Haben wir die falsche Still-Strategie?

 Biggi Welter Frage an Biggi Welter Stillberaterin der La Leche Liga Deutschland e.V.

Frage: Haben wir die falsche Still-Strategie?

Liebe Expertinnen, ich habe das Forum bereits aufmerksam gelesen und einige vergleichbare Fragen gefunden, bin aber noch immer ziemlich verunsichert und hoffe, dass ihr mir etwas konkreter helfen könnt. Meine Tochter und ich hatten einen etwas holprigen Start in die Stillbeziehung (sehr später Milcheinschuss, Abpumpen nach einem Gerinsel in der Brustwarze etc.), den wir mit fachkundiger Hilfe unserer Hebamme soweit überwinden konnten, dass meine 5 Wochen alte Tochter jetzt wieder an beiden Seiten "normal" trinken kann bzw. könnte. Nach einigen sehr unruhigen Tagen, in denen sie auch vormittags sehr lange wach und unruhig war, empfahl uns die Hebamme zu versuchen, einen Abstand von etwa 3 Stunden von Stillanfang zu Stillanfang einzuhalten, da ihre Verdauung sie beim häufigen Stillen sonst wach halten würde. Das haben wir mit Tragetuch, Kinderwagen etc. auch irgendwie geschafft. Wenn sie während des Trinkens eingeschlafen ist, haben wir sie "wach gemacht", damit sie genug trinkt, um diese Zeit überhaupt durchzustehen. Meistens hat sie die "zweite Brust" aus der Flasche bekommen, weil sie dann in der kurzen "Wachphase" mehr getrunken hat. Prinzipiell hat das auch funktioniert. Zumindest hatte sie auch 1x am Tag eine längere Schlafphase und immer mal wieder zumindest 1-2 Stunden Schlaf. Nachts sogar bis zu 4 Stunden. Trotzdem war ich damit insgesamt sehr unglücklich und hatte das Gefühl, ihr einen fremden Rhythmus aufzudrängen. Wenn sie an der Brust einschlief, haben wir sie wach gemacht und den Rest der Zeit versucht, sie irgendwie zum Schlafen zu bewegen. Vor ein paar Tagen war ich dann so unglücklich, sie nicht einfach stillen zu können, wie sie möchte, dass ich unsere "Strategie" über den Haufen geworfen habe. Seitdem darf sie trinken, wann und so lange sie möchte. Jetzt hat sich das "Problem" verschoben. Sie trinkt fast stündlich, fällt zwar immer mal wieder ins Milchkoma, aber wirklich lange Schlafphasen hat sie kaum mehr und wirkt immer sehr unruhig. Wenn sie länger schläft, dann hauptsächlich bei meinem Mann auf dem Bauch. Das Trinken klappt prinzipiell gut, aber auch hier ist sie oft hektisch bzw. wird im Verlauf des Trinkens immer hektischer, obwohl die Milch noch sichtbar ausreichend fließt. Wirklich ruhig trinkt sie nur, wenn sie doch mal eine längere Schlafphase hatte. Jetzt mache ich mir sorgen, dass wir ihr mit dem "Wechsel" geschadet haben und die erste Strategie doch die richtige war. Mein Mann hat nur noch zwei Wochen Elternzeit. Aber nur er schafft es, dass sie wirklich in Tiefschlaf kommt. Bei mir wird sie immer schnell wach und sucht dann wieder wie verrückt. Das macht mir doch ziemlich sorgen...Wie sollen wir weitermachen?

von diyu am 15.10.2013, 00:02



Antwort auf: Haben wir die falsche Still-Strategie?

Liebe diyu, nein, Du hast deinem Kind NICHT geschadet, das Gegenteil ist der Fall! Ein Baby sollte nach Bedarf gestillt werden. Alle Stillexperten sind sich einige, dass Stillen nach Bedarf für Mutter und Kind am Besten ist. So wird sichergestellt, dass das Baby die Nahrung, die es braucht, genau dann bekommt, wenn es sie braucht und sich das Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage einstellen kann. Während eines Wachstumsschubs kann es durchaus sein, dass ein Baby alle Stunde an die Brust möchte. Es gibt keinen Grund einen Mindestabstand zwischen zwei Stillmahlzeiten einzuhalten. Im Extremfall kann das „Hinhalten" des Babys zu Gedeihstörungen führen. All die Erzählungen von einem bestimmten Rhythmus eines Babys sind schlicht und ergreifend falsch. So kleine Babys wollen im Schnitt zwischen acht und zwölf Mal innerhalb von 24 Stunden gestillt werden. Im Schnitt heißt, es gibt Babys die seltener nach der Brust verlangen (eher wenige Babys) und es gibt Babys, die häufiger an die Brust wollen (die Mehrzahl). Nun ist es jedoch nicht so, dass ein Kind zügig zwanzig Minuten trinkt und sich dann nach drei Stunden das nächste Mal rührt, sondern es kommt immer wieder zu Stillepisoden, die so ablaufen: das Kind trinkt eine kurze Weile, hört auf, döst vielleicht sogar weg und beginnt erneut kurz zu trinken usw. Dieses Verhalten heißt Clusterfeeding und ist absolut normal für kleine Babys. Besonders gehäuft treten diese Stillepisoden am Nachmittag und Abend auf, wie überhaupt die Abstände zwischen den Stillzeiten im Verlauf des Tages immer kürzer werden. Dazu kommt, dass in bestimmten Alterstufen Wachstumsschübe zu erwarten sind, in denen die Baby manchmal schier ununterbrochen an die Brust wollen. Das Dauerstillen kann sehr anstrengend und auch nervend sein, aber es hat seinen Sinn. Rein wissenschaftlich gesehen ist es so, dass das Baby durch den Stillmarathon die Prolaktinausschüttung anregt und so dafür sorgt, das die Milchbildung angeregt wird und genügend Milch für das Kind zur Verfügung steht. Wird in dieser Situation zugefüttert, so wird in das Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage eingegriffen und das kann der Beginn des unfreiwilligen, vorzeitigen Abstillens sein. Muttermilch ist innerhalb von 60 bis 90 Minuten verdaut und der Organismus eines Babys ist auf häufige Mahlzeiten eingestellt. Nun kann ich aber weder Sie noch Ihr Baby sehen und kann daher das Saugverhalten nicht beurteilen und Ihnen auch nichts zeigen. Am besten wenden Sie sich deshalb einmal an eine Stillberaterin in Ihrer Nähe und lassen sich beim Stillen zuschauen. Die Kollegin kann Ihnen dann bei Bedarf Tipps zum korrekten Anlegen geben, kann Ihnen erklären, woran Sie erkennen, ob Ihr Kind korrekt saugt und Ihnen überhaupt gezielte Hinweise geben. Im direkten Kontakt lassen sich viele Fragen viel besser klären. Adressen von Stillberaterinnen finden Sie im Internet unter: http://wwwlalecheliga.de (Stillberaterinnen der La Leche Liga), http://www.afs-stillen.de (Stillberaterinnen der Arbeitsgemeinschaft freier Stillgruppen) oder http://www.bdl-stillen.de (Still- und Laktationsberaterinnen IBCLC). LLLiebe Grüße Biggi Welter Woher kommt der Mythos vom „Mindestabstand" ? Von Denise Both, IBCLC \plain„Sie dürfen nicht so oft anlegen, dann hat die Brust ja keine Zeit, sich wieder zu füllen." \plain„Zwischen zwei Stillzeiten MUSS ein Abstand vom mindestens zwei Stunden liegen sonst bekommt das Kind Bauchschmerzen" \plain„Frische Milch darf sich nicht mit bereits angedauter Milch vermischen, deshalb dürfen Babys frühesten nach zwei Stunden wieder angelegt werden" Wohl jede Stillberaterin ist schon mit diesen Aussagen konfrontiert worden. KinderärztInnen, Hebammen und auch wohlmeinende Mitmenschen kommen immer wieder damit. Ist ein indestabstand wirklich notwendig oder sinnvoll? Die Antwort auf diese Frage ist ein klares NEIN. Ein Baby sollte nach Bedarf gestillt werden. Alle Stillexperten sind sich einig, dass Stillen nach Bedarf für Mutter und Kind am Besten ist. So wird sichergestellt, dass das Baby die Nahrung, die es braucht, genau dann bekommt, wenn es sie braucht und sich das Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage einstellen kann. Es ist nicht sinnvoll, den Abstand zwischen den Stillzeiten lange zu halten „damit sich mehr Milch ansammelt", denn die Brust funktioniert nicht wie eine Flasche, die wieder aufgefüllt werden muss. Der größte Teil der Milch wird während des Stillens gebildet. Ebenso ist es ein Ammenmärchen, dass ein Baby einen Mindestabstand zwischen zwei Stillzeiten einhalten müsse, um zu verhindern, dass frische Milch auf angedaute Milch kommt. Im Extremfall kann das „Hinhalten" des Babys zu Gedeihstörungen führen. Es gibt keinen Beweis, für die „Frische Milch auf halbverdaute Milch Theorie", die besagt, dass zwischen zwei Stillmahlzeiten ein Mindestabstand von zwei Stunden eingehalten werden müsste, weil das Baby sonst Bauchschmerzen bekäme. Doch woher kommt diese Meinung? Die Vorstellung, dass der Magen zwischen zwei Mahlzeiten vollständig geleert werden müsse, geht wahrscheinlich auf den Kinderarzt Prof. Adalbert Czerny (1863 – 1941) zurück, vor allem auf das, was er in seiner 1893 erschienen Veröffentlichung „Die Ernährung des Säuglings auf Grundlagen der physiologischen Funktionen des Magens" und seinem 1922 veröffentlichten Buch „Der Arzt als Erzieher des Kindes" geschrieben hat. Czerny hielt es einerseits für absolut notwendig feste Abstände zwischen den Stillmahlzeiten einzuhalten, damit sich zwischen den Mahlzeiten der Magen komplett entleert und sich die Magensäure (Salzsäure) ansammeln und antiseptisch wirken kann und andererseits maß er dem streng einzuhaltenden Stillrhythmus einen hohen erzieherischen Wert bei. Nach seinen Beobachtungen entwickelten sich mit künstlicher Säuglingsnahrung (zur damaligen Zeit überwiegend Kuhmilch) gefütterte Babys besser, wenn zwischen den Mahlzeiten ein Abstand von vier Stunden eingehalten wurde. Daraus schloss er, dass es auch für gestillte Kinder besser sei, einen Mindestabstand und festen Rhythmus einzuhalten. Nachdem er festgestellt hatte, dass Muttermilch nach eineinhalb bis zwei Stunden den Magen vollständig verlassen hatte und Kuhmilch nach drei Stunden, legte er die Abstände der Mahlzeiten für gestillte Kinder auf mindestens drei Stunden, für kuhmilchgefütterte Kinder auf mindestens vier Stunden fest. Es wurde – wie so oft – einfach eine Vorgehensweise, die für nicht gestillte Kinder sinnvoll sein konnte, auf gestillte Kinder übertragen und bis heute hält sich die Vorstellung von dem Mindestabstand in vielen Köpfen, zum Leidwesen vieler junger Mütter und ihrer Babys.

von Biggi Welter am 15.10.2013



Antwort auf: Haben wir die falsche Still-Strategie?

Liebe diyu, wenn Du Lust hast, lies doch mal den Bericht genau vor Deinem Posting. Zumindest der erste Teil zeigt den Unsinn von Stillabständen und belegt, dass es dadurch zu echten Problemen kommen kann. Leider vertreten noch immer viele Hebammen, seien sie auch sonst noch so kompetent, diese veraltete Meinung. Folge Deinem Gefühl! Ist schon stark, dass Du das auch ohne Hilfe so schon gemacht hast, trotz Hebamme usw. Machts Euch gemütlich, wenn Du kannst, und genieße es. ;-) Alles Gute! Sileick

Mitglied inaktiv - 15.10.2013, 16:39