Langsames Ende der Stillbeziehung in Zeitlupe

 Biggi Welter Frage an Biggi Welter Stillberaterin der La Leche Liga Deutschland e.V.

Frage: Langsames Ende der Stillbeziehung in Zeitlupe

Liebe Biggi, liebe Kristina, uns gibt es immer noch. :-) Nachdem morgendliches Stillen geklappt hat und akzeptiert ist, haben wir heute ein Gespräch gehabt, in dem ich wieder mal beeindruckt war, wie sachlich und verantwortungsbewusst meine Tochter damit umgeht. Der neue Plan ist jetzt: Ab März nur noch zweimal die Woche stillen, Mittwoch und Samstag (Vorschlag meines Kindes, ich hatte selbst alle zwei Tage vorgeschlagen), das Ganze zwei Monate lang, dann nur noch einmal die Woche mittwochs zwei Monate lang, dann nur noch einmal im Monat, und dann soll es gut sein. Sie ist damit ganz cool. Sicher in manchen Situationen nicht, aber da bleiben wir wie vorher bei der Verabredung. Ich werde berichten, ob das klappt. Für alle, die unseren Weg wohlmeinend verfolgt haben (die Ungläubigen unter Euch dürfen sich gern mit entsprechenden Bemerkungen zurückhalten), sei noch mal gesagt, dass unser Kind 7 Jahre alt ist, sehr lange sehr viel gestillt hat (bis 2 mit 1/2-3-Stündigen Abständen außer nachts, von 2-4 mit 2-4-stündigen Abständen außer nachts, mit 4-6 so dreimal täglich, mit 7 nur noch morgens). Sie wurde mit 18 Monaten ohne Probleme nachts abgestillt (außer Krankheiten). Durch ihre Stoffwechselstörung hatte die Muttermilch sehr lange wirklich noch eine entscheidende gesundheitliche Komponente, die nun, mit viel besseren Werten durch Substitution bestimmter Nährstoffe langsam nicht mehr notwendig ist. Ich bin gerade mal wieder sehr beeindruckt von den Wendungen, die unsere Stillbeziehung mal wieder genommen hat, gemeinsam bestimmt, wenn auch etwas forciert von meinem Wunsch, dass wir uns nun doch mal vom Stillen verabschieden. Ich finde die kleine Maus so cool, wie sie das händelt, wenn ich sie mitbestimmen lasse. Nochmals und immer wieder vielen Dank an Euch für Eure langjährige herzenswarme Begleitung hier im Forum! LG Sileick

von Schniesenase am 20.02.2019, 16:13



Antwort auf: Langsames Ende der Stillbeziehung in Zeitlupe

Liebe Sileick, ich bin echt gerührt über Deine Zeilen und auch über Deinen Mut! Das hier so öffentlich zu schreiben ist beeindruckend und ich dürfte gerne mehr von Euch wissen. Wie geht Dein Kind damit um? Wer weiß, dass Ihr noch stillt? Was sagen Mann und Verwandte?
Wie geht es DIR damit? Du solltest echt einen Artikel schreiben und ihn veröffentlichen! Und denkst Du noch daran, die Ausbildung zur Stillberaterin zu machen???? Ich schicke Die ganz liebe Grüße Biggi

von Biggi Welter am 20.02.2019



Antwort auf: Langsames Ende der Stillbeziehung in Zeitlupe

Liebe Biggi, vielen Dank für Deine Komplimente! Alle Frauen, die länger als hierzulande üblich stillen, sehen sich Problemen mit ihrer Umwelt ausgesetzt. Alle müssen ihre ganz persönlichen Wege damit finden. Unser Weg war auch sehr be-weg-t. Anders Denkende werden sanktioniert. Das ist eine alte und aktuelle Wahrheit. Man sieht es an den Fragen: "Ist das normal...?" "...wenn das Kind so oft stillt/so lange stillt/überall stillt/so gar nicht aufhört zu stillen?" Normal ist, was die "Norm" ist. Die "Norm" ist in vielen Lebensbereichen eine Art Vorschrift. Hier aber geht es ja um zweierlei Fragen: normal im Sinne von "gesund" (auch psychisch gesund) und normal im Sinne von "akzeptabel" (also gesellschaftlich). Wer diese Fragen beantwortet, versteht unser Dilemma: Es ist normal im Sinne von gesund, aber nicht normal im Sinne von gesellschaftlich akzeptabel. Diese Diskrepanz wirkt als Zweifel im eigenen Kopf und als Druck von außen auf uns ein und belastet uns dann auch. Gut, wenn man Menschen hat, mit denen man diese Erfahrung teilen kann! Es ist "normal", dass wir Unmengen an Plastik herstellen, einmal verwenden und dann wegwerfen, dass Meere und Wüsten zu Plastikmüllhalden werden. Die Tatsache, dass es so ist und wir das wissen, führt bei den meisten Menschen nicht dazu, dass sie es ändern. Es ist normal, dass wir Waffen bauen, die die ganze Welt in Schutt und Asche legen. Es ist normal, dass wir mit dem Auto fahren, obwohl es Busse, Bahnen und Fahrräder gibt. Vieles ist normal, das nicht erstrebenswert oder schädlich ist. Wie armselig ist es doch da, sich nun groß über ein stillendes Mutter-Kind-Paar aufzuregen, das eben länger stillt, als das "normal" ist. Im Gegensatz zu vielen anderen Verhaltensweisen schadet das niemandem, sondern ist eigentlich sogar noch nützlich: Verringerung des Brustkrebsrisikos bei der Mutter, Unterstützung des Immunsystems bei Krankheiten, Ergänzung der Vitalstoffe beim Kind, regelmäßige Tiefenentspannung (ohne Kursus). Unsere Gesellschaft hat so lange Jahrhunderte Zweifel an starker Weiblichkeit eingeimpft bekommen, dass Zweifel an selbstbestimmter Geburt, selbstbestimmtem Stillen, selbstbestimmter Kinderbegleitung (-erziehung) SEHR LAUT sind. Es lohnt sich, darüber länger nachzudenken, woher eigentlich dieses Misstrauen gegen diese einmaligen, ursprünglichen und mächtigen Kräfte der Frauen kommt. Wie geht es MIR damit? Ich finde es immer noch schön, sonst hätte ich damit aufgehört. Es ist gemütlich und in Krankheitszeiten noch immer sehr hilfreich. Wir genießen die stillenden Aufwachminuten morgens beide sehr. Meine Tochter liebt es. Ihre Worte: "Dabei kann ich ganz runterfahren, muss an nichts mehr denken und kann meinen Kopf frei machen. Es ist EINFACH SO SCHÖN!" Sie ist extrem sensibel und macht sich über alles mögliche Gedanken, vor allem die Menschen, mit denen sie zu tun hat, und ihre Gefühle. Wenn es allein nach ihr ginge, würde sie nicht weniger stillen. Aber sie geht aktiv den Weg dahin, es nicht mehr zu "müssen", weil ich es will und weil sie die soziale Notwendigkeit sieht. Sie sieht auch selbst, dass sie sozial Probleme bekommen würde, wüsste es jemand, der mit der Schule zu tun hat. Darum behalten wir es weitgehend für uns, zumindest was unsere hiesige Umgebung anbetrifft. Wir reden nicht mehr drüber. Ausnahme sind Freunde, deren ältere Tocher, 6 Jahre, auch noch sporadisch stillt, die jüngere Schwester, 3 Jahre, noch oft. Außerdem meine beste Freundin, die selbst ihr Kind gestillt hat, bis es gute 3 Jahre alt war, und das ist schon länger her, das "Kind" ist heute jung erwachsen. Eine weitere sehr gute Freundin, deren Sohn genau 5 Jahre gestillt hat (er stillte sich zum 5. Geburtstag ab, mit den Worten: "Ich bin jetzt groß, ich brauch das nicht mehr."), weiß davon, und eine junge Verwandte hat es mal mitbekommen. Ein paar andere Verwandte ahnen, dass sie noch stillt, darüber wird aber nicht geredet, und warum auch? Wir kennen eigentlich eine ganze Menge Leute, deren Kinder auch im dritten und vierten Lebensjahr noch stillen oder gestillt haben. Mein Mann hat gefunden, dass es bis 6 Jahre in Ordnung und gut war, aber er hat letztendlich meinen Erklärungen und Aussagen getraut und nimmt es positiv, manchmal auch erleichtert, wenn das krank weinende Kind schnell Trost und Entspannung und Schmerzbehandlung an der Brust findet. DEN Vorteil sieht er wirklich. Ich möchte gern ein paar Dinge angehen, medizinisch gesehen, für die es besser ist, nicht mehr zu stillen. Das ist eine große Motivation, das Abstillen ernsthaft zu forcieren. Aber ich möchte es gemeinsam, im Einvernehmen mit meinem Kind machen, das immer wieder sagt: "Wenn Du meinst, das machen zu müssen, musst Du es tun." Das Loslassen schmerzt sie bisweilen, aber sie kommt schnell drüber hinweg. Mich schmerzt es nicht, eher nur, weil sie sich hin und wieder schwertut, in Krisensituationen. Aber es gibt auch andere Wege, mit Krisensituationen gut fertig zu werden, und die können wir gehen. Ich freue mich, wenn wir das Abstillen feiern können. Sie bekommt ein schönes Geschenk, wir alle eine Party (die Leute wissen dann nicht, was gefeiert wird), und irgendwie macht das alles Sinn. Reifungsrituale werden ja rar in unserer Gesellschaft. Sie ist in manchen Dingen weiter als mancher Erwachsener. Sie ist unheimlich kompromissfähig, empathisch und hilfsbereit, sie kann sich so gut in andere hineindenken und ist sehr freundlich. Sie zieht weiterführende Schlüsse, die mich oft erstaunen, wenn sie Erkenntnisse beispielhaft auf andere Situationen umlegt. Sie nimmt viel Rücksicht und geht dabei auch über ihre eigenen Grenzen. Das kostet sie viel Kraft, und dann irgendwann fordert das seinen Tribut, und sie wird wieder ganz klein. Das müssen wir wohl auch immer wieder wahrnehmen, bei unseren Kindern, was sie zum Teil leisten, und dass sie allen guten Grund haben, dann auch noch mal ganz klein sein zu wollen. :-) Liebe Biggi, ich denke darüber öfter nach und würde gern die Ausbildung machen, aber noch ist hier zu viel Verantwortung an anderen Stellen. Das kriege ich noch nicht unter bzw. vielleicht auch gar nicht. Ich weiß noch nicht, wohin es mit mir weiter geht. Danke für Deine immerwährende Nachfrage und Dein Vertrauen in meine Fähigkeiten und Eignung diesbezüglich! Das Buch bzw. einen Artikel. Ja, unter anderem Namen würde ich das machen. Ich habe sogar schon mal angefangen, es aber wieder liegen gelassen. Danke noch mal für die Erinnerung! Ihr seid hier unschätzbar für all die Frauen, die unsicher, ohne richtige Rollenvorbilder in das Muttersein und das Stillen hineinholpern müssen, schlecht beraten und begleitet werden und einen manchmal sehr mühsamen Weg damit gehen. Ich jedenfalls habe schon über 7 Jahre von Eurer Unterstützung profitiert, und sei es nur dadurch, dass ich weiß, Ihr seid da und würdet uns unterstützen, würden wir es brauchen. Dafür bin ich sehr dankbar! Alles Liebe und Gute! Sileick

von Schniesenase am 20.02.2019, 21:56



Antwort auf: Langsames Ende der Stillbeziehung in Zeitlupe

Sileick, ich bin zutiefst berührt von Deinen Zeilen und sage von ganzem Herzen DANKE dafür. Bitte schreibe den Artikel, DU musst keine Ausbildung machen, um anderen Müttern Kraft und Mut zu schenken! Ich umarme Dich Biggi

von Biggi Welter am 21.02.2019