Frage: Missbildungsuntersuchung

Herr Dr. Bluni, Ich würde gerne wissen, ob es Sinnvoll ist ein NT-Screening oder ein TrimesterTest machen zu lassen, wenn keine Risiken in der Familie liegen. Ich mache mir schon eine ganze weile gedanken dadrum. Denn es gibt gespaltene Meinungen zu dem Thema. Die einen Raten ab wenn man nicht über 35 ist oder unter 18 und eine "spätere" Fruchtwasseruntersuchung ja auch ein ernst zu nehmendes Risiko bedeutet.

Mitglied inaktiv - 04.07.2011, 12:57



Antwort auf: Missbildungsuntersuchung

Hallo, Pränataldiagnostik (vorgeburtliche Diagnostik zum Ausschluss oder Risikoeinschätzung genetischer Störungen und Missbildungen) ist sicher immer mehr auch ein sehr sensibles Thema, bei dem die objektive Information und Aufklärung durch die betreuende Frauenärztin/Frauenarzt im Vordergrund stehen sollte, wenn die schwangere Frau dieses anspricht oder sich aus der Vorgeschichte die Notwendigkeit ergibt, darüber zumindest zu sprechen. Sofern kein besonderes familiäres Risiko für genetische Störungen oder Missbildungen vorliegt, die Frau nicht schon vorweg ein entsprechendes Bedürfnis nach Informationen zur vorgeburtlichen Missbildungsdiagnostik äußert, würde sicher nicht generell zu einer weiterführenden Diagnostik geraten werden. Die noch in früheren Jahren vorgegebene magische Grenze von 35 Jahren sollte nach Ansicht vieler Fachexperten eigentlich verlassen werden, um letztlich allen schwangeren Frauen objektive Informationen zu ihren Risiken und den zur Verfügung stehenden Möglichkeiten der vorgeburtlichen Diagnostik zu geben. Dem behandelnden Arzt obliegt hier eher die Aufgabe, objektiv entsprechend dem Altersrisiko zu informieren; weniger, zu einer bestimmten Entscheidung oder einem bestimmten Verfahren zu drängen. Die Besprechung zu diesem Thema kann natürlich auch schon zu jedem Zeitpunkt vor diesem Alter stattfinden. Bei Vorliegen eines familiären Risiko für genetische Erkrankungen oder Missbildungen, ist es sinnvoll, mit dem paar vielleicht schon bei Kinderwunsch oder sonst zu Beginn einer Schwangerschaft über die damit verbundenen Risiken für Mutter und Kind sprechen und dazu gehört eben auch das Thema Pränataldiagnostik inklusive der Möglichkeit einer unabhängigen genetischen und ggf. psychosozialen Beratung in einer unabhängigen Einrichtung. Bestandteil der Aufklärung/Information von Frauenärztin/Frauenarzt zu diesem Themenkomplex sollte immer auch die individuelle Information über mögliche Konsequenzen, Grenzen der Verfahren und Risiken sein, so dass die Eltern den Sachverhalt gut nachvollziehen können, um ihnen die Möglichkeit zu geben, dann eine eigene Entscheidung für oder gegen eine weiterführende Diagnostik zu treffen. Es steht meines Erachtens also zunächst die ausführliche Information der jeweiligen Methoden im Vordergrund stehend. Die Entscheidung selbst kann und sollte aber nur das betroffene Elternpaar selbst fällen. Sinnvoll ist es dann, über die nicht invasiven Verfahren der Pränataldiagnostik, wie z.B. die Nackentransparenzmessung, und das Ersttrimesterscreening zwischen 11-14 Schwangerschaftswochen und auch den differenzierter Organultraschall/Missbildungsultraschall um die 22. SSW sollte, sofern gewünscht, ebenso mit der Schwangeren/ dem Paar gesprochen werden, wie auch über die invasiven Verfahren, wie Amniozentese (Fruchtwasserpunktion) oder Chorionzottenbiopsie. Wir müssen in den heutigen Tagen leider immer noch über den so genannten Triple-Test informieren; empfehlen können wir dieses Verfahren kaum mehr. Mit steigendem mütterlichem Alter in der Schwangerschaft steigt deren Risiko für die Geburt eines Kindes mit einer genetischen Erkrankung, wie z.B. einem Down-Syndrom wie folgt an: 25 Jahre: 1: 1352 30 Jahre:1:895 36 Jahre:1:280 40 Jahre:1:97 42 Jahre: 1:55 Gleichzeitig steigt mit mütterlichem Alter in der Schwangerschaft ab dem 35. Lebensjahr das Risiko für schwangerschaftsspezifische Komplikationen an. Dazu gehören Blutdruckerkrankungen, wie die Präeklampsie, aber auch Schwangerschaftsdiabetes, das Frühgeburtsrisiko, frühe Fehlgeburten und die Wahrscheinlichkeit für die Geburt eines schweren Kindes, bzw. für eine operative Entbindung. Gibt es in der Familie der schwangeren Frau und des Vaters des Kindes keine bekannten Missbildungen, so liegt bei allen schwangeren Frauen ein so genanntes Basisrisiko von 2-4% für Fehlbildungen und Erkrankungen des Kindes vor. Dabei entfallen etwa 1% auf schwerwiegende Fehlbildungen. Dieses Basisrisiko ist bei einer insulinpflichtigen Zuckerkrankheit der Schwangeren, aber auch bei Mehrlingen erhöht. Das Risiko einer Fehlgeburt infolge einer Fruchtwasserpunktion oder einer Chorionzottenbiopsie liegt in etwa bei 1:100, was dem Risiko einer 40jährigen für die Geburt eines Kindes mit einem Down-Syndrom entspricht. Wenn die Frau/die Eltern sich gegen eine invasive Diagnostik wie der Amniozentese oder Chorionzottenbiopsie zum Ausschluss einer Trisomie oder ähnlicher Chromosomenstörungen entscheiden, weil sie das Risiko z.B. für eine Fehlgeburt nicht eingehen möchten, dann ist der Frau in erster Linie die Messung der Nackentransparenz oder das Ersttrimesterscreening zwischen der 11.+14. SSW in einer entsprechend qualifizierten Einrichtung zu empfehlen. Die Entdeckungsrate für das Down-Syndrom ist abhängig von der Anzahl der einbezogenen Faktoren und von der Sorgfalt, mit der die Untersuchung durchgeführt wird: Für das Alter der Mutter allein 30-50% Alter und o.g. Laborwerte 60% Alter plus Nackentransparenz 80% Alter plus o.g. Laborwerte + Nackentransparenz + Nasenbein 95-97% Bitte nicht vergessen: 1.der sichere Ausschluss von Chromosomenstörungen ist nur durch eine Chorionzottenbiopsie oder Fruchtwasserpunktion möglich. 2. mit der Amniozentese oder der Chorionzottenbiopsie können nicht alle genetischen Störungen, Stoffwechsel-, Muskel- oder Erbkrankheiten erkannt werden. Sofern das genetische Ergebnis der Amniozentese/Chorionzottenbiopsie unauffällig ist, werden damit Erkrankungen und Fehlbildungen des Ungeborenen nicht ausgeschlossen. Dazu können u.a. Herzfehler, Spaltbildungen im Gesicht, Fehlbildungen, wie z.B. Extremitätenfehlbildungen und auch geistige Behinderungen oder Stoffwechselkrankheiten gehören. Denn solche Fehlbildungen und Erkrankungen sind nicht zwangsläufig mit einer erkennbaren Abweichung im Chromosomensatz verbunden. Eine Garantie für ein Kind ohne eine genetische Erkrankung kann keine Methode der Pränataldiagnostik geben. Pränatale Diagnostik wird eben zur Identifizierung diagnostizierbarer Probleme unter klarer Indikation angewendet. 3.Die hohe Zuverlässigkeit der Nackentransparenzmessung oder des Ersttrimesterscreenings hängt sicher ganz wesentlich von der Qualifikation und Erfahrung des Untersuchers, sowie des Ultraschallgerätes ab. Diese Voraussetzungen erfüllen deshalb vor allem Ärzte für Pränataldiagnostik in den dafür spezialisierten Zentren. Dieses setzt deshalb voraus, dass es sich bei dem Untersucher/Untersucherin um einen entsprechend der Vorgaben der Fetal Medicine foundation in London zugelassenen und qualifizierten Arzt handelt. Handelt es sich um eine spezielle Einrichtung für Pränataldiagnostik, ist von einer solchen Qualifikation erfahrungsgemäß auszugehen. Fragen Sie also vorher nach der Qualifikation und der Häufigkeit, mit der dieses Verfahren vom Anbieten denn durchgeführt wird! 4.neben den üblicherweise drei vorgesehenen Ultraschalluntersuchungen in der Schwangerschaft wird bei besonderen Indikationen (Risiko aus der Vorgeschichte oder dem Alter, Auffälligkeiten, Wachstumsretardierung, andere Besonderheiten) ein so genannter differenzierter Organultraschall/Feinultraschall/Missbildungsultraschall zwischen der 19. + 23. SSW von einem Arzt mit entsprechender Qualifikation in der Pränataldiagnostik durchgeführt. Meist in einer Spezialpraxis oder einem Perinatalzentrum. Hierbei schaut der Untersucher/in nach der kindlichen Aktivität, dem Bewegungsmuster, dem Profil des Gesichts der Fruchtwassermenge und der Plazenta. Darüber hinaus wird nach sichtbaren Fehlbildungen im Bereich der Weichteile, Organe, Knochen, des Zentralnervensystems, des Herzens und der Extremitäten geschaut. Gegebenenfalls wird auch die Versorgungslage des Kindes mit Hilfe eines Dopplers ergänzend durchgeführt. Wichtig in dem Zusammenhang ist aber , dass ein Ausschluss von Chromosomenanomalien per Ultraschall als Alternative zu einer invasiven Diagnostik (wie der Fruchtwasserpunktion, Chorionzottenbiopsie oder der Nabelschnurblutentnahme ) nur beschränkt durch den Nachweis von charakteristischen, aber nicht obligatorisch vorhandenen Hinweiszeichen auf Chromosomenanomalien möglich ist. Unter der Adresse http://www.bzga.de/botmed_13625300.html (letzter Abruf: 12.5.2011) können Sie bei der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung eine sehr informative Broschüre zum Thema Pränataldiagnostik bestellen oder downloaden. VB

von Dr. med. Vincenzo Bluni am 04.07.2011