einfach "wach" irgendwo hinzulegen, damit es alleine schläft. Das Risiko, dann innerhalb von kürzester Zeit den Verlust eines Kindes betrauern zu müssen ist da viel zu groß. Der Punkt ist der, dass Babys und Kleinkinder ganz gleich was alle diesen Bücher und Hochglanzbroschüren sagen nicht dazu gedacht sind, alleine (ein)zuschlafen. Für ein Baby ist es absolut normal, dass es in den Armen und an der Brust der Mutter einschläft. "Emanzipierte" Babys sind in der Evolution noch nicht vorgesehen und da unsere Kinder mit der gleichen genetischen Ausstattung auf die Welt kommen, wie in grauer Vorzeit, funktioniert nicht alles sofort so, wie es in unsere moderne Welt passen würde. Seit Jahrtausenden und in unzähligen Kulturen ist das Stillen und gemeinsame Schlafen eine bewährte Methode Kinder glücklich, gesund und zufrieden aufwachsen zu lassen. Das Saugen wirkt beruhigend und nicht umsonst wurden im Laufe der Zeit die verschiedensten Brustattrappen (z.B. Schnuller s.o.) erfunden. Von der Natur ist es nicht vorgesehen, dass ein Baby oder Kleinkind allein ist und alleine einschläft. Nur passt dieses "natürliche" Verhalten des Babys nicht in unsere derzeitige Zeitströmung und damit haben wir ein (von uns selbst produziertes) Problem: Babys wissen nicht, was zur Zeit "Mode" ist und benehmen sich so, wie sie es seit Anbeginn der Menschheit getan haben. Alleine sein bedeutet für ein Baby oder Kleinkind aus seiner Sicht Lebensgefahr. Sie wissen nicht, dass es heute und in unserer Gesellschaft unwahrscheinlich ist, dass sie von einem wilden Tier gefressen werden, wenn sie alleine sind. Wir können einfach nicht erwarten, dass unsere Babys "begreifen" dass ihnen doch alleine nichts passieren kann und wir können sie auch nicht dazu bringen, dass sie in diesem jungen Alter ein Gefühl dafür entwickeln, dass es doch "nur fünf Minuten" oder welche Zeitspanne auch immer ist, die sie warten müssen bis wieder jemand kommt. Es gibt keinen Grund, dass Sie etwas daran ändern müssen, dass Sie Ihr Baby bei sich im Bett haben und nach Bedarf stillen und auch in den Schlaf stillen, es sei denn SIE persönlich stört etwas daran. Auch die immer wieder geäußerten Argumente, das Baby würde auf diese Weise verwöhnt oder es würde so nie lernen alleine einzuschlafen bzw. nie wieder aus dem Elternbett ausziehen, sind nicht stichhaltig. Babys in diesem Alter können noch nicht verwöhnt werden und Kinder, die sich den Platz im Elternbett nicht erkämpfen oder ertrotzen mussten, ziehen von selbst aus dem Elternbett aus, sobald sie reif genug dafür sind. Im Gegensatz dazu wollen viele Kinder, die als Babys alleine schlafen mussten noch lange ins Elternbett, weil ihr Bedürfnis (noch) nicht gestillt wurde. Sobald ein Baby die nötige eife hat, lernt es alleine (ein)zuschlafen und wird auch längere Schlafphasen haben. Ich möchte Ihnen zu diesem Thema das Buch "Schlafen und Wachen ein Elternbuch für Kindernächte" von Dr. William Sears empfehlen. Dr. Sears (Professor für Kinderheilkunde) hat zusammen mit seiner Frau Martha einige Bücher zum Thema Schlaf und Kindererziehung geschrieben, in die nicht nur sein Wissen als Kinderarzt sondern auch die reichhaltige eigene Erfahrung als achtfache Eltern eingeflossen sind. In "Schlafen und Wachen" beschreibt er nicht nur, warum Kinder so schlafen, wie sie es nun einmal tun und wo sie am besten schlafen, er gibt auch Tipps wie Eltern und Kinder zu ruhigeren Nächten kommen können. Das Buch ist im Buchhandel, bei der La Leche Liga und bei jeder LLL Stillberaterin erhältlich. LLLiebe Grüße, Biggi

von Biggi Welter am 11.10.2011



Antwort auf: Muss sie erst lernen wenn sie aufwacht allein wieder einzuschlafen?

Liebe Biggi, vielen Dank für Deine Antwort. Ich muss euch wirklich mal ein großes Lob aussprechen. Wenn man eure Berichte liest, kann man wirklich alles sehr gut nachvollziehen. Und es ist auch sehr beruhigend, dass ihr auch so denkt wie ich;-). Höre von unseren Verwandten immer nur, dass wir unser Kind verwöhnen, wenn ich Melina mit in unser Bett nehme und sie stille und so. Das sehe ich aber überhaupt nicht so. Ich kümmer mich nur um unser Kind und gebe ihr aufmerksamkeit und zuwendung. Werde mich jetze bei Fragen bezüglich stillen immer an euch wenden und erst gar nicht unsere Verwandten danach fragen oder ihnen etwas davon erzählen. Danke! Ihr seid spitze!! Liebe Grüße steffi

von Dönertier am 12.10.2011, 18:46