Lieber Herr Dr. Bluni,
ich bin in der 38. SSW und war heute in der Klinik, da mein Gynäkologe aufgrund des zu erwartenden Gewichts (mehr als 4000g) eine vaginale Geburt für risikoreich hält und einen Kaiserschnitt befürwortet. Die Untersuchung in der Klinik hat das zu erwartende Gebutsgewicht bestätigt, dort sieht man aber keine Indikation für einen Kaiserschnitt. Allerdings hat man auch dort davon gesprochen, dass ein Risiko nicht auszuschließen ist.
Jetzt fühle ich mich mit der Entscheidung überfordert und versuch abzuwägen.
Daher meine Frage: Welche Risiken bestehen der vaginalen Geburt eines großen Kindes für das Kind und ggf. auch für die Mutter? Wie hoch schätzen Sie diese Risiken ein? Wird das Risiko dadurch vergrößert, dass ich bereits über 40 bin und mein erstes Kind erwarte?
Kann die Größe des Kindes die Folge einer Gestationsdiabetes sein, auch wenn die Blutzuckerwerte bei einer leichten Ernährungsumstellung nie über den vorgegebenen Werten lagen?
VIelen Dank für Ihre Unterstützung
Suse06
von
Suse06
am 08.05.2012, 17:46
Antwort auf:
Makrosomie und Geburtsplanung
Hallo,
1. hat ein Kind am Entbindungstermin ein im Ultraschall gemessenes Gewicht von 4.000 Gramm und mehr, so kommt dem immer eine große klinische Bedeutung zu. Hierbei spielen dann aber darüber hinaus auch noch andere klinische Faktoren für die gemeinsame Entscheidungsfindung zum sinnvollsten Entbindungsmodus eine große Rolle:
-Hat die Frau bereits ein Kind auf vaginalem Wege geboren und handelte es sich auch um ein schweres Kind (schwerer als etwa 3.800 Gramm)? Wie war der Geburtsverlauf
-Wie ist der klinische Eindruck des erfahrenen Facharztes in der Klinik um den Entbindungstermin an Hand der Ultraschallergebnisse und des geburtshilflichen Untersuchungsbefundes? Ergeben sich dabei schon Hinweise auf ein Missverhältnis zwischen kindlichem Kopf und dem Becken der Frau?
-Wie ist die Einstellung der Eltern zu etwaigen Risiken bei einer vaginalen Geburt?
Es ist richtig und wird auch gefordert, dass bei solch schweren Kindern von 4.000 Gramm und mehr die Frau etwa in der 38./39.SSW zu einem Geburtsplanungsgespräch in der Klinik vorgestellt wird.
Dazu gehört dann auch die Aufklärung über mögliche Risiken, die sich bei der Geburt solch schwerer Kinder ergeben können. Dieses bestätigt unter anderem auch das Oberlandesgericht Frankfurt in einem richtungsweisenden Urteil aus dem Jahr 2002.
In diesem Urteil vertritt der erkennende Senat die Rechtsauffassung, dass eine ärztliche Aufklärungspflicht hinsichtlich des Risikos der Schulterdystokie bei einem Geburtsgewicht von 4.000 g oder mehr besteht. (OLG Frankfurt, 13.Zivilsenat, Aktenzeichen: 13 U 199/98, Entscheidungsdatum: 11.12.2002)
Aus diversen großen Studien wissen wir, dass die Geburt solch schwerer Kinder u.a. das Risiko für eine so genannte Schulterdystokie mit sich daraus ergebendem Risiko der Verletzung von Nervengeflechten und Armlähmung abhängig vom Gewicht um den Faktor 10 und mehr erhöht.
So liegt das Risiko für eine Schulterdystokie bei Kindern, die weniger als 4.000 Gramm wiegen kleiner als 1%. Bei Kindern mit 4.000 Gramm Geburtsgewicht liegt die Inzidenz der Schulterdystokie um 3% und steigt bei 4.500 g auf ca. 10%. Wenn auch mehr als die Hälfte aller Schulterdystokien bei einem Geburtsgewicht von unter 4.000 g auftritt.
Auf dieses Risiko, aber auch auf daraus sich ggf. ergebenden Konsequenzen für das Kind hinsichtlich seiner Versorgungslage müssen wir in der genannten Situation hinweisen und deshalb auch immer auf die Möglichkeit des primären Kaiserschnitts hinweisen.
2. ja, das höhere mütterliche Alter bringt es mit sich, dass die Kinder schwerer sind, aber auch der Schwangerschaftsdiabetes kann dazu führen, dass die Kinder 4.000 Gramm und mehr wiegen.
Liebe Grüße
VB
Quellen
Acker DB, Sachs BP, and Friedman EA (1985). Risk factors for shoulder dystocia. Obstetrics and Gynecology, 66, 762-768.
Baskett T, Allen A. Perinatal Implications of Shoulder Dystocia. Obstet Gynecol 1995; 86: 14–17
Berle P. Die Inzidenz von Geburtsverletzungen Neugeborener in Abhängigkeit vom Geburtsgewicht. Geburtsh. u. Frauenheilkunde 1995; 55: 23–25
Gherman R, Goodwin T, Souter I, Neumann K, Ouzounian
Rouse DJ, Owen J. Prophylactic cesarean delivery for fetal macrosomia diagnosed by means of ultrasonography – A Faustian bagain? Am J Obstet Gynecol 1999; 181: 332–338, 1999
Sandmire HF. Shoulder Dystocia: a fetal-physician risk. Discussion by Dr. Herbert F. Sandmire. Am J Obstet Gynecol 1987; 156: 1414–1419
Schwenzer T. Die Schulterdystokie und ihre forensischen Aspekte. Gynäkologe 1994; 27: 222–228
von
Dr. med. Vincenzo Bluni
am 08.05.2012
Antwort auf:
Makrosomie und Geburtsplanung
Lieber Herr Dr. Bluni,
herzlichen Dank für diese ausführliche Antwort, sie hilft uns bei der Entscheidung weiter. Genau diese Aufkläung hat mir in der Klinik heute gefehlt.
Herzliche Grüße
Suse06
von
Suse06
am 08.05.2012, 22:06