Liebe Biggi,
mein Sohn ist 6 1/2 Monate alt und wurde bislang voll gestillt. Gelegentlich habe ich ihn schon ein paar Löffelchen von diversen Obst und Gemüsegläschen kosten lassen, worauf er immer mit Todesverachtung reagierte, egal was es war. Nun haben wir "ernsthaft" begonnen, mittags ein Gläschen zuzufüttern. Es ist allerdings ein Riesendrama, er schreit und spuckt alles aus, was wir ihm geben, egal ob mein Mann oder ich füttern, egal ob er sehr hungrig ist oder nur ein bißchen hungrig. Was kann ich tun, um ihm die Beikost schmackhaft zu machen???? Er hat 8 kg, aber im letzten Monat hat er praktisch nichts mehr zugenommen, es wird also höchste Zeit, daß der junge Mann Beikost akzeptiert. Kannst Du mir ein paar Tricks verraten?
Und eine zweite Frage: David hat seit einem Monat unten zwei Zähnchen, hat mir aber beim Stillen nie damit wehgetan. Seit einer Woche (hat aber nichts mit unseren Zufütter-Bestrebungen zu tun) beißt er mich aber manchmal sehr stark, was extrem schmerzhaft ist, besonders wenn er nicht mehr losläßt. Wie kann ich ihm das abgewöhnen?
Ich hoffe, Du hast wieder einmal ein paar Tipps für uns auf Lager ;-)
Danke, Claudia
Mitglied inaktiv - 29.07.2001, 15:14
Antwort auf:
Beikost
Liebe Claudia,
warum belässt Du es bei der Beikost nicht einfach bei der Menge, die David gerne und ohne
Tricks und Ablenkungsmanöver isst? Es ist nicht sinnvoll ein Kind zum Essen zwingen zu
wollen. Dein Kind sollte essen dürfen, nicht müssen. Wenn es ohne Zwang geht, wird David
sicher bald von alleine langsam immer mehr essen. Biete ihm auch einmal fingergerechte Kost
zum Selberessen an, vielleicht gefällt ihm das besser, als gefüttert zu werden.
Was nun die „berühmten“ Mangelerscheinungen betrifft, möchte ich dir die Zusammenfassung
einer Kollegin von mir zu einem Vortrag von dem spanischen Kinderarzt Dr. Carlos Gonzales
auf der LLL-Europa-Konferenz in Nottingham im letzten Sommer hier anhängen, ich denke, das
wird dich beruhigen.
LLLiebe Grüße
Biggi
Mein Kind will nicht essen
Vortrag von Dr. Carlos Gonzales auf der LLL-Europa-Konferenz 2000 in Nottingham
zusammengefasst von Denise Both IBCLC
Dr. Carlos Gonzales ist Kinderarzt in Barcelona. In den letzten zwölf Jahren hat er Vorträge
bei zahlreichen La Leche Liga-Konferenzen gehalten. Er gründete ACPAM (eine
katalanische Stillorganisation), organisiert Stillkurse für medizinisches Fachpersonal in ganz
Spanien, übersetzte Veröffentlichungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ins
spanische und ist Mitglied des Medizinischen Beirates von LLLInternational. Dr. Gonzales ist
Vater von drei gestillten Kindern.
1999 hat Dr. Gonzales sein Buch „Mi nino no me come“ (Mein Kind will nicht essen)
veröffentlicht und mit diesem Thema beschäftigte sich auch sein Vortrag in Nottingham.
„Mein Kind isst nicht(s)“ - das ist einer der Sätze, mit denen Kinderärzte fast täglich in ihrer
Praxis konfrontiert werden. Besorgte Mütter berichten entsetzt, wie wenig ihre Kinder essen
und schildern mit welchen Tricks sie versuchen, Nahrung in ihr Baby oder Kleinkind
hineinzuzwingen. Der Kampf ums Essen spielt sich täglich ab und letztlich gibt es nur
Verlierer.
Dr. Gonzales erklärte in seinem Vortrag, dass er nun nicht ein Patentrezept liefern mag, mit
dem erreicht wird, dass das Kind isst, sondern er will erklären, warum das Kind nicht isst.
Zunächst einmal gibt es drei Gründe, warum ein Kind nicht isst: es gibt nichts zu essen, das
Kind hat keinen Hunger oder das Kind ist krank. Der erste Grund ist in unserer Gesellschaft
meist auszuschliessen. Ein gesundes Kind isst in der Regel wenn es hungrig ist, allerdings
nicht immer das, was die Mutter möchte und schon gar nicht so viel wie es nach den
Vorstellungen der Mutter essen müsste. Verwunderlich ist dabei, dass die Kinder noch nicht
verhungert sind, obwohl sie laut Aussage der Mütter „nichts“ essen.
Gestillte Babys lehnen oft feste Nahrung über einen langen Zeitraum ab, nicht selten bis zum
Alter von acht Monaten oder gar einem Jahr. Die Mutter verzweifelt und das Kind leidet, weil
ständig versucht wird, es zum Essen zu überreden oder gar zu zwingen. Wie kommt es nun
dazu, dass (anscheinend) immer mehr Kinder die Nahrungsaufnahme verweigern? Und ist
es notwendig ein Kind zum Essen zu zwingen?
Dr. Gonzales vergleicht, wie sich die Empfehlungen, wann das Baby feste Nahrung erhalten
beziehungsweise wie lange es ausschliesslich gestillt werden sollte, im Verlaufe der letzten
100 Jahre verändert haben. Dann hat er das „Phänomen“ der nicht essenden Kinder sowie
die Sorge der Mütter, dass Ihre Kinder nicht essen, anhand der diesbezüglich in
Kinderpflegebüchern auftretenden Ratschläge beleuchtet und einen erstaunlichen (oder
vielleicht doch nicht erstaunlichen) Zusammenhang gefunden:
Anfang des 20. Jahrhunderts wurde in spanischen Büchern zur Säuglingspflege eine Zeit
von zwölf Monaten mit ausschliesslicher Muttermilchernährung empfohlen. Gleichzeitig findet
sich nirgends ein Hinweis in diesen Büchern, wie mit einem Kind zu verfahren sei, das nicht
essen will. Je weiter das Jahrhundert fortschreitet, um so jünger sollen die Kinder laut den
Empfehlungen der diesbezüglichen Bücher sein und: um so mehr Ratschlage gibt es, was
mit einem Kind zu tun sei, das nicht essen will. Wird zu Beginn der dreissiger Jahre noch nur
ganz kurz auf dieses Thema eingegangen, so sind 30 Jahre später schon seitenweise
Abhandlungen zu finden, was mit einem die Beikost (im Alter von drei bis sechs Monaten)
verweigernden Kind zu tun sei und die Seitenzahlen zu diesem Thema werden von Jahr zu
Jahr mehr.
Wie viel Nahrung braucht ein Kind?
Der Nahrungsbedarf eines Kindes hängt ab von seiner Körpergrösse, seiner Aktivität und
vom Wachstum des Kindes. Allerdings ist es nicht so, dass das Kind wächst, wenn es isst,
sondern umgekehrt, das Kind isst, wenn es wächst. Der Nahrungsbedarf des Kindes lässt
sich daher nicht pauschal bestimmen. Am ehesten gelingt dies, wenn das Kind sich in einer
Wachstumsphase befindet, dann lässt sich eine Relation zwischen Gewicht des Kindes und
erforderlicher Nahrungsmenge herstellen.
Ein Kind im Alter zwischen einem und vier Jahren benötigt etwa 1000 bis 1100 kcal pro Tag
(das entspricht etwa 102 kcal pro Tag und kg Körpergewicht). Nun gibt Dr. Gonzales an, was
ein „nicht essendes Kind“ täglich nebenbei zu sich nimmt:
1/2 l Milch (335 kcal), einen Becher Joghurt mit Früchten (141 kcal), einen Schokoriegel (275
kcal) und 150 ml Apfelsaft (85 kcal). Zusammen ergibt das bereits eine Kalorienaufnahme
von 836 kcal. Wie soll das Kind dann noch zwei komplette weitere Mahlzeiten essen können,
wenn es seinen Kalorienbedarf bereits zu gut 80 Prozent quasi „nebenbei“ gedeckt hat?
Wie lange kann ein Baby ausschliesslich mit Muttermilch ernährt werden?
Die derzeit verbreiteste Empfehlung lautet, dass ein Baby mit sechs Monaten zusätzliche
Beikost ergänzend zur Muttermilch benötigt. Nun gibt es aber bekanntermassen viele
gestillte Kinder, die zu diesem Zeitpunkt noch keine Beikost akzeptieren. Dr. Gonzales hat
deshalb eine Aufstellung gemacht, wie viel Muttermilch (MM) ein Baby im Alter zwischen
neun und zwölf Monaten benötigt, um den empfohlenen Bedarf an verschiedenen
Nährstoffen zu decken:
Energie: 830 kcal = 1185 ml MM
Eiweiss: 9,6 g = 910 ml MM
Vitamin A: 350 µg = 700 ml MM
Vitamin B: 0,4 µg = 412 ml MM
Vitamin C: 25 mg = 625 ml MM
Diese Angaben zeigen, dass Muttermilch den Bedarf des Kindes an vielen Nährstoffen lange
zu decken vermag und nicht unbedingt Eile geboten ist, das Kind zum Essen zu zwingen.
Ohnehin sind die Empfehlungen dazu, wie viel ein Baby benötigt meist zu hoch. Die
Empfehlungen beruhen beispielsweise darauf, dass untersucht wird, welche Mengen
gesunde, reif geborene Babys im Durchschnitt essen. Daraus werden Richtwerte berechnet,
die sich immer an den Höchstmengen orientieren und zusätzlich noch Sicherheitszuschläge
enthalten.
Babys benötigen auch weniger Eisen, als meist angegeben wird. Dabei lässt sich
beobachten, dass die meisten Kinder instinktiv das essen, was bei einem Mehrbedarf an
Eisen sinnvoll ist.
Babys sind Skeptiker, wenn sie neue Lebensmittel essen sollen. Dieses Misstrauen ist ein
Schutzmechanismus, der das Kind davor bewahren soll, etwas zu essen, was ihm nicht
bekommt. Bevorzugt isst ein Baby das, was auch seine Mutter isst, denn dieser Geschmack
ist ihm durch die Muttermilch vertraut. Es ist deshalb nicht erstaunlich, dass ein Baby
gekochte Karotten ablehnt, wenn die Mutter nie gekochte Karotten isst.
Die meisten Babys mögen kein Gemüse, aber sie essen gerne Bananen, Nudeln und
Süssigkeiten. Ein Vergleich der Kaloriendichte ergibt, dass Babys Nahrungsmittel mit einer
grösseren Kaloriendichte bevorzugen und Muttermilch liefert mehr Kalorien als Gemüse und
die meisten Nahrungsmittel, aus denen Mahlzeiten für Babys hergestellt werden. Um die
gleiche Menge an Kalorien, wie sie in 100 ml Muttermilch enthalten sind, durch den Verzehr
von Karotten aufzunehmen, müsste das Kind fast 400 g gekochte Karotten essen!
Daraus lässt sich ein Zusammenhang zwischen Unterernährung und Nicht-Stillen erklären:
da der Magen des Babys klein ist, benötigt es hochkalorische Kost. Gemüse kann nicht in so
grossen Mengen gegessen werden, wie es notwendig wäre, um das Kind mit genügend
Kalorien zu versorgen.
Laut Dr. Gonzales weiss das Kind ganz genau, was und wann es essen muss. Deshalb
lautete sein Schlusssatz, den er den Zuhörern mit nach Hause gab:
Zwingen Sie ein Kind niemals zum Essen. NIEMALS!
von
Biggi Welter
am 29.07.2001
Antwort auf:
Beikost
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Mitglied inaktiv - 29.07.2001, 22:38