Zurück zur Intuition?

Dr. rer. nat. Meike Bentz Frage an Dr. rer. nat. Meike Bentz Diplom-Psychologin

Frage: Zurück zur Intuition?

Hallo und erst mal danke, dass es jetzt so ein Expertenforum gibt! Nun zu meiner Frage, meine Tochter ist nun 17 Monate alt. Sie hat 8 Monate 6-10 Stunden täglich geschrien. Wir sind erst mit einem Jahr in einer Schreiambulanz gelandet, wo uns gesagt wurde sie hätte eine frühkindliche Regulationsstörung mit Durchschlaf - und Essstörung. Anfangs würde es auch etwas besser, aber nun sind wir wieder an einem Punkt, wo das Schreien beim ins Bett bringen wieder anfängt. Geht man immer wieder kontrolliert raus, schreit sie sich so ein, dass sie teilweise spucken muss und ich fühle mich auch schrecklich dabei. Bleibe ich bei ihr drin, schreit sie auch, aber nicht so extrem. Das Ganze kann bis zu 3 Stunden dauern. Nachts geht das dann weiter, aufstehen, Schnuller rein und dann lässt sie mich nicht mehr gehen. Klammert sich richtig an mich. Ich schäme mich für diesen Satz, aber ich kann das Schreien kaum noch ertragen! Intuitiv würde ich sie rausnehmen, singen, beruhigen und kurz bevor sie ganz tief schläft wieder ins Bett legen. In meinem Kopf ist aber ständig die Angst, kleine Fortschritte zu Nichte zu machen, weil man ja nicht zuviel Hilfe geben soll und sie ja keine Selbstberuhigung erlernen kann etc.... Ich bin total sicher in meine Mutterschaft gestartet, mit viel Erfahrung und jetzt Trau ich meinem Instinkt nicht mehr. Was ist nun richtig? Soll ich nach Gefühl handeln und die Hilfen aus der Schreiambulanz erst mal beiseite lassen? Was wären die Folgen? Könnte man sie denn noch irgendwie ans Familienbett gewöhnen? Denn bisher hat das nie geklappt, weil sie so abgelenkt ist, das sie nicht einschlafen kann. Entschuldigen Sie den langen Text und die wirren Gedanken! Vielen Dank Rosalie

von Rosalie2014 am 28.07.2015, 13:33


Antwort auf: Zurück zur Intuition?

Liebe Rosalie! zunächst: Ihre Gedanken sind nicht wirr, sondern sehr klar und präzise. Ihre Situation ist vertrackt und das wird halt deutlich. Das Zurück zur Intuition oder elterlicher Kompetenz wird aktuell intensiv diskutiert und es wird häufig kritisiert, dass durch ein Übermaß an Informationen Eltern von heute diese nicht mehr hätten. Natürlich ist es richtig, dass sehr viel von dem, was wir als Eltern brauchen, quasi schon in uns steckt und wir intuitiv richtig und angemessen auf die Bedürfnisse eines Babys reagieren. Doch nicht immer klappt das so mit der Intuition und das hat nichts mit Versagen als Eltern zu tun, sondern damit, dass man manchmal an Probleme stößt, wo die eigene Intuition nicht ausreicht, gestört wird oder auch mal in die Irre führt. Das kann viele Gründe haben sowohl auf kindlicher Seite als auch auf elterlicher. Sie haben sich damals an eine Schreiambulanz gewendet, weil Sie gemerkt haben, dass es so nicht mehr weiter geht. Das zu erkennen und entsprechend Hilfe zu suchen, war sicherlich kein Fehler. Nun klappt es aber nicht mehr und Sie fragen sich nun verzweifelt, was Sie überhaupt noch machen sollen. Aus meiner Sichte gäbe es jetzt zwei Wege: 1. Sie wenden sich noch einmal an die Schreiambulanz und berichten von Ihrem Problem. Rückschläge können viele Gründe haben. Manchmal ist es einfach nur die Panik, dass wieder alles beim alten ist, die Eltern voreilig aufgeben lässt und diese Ambivalenz irritiert Kinder. Manchmal sind es Dinge wie Veränderungen in der Familie, Krankheiten, Entwicklungssprünge etc. Doch manchmal ist es einfach auch der falsche Weg. Die Löschung (Extinktion) wie sie bei dem von Ihnen geschilderten Schlaftraining praktiziert wird, ist eine wirksame, aber nicht unumstrittene Methode. Sie sollte immer nur dann angewendet werden, wenn keine Bindungsprobleme bestehen oder bindungsrelevante Ereignisse stattfinden (z.B. Geburt eines Geschwisterchens, Beginn einer Fremdbetreuung, Trennung der Eltern etc.) und wenn die Eltern sich mit der Methode wohlfühlen. Ich selbst halte die Anwendung der Methode frühestens nach 12 Monaten für sinnvoll, allerdings meist auch gar nicht für notwendig, wenn man zunächst dafür sorgt, dass ein Kind schlafen kann, weil es müde ist und den Rhythmus erlernt hat und genug Ruhe am Tag erfährt. Sicher ist es nicht der einzige Weg und vielleicht besprechen Sie mit Ihrer Schreiambulanz noch mal Ihre Schwierigkeiten und suchen gemeinsam nach einer Alternative. Einige Experten sehen das anders, aber für mich wäre das Schreien bis zum Erbrechen ein Zeichen dafür, dass Ihre Tochter einfach überfordert ist. Manchmal muss man sich nicht nur fragen, was passiert, wenn man nicht dabei bleibt, sondern eben auch, was passiert, wenn man dabei bleibt. Ich denke auch, dass ein kontinuierliches Belgleiten Ihrer Familie wichtig wäre, Genauso wichtig wie das Konzentrieren auf das Schreien ist nämlich das Arbeiten an positiven Bindungserfahrungen, denn wie Sie sagen - das Geschrei lässt sich irgendwann kaum ertragen!Irgendwann ist der Umgang miteinander nur noch ein Kampf und man ist froh über jeden Tag den man übersteht ohne seinem Kind etwas angetan zu haben. Da raus zu kommen, erfordert häufig mehr als ein Schlaftraining. 2. Sie hören auf und machen das, was Sie sich wünschen, nämlich versuchen durch das Familienbett mehr Ruhe zu bekommen. Was kann passieren? In der Tat sollten Sie sich überlegen, ob Sie das, was Sie anfangen, auch durchhalten können. Wenn Sie am Ende Ihrer Kräfte waren, weil Ihre Tochter neben Ihnen stundenlang geschrien hat, sollten Sie natürlich nicht wieder in die alten Verhaltensmuster zurückfallen. Wenn Sie aber die Kraft haben - und das heißt wirklich jeden Abend die gleiche Routine, um etwa die gleiche Uhrzeit und dann ohne Tragen, Pezziball und Co., dann können Sie es versuchen. Wichtig wäre für mich, dass diese Entscheidung nicht aus bloßer Resignation getroffen wird, sondern auch, weil Sie sich damit wohlfühlen. Einen psychischen Schaden bekommen Kinder durchs Familienbett nicht, aber wohl kann es auch zur Belastung werden, wenn eben dieser Weg nur für eine Partei das Richtige ist. Auch sie ist kein Allheilmittel! Wichtig fände ich hier genug Unterstützung und Entlastung im Alltag sowie ebenfalls eine Begleitung, in der Ihre Probleme aufgefangen werden können. Vielleicht in Form einer Eltern-Kind-Gruppe? Auf jeden Fall wünsche ich Ihnen alles Gute. Bei dem, was Sie schon auf sich genommen haben, bin ich mir sicher, dass Sie Ihren Weg finden werden. Herzlichst, Ihre Meike Bentz

von Dr. Meike Bentz am 29.07.2015