Zwei unter zwei- schwierig

Dr. rer. nat. Meike Bentz Frage an Dr. rer. nat. Meike Bentz Diplom-Psychologin

Frage: Zwei unter zwei- schwierig

Liebe Frau Dr. Bentz, heute wende ich mich an Sie mit zwei kleinen Fragen. Zum einen interessiert es mich, warum es Babys gibt, die diese sogenannte Regulationsstörung haben und solche, die es nicht haben. Womit hängt das zusammen? Eine gute Freundin von mir ist der nervöseste Mensch, den ich kenne. Sie hat sich die ganze Schwangerschaft über verrückt gemacht und sich ständig Horrorszenarien ausgemalt, was alles mit ihrem ungeborenen Baby passieren könnte. Ihr Sohn jedoch ist die Ruhe selbst. Sie sagte letztens, er hätte bisher zusammengenommen vielleicht fünf Stunden geschrien. Er ist jetzt 14 Wochen. Meine Schwangerschaft und die Geburt (geplanter KS) waren sehr entspannt, ich stand weder beruflich noch privat unter Druck. Unserer Kleinen fällt es aber sehr schwer „runterzukommen“ und sie weint/ schreit deshalb auch öfter (ist aber per Definition kein Schreibaby). Lässt sich so etwas erklären? Und nun zur zweiten Frage: Wie „erlernt“ ein Baby sich selbst zu regulieren? Ist das ein Reifeprozess? Kann ich meine Tochter dabei unterstützen, die Fähigkeit zur Selbstberuhigung zu bekommen und wenn ja wie? Oft wird sie schon unruhig 15 Minuten nach dem Aufwachen, dann muss man sie hochnehmen und sich bewegen. Einfach auf den Arm nehmen ist nicht. Im Moment schläft sie tagsüber ausschließlich im Tragetuch und in Bewegung. Das ist natürlich ungünstig, da wir noch einen fast Zweijährigen haben, ich kann mich nicht hinsetzen und ein Buch mit ihm schauen, dann verfällt sie sofort in eine motorische Unruhe und wird dann wach. Nun doch noch eine dritte Frage zu unserem Sohn (fast 2/ ehemaliges Schreibaby): Er besitzt ein schwieriges Temperament. Er ist schnell frustriert (Beispiel: Es gelingt ihm nicht beim ersten Versuch zwei Duplosteine aufeinanderzusetzen, dann wirft er sie durch die Gegend und weint und zetert heftig. Dasselbe spielt sich ab beim Joghurt essen, Anziehen etc). Ähnliche Reaktionen rufen Dinge hervor, die er nicht möchte oder wenn er etwas nicht bekommt/ verboten bekommt. Die Fähigkeit zur guten Selbstregulierung fehlt ihm. Kann er das noch lernen? Wie können wir ihm helfen, mit seinem Temperament umzugehen und für sich einen Weg zu finden, der ihn nicht derartig in Stress versetzt (und uns natürlich auch). Oder ist das einfach Trotzverhalten, welches zur Entwicklung dazugehört? Ich weiß, dass meine Fragen das Thema Schreibaby nur am Rande betreffen, aber ich schätze Ihre Antworten sehr und hoffe, Sie können mir ein paar Tipps geben. Anna

von dickemama112 am 11.01.2016, 12:28


Antwort auf: Zwei unter zwei- schwierig

Liebe Anna, da haben Sie drei sehr hochkomplexe Fragen gestellt, die jede für sich schon Bücher füllen. ich kann Ihnen daher nur eine sehr knappe, oberflächliche Antwort geben. Gerade die Ursache von Regulationsstörungen (ich spreche gern von Schwierigkeiten angeht), werden kontrovers diskutiert und fest steht, dass in den kommenden Jahren durch die bildgebende Verfahren sicher auch noch neue Erkenntnisse hinzukommen. Bislang gibt es denn Stand, dass es eine Ursachentrias gibt, also a) Faktoren des Kindes: Reifung, Temperament , Frühgeburtlichkeit, Reizhunger, etc. b) Faktoren der Eltern: psychische Probleme, Paarkonflikte, Stress & Ängste in der Schwangerschaft, etc. c) Faktoren in der Interaktion: schlechte Passung, ungünstige Muster beim Beruhigen und Schlafenlegen Weiterhin wird heftig diskutiert, ob auch sozio-kulturelle Faktoren eine Rolle spielen, denn bislang sind Schreibabys eher als Phänomen in der westlichen Welt geprägt. Hierzu fehlen aber Daten und es gibt nur vereinzelte Studien, deren empirische Aussagekraft bislang noch zu dünn ist, um finale Schlüsse daraus zu ziehen. Wichtig ist mir nur an dieser Stelle, dass die Frage der Ursache nicht mit Schuld zu vermischen ist. Wer an Schreibaby bekommt und was im konkreten Fall der Auslöser war, wird man in den seltensten Fällen feststellen können. Aus Studien weiß man aber, dass Eltern von Schreibabys keine schlechten Eltern sind und ebenso einfühlsam und feinfühlig reagieren. Nur dass bei Ihnen durch Störungen im System (gleich welcher Art – ob nun ein besonders sensibles Kind, besondere Belastungen etc.) es zu Mustern kommt, die zur Aufrechterhaltung und sogar Verschlimmerung der Regulationsschwierigkeiten führen. Auch gibt es keinen Schutz, keine Vorbeugemöglichkeit für das Schreibabyphänomen außer der allgemeinen (und manchmal eben auch nicht umzusetzenden) Empfehlung, Stress und Ängste in der Schwangerschaft zu vermeiden. Doch dass selbst das keinen 100% Schutz liefert, sehen Sie ja selbst. Was die Frage nach der optimalen Begleitung für Schreibaby und der Förderung von Selbstregulation betrifft, so ist dies sicher immer ein Zusammenspiel aus Reifung und Umwelteinfluss (Interaktionsverhalten, Handling, Erziehung etc.). Welcher Anteil bei welchem Kind überwiegt, lässt sich auch hier meist schwer sagen. Was aus meiner Sicht jedoch ein wichtiger Baustein ist, den die Eltern beeinflussen können, ist das zum Erlernen der Selbstregulation drei Dinge wichtig sind: - Ein Kind muss überhaupt erst die Gelegenheit bekommen, sich selbst regulieren zu können: Wir es immer nur mit Spielzeug abgelenkt, herumgeschuckelt, bespaßt und allerhand Reizen ausgesetzt, lernt es eben genau das nicht! Es wird von seinem inneren Zustand (ja nach der Geburt einfach ein völlig andere ist) abgelenkt und kann so nicht lernen „aha, das ist jetzt Hunger – dagegen hilft essen. Aha, jetzt bin ich müde – dagegen hilft schlafen. Aha, jetzt wird’s mir Zuviel – ich wende mich ab.“etc. - Ein Kind braucht uns als Wegweiser und Orientierungshilfe. Viele Kinder haben Schwierigkeiten damit, selbst einen Rhythmus zu finden. Sie brauchen daher uns, die wir Ihnen zeigen, wie die Welt funktioniert. Ist den ganzen Tag keine Struktur erkennbar, so kann man eben auch nicht erwarten, dass ein Kind abends und nachts dann ruhig schläft. Woher soll es wissen, dass so die Welt funktioniert? Es kann die negativen Folgen nicht abschätzen. Trotz allem Eingehen auf die Bedürfnisse ist es wichtig, dass wir Eltern uns auch trauen, etwas vorzugeben – nicht als Disziplinierung, sondern als altersangemessenes Angebot. Am Anfang ist noch alles chaotisch und das ist völlig ok. Doch auch junge Säuglinge lernen sehr viel schneller, einen Rhythmus zu finden, wenn wir Ihnen diesen immer vorleben und für Ruhe und Struktur und wiederkehrende Rituale sorgen. - Ein Kind lernt seine Gefühlswelt durch unsere Reaktionen einzuordnen. Jede Form des Ausdrucks ist daher auch ein Experimentierfeld. Wie intensiv und heftig dabei Gefühle ausgedrückt werden, ist dabei sicher auch Veranlagung, mit zunehmenden Alter spielt dagegen die Erziehung einen größeren Einfluss. Ein temperamentvolles Kind kann lernen, mit seinem Temperament umzugehen, nicht aber weniger Temperamt zu haben. Das Spiegel der Gefühle unserer Kinder und unsere eigene Reaktion sind dabei extrem wichtig. So lernen Kinder, ihre Gefühle einzuordnen und angemessene Reaktionen zu finden. Es ist daher auch wichtig, dass wir Eltern respektvoll mit unseren Kindern umgehen und auch Dinge wie Wut und Angst zulassen und gleichsam Wege aufzuzeigen (und vorleben!) wie man mit diesen Zuständen umgeht. Für Kinder, die Schwierigkeiten mit der Selbstregulation haben gilt dies umso mehr, was die Erziehung sicher anspruchsvoll und anstrengend macht. Sie brauchen viel Verständnis, gleichsam aber auch klare Regeln und eindeutige Grenzen. Hier ist aus meiner Sicht die größte Herausforderung, diese Dinge so zu vermitteln, dass der Fokus auf positiven Dingen liegt (Anreize, Belohnen, Lob) und nicht auf Schimpfen, Drohen, Bestrafen. Sonst lernt das Kind schnell, dass es so, wie es ist, nicht richtig und schwierig, ist , stört etc. Das kann dann schnell zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung werden, und das ist unbedingt zu vermeiden. Ich hoffe, mit Punkt drei auch Ihre letzte Frage etwas beantwortet zu haben, denn ich muss angesichts der Komplexität eine Grenze ziehen. Wenn Sie Interesse haben, gibt es jedoch zahlreiche Literatur zu diesem Thema. Ich wünsche Ihnen mit Ihrer Rasselbande alle Gute! Sie werden sicher noch viel Freude an- und miteinander haben! Herzlichst, Ihre Meike Bentz

von Dr. Meike Bentz am 15.01.2016